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Darf der Arbeitgeber wegen des Diabetes kündigen? Oder können Menschen mit Diabetes einen besonderen Kündigungsschutz in Anspruch nehmen? In diesem Beitrag haben wir einige Tipps zum Thema Diabetes und Arbeitsrecht zusammengestellt.
Es ist ein häufiger Irrglaube, dass man im Fall einer schweren Krankheit wie Diabetes automatisch einen besonderen Kündigungsschutz genießt. Im Gegenteil: Krankheit an sich ist ein klassischer Kündigungsgrund, der in der Person des Arbeitnehmers liegt. Trotzdem kann man sich in vielen Fällen wehren.
Betriebe mit bis zu 10 Mitarbeitern fallen nicht unter das Kündigungsschutzgesetz. Der Arbeitgeber kann jederzeit innerhalb der vertraglichen bzw. gesetzlichen Fristen kündigen, er muss die Kündigung auch nicht begründen. Das Arbeitsverhältnis endet dann, ohne dass man eine Abfindung erhält. Dies gilt selbst im Fall von jahrzehntelang beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: Eine Kündigung ist auch für sie ohne Angabe von Gründen zulässig, es gelten dann nur etwas längere Kündigungsfristen.
Ist im Arbeitsvertrag keine längere Kündigungsfrist vereinbart, gelten die gesetzlichen Regelungen gemäß §§ 622 BGB. Bei einer Betriebszugehörigkeit von beispielsweise 25 Jahren beträgt die Kündigungsfrist sieben Monate zum Ende eines Monats. Wenn der Chef damit ein Problem hat, kann die Diabeteserkrankung in solchen Kleinbetrieben also tatsächlich zum (eigentlichen) Kündigungsgrund werden – auch wenn der Arbeitgeber dies in der Regel natürlich nicht zugeben wird.
Wer dagegen in einem Betrieb mit mehr als 10 Mitarbeitern beschäftigt ist, genießt den gesetzlichen Kündigungsschutz. Man kann dann nicht ohne Weiteres gekündigt werden, der Arbeitgeber braucht einen zulässigen Kündigungsgrund.
Die möglichen Kündigungsgründe werden unterteilt in:
Für diese Gründe gelten jeweils unterschiedliche Voraussetzungen. Bei einer verhaltensbedingten Kündigung liegt ein Fehlverhalten der Arbeitnehmerin/des Arbeitnehmers vor, welches dieser trotz wiederholter Aufforderung (Abmahnung) nicht abgestellt hat. Beispiele hierfür sind permanente Verspätungen oder Arbeitsverweigerung. Eine Kündigung ist aber nur dann zulässig, wenn zuvor eine Abmahnung durch den Arbeitgeber erfolgt ist, d. h. dem Arbeitnehmer das Fehlverhalten vorgehalten und für weitere Verstöße die Kündigung angedroht wurde.
Eine personenbedingte Kündigung beruht auf Gründen, die in der Person des Arbeitnehmers liegen. Der häufigste Fall hierfür ist die Langzeiterkrankung. Allerdings ist eine Kündigung wegen Krankheit an recht hohe Voraussetzungen geknüpft; insbesondere ist eine „negative Zukunftsprognose“ erforderlich. Das bedeutet, dass aus Fehlzeiten in der Vergangenheit und dem Gesundheitszustand die Prognose abgeleitet werden können muss, dass auch in Zukunft mit erheblichen Fehlzeiten zu rechnen ist und dies mit einer erheblichen Störung des Betriebsablaufs einhergehen wird.
Auch muss der Arbeitgeber nachweisen, dass der Versuch einer Wiedereingliederung erfolglos blieb bzw. andere betriebliche Maßnahmen (z. B. Umsetzung, Änderung der Arbeitsorganisation, Arbeitsplatzausstattung) nicht möglich oder ausreichend sind. Selbst dann müsste eine abschließende Interessenabwägung aber auch noch ergeben, dass die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen. Die bloße Diabeteserkrankung reicht als Kündigungsgrund daher nicht aus.
Schließlich kann auch aus betriebsbedingten Gründen gekündigt werden, z. B. dann, wenn Entlassungen erforderlich sind, um die (Fort-)Existenz des Betriebes sicherzustellen. Hierzu muss der Arbeitgeber aber nachweisen, dass er eine hinreichende Sozialauswahl getroffen hat, d. h. er bei Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer deren soziale Verpflichtungen (Kinder, Familie), körperliche Benachteiligungen (Schwerbehinderung) oder auch Faktoren wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit hinreichend berücksichtigt hat.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, bei denen ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 festgestellt ist, profitieren von einem besonderen Kündigungsschutz. Dieser Kündigungsschutz für Schwerbehinderte gilt unabhängig von der Betriebsgröße, er besteht daher auch in Kleinstbetrieben.
Eine Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer ist nur und erst dann zulässig, wenn der Arbeitgeber die zuständige Integrationsbehörde über die beabsichtigte Kündigung informiert und diese auch zugestimmt hat. Aber selbst wenn eine Zustimmung vorliegt, ist die Kündigung noch nicht automatisch zulässig, denn der Betroffene kann Rechtsmittel gegen die behördliche Zustimmung einlegen.
Stellt sich später heraus, dass die Zustimmungsentscheidung rechtsfehlerhaft erging, ist auch die arbeitsrechtliche Kündigung automatisch nichtig. Allerdings ist das Verfahren nicht einfach, und es müssen wichtige Fristen beachtet werden. Es ist daher empfehlenswert, sich spätestens nach Erhalt einer Kündigung umgehend anwaltlich beraten zu lassen.
Wichtig: Der Kündigungsschutz greift nur, wenn die Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der Kündigung schon festgestellt, zumindest aber 3 Wochen vorher beantragt wurde.
Inzwischen ist es schwierig, allein aufgrund des Diabetes als schwerbehindert anerkannt zu werden. Der Schwerbehindertenstatus wird meist nur noch dann erteilt, wenn zusätzliche erhebliche Beeinträchtigungen nachgewiesen werden können.
Arbeitnehmer sind mit einem GdB von 30 nicht automatisch schwerbehinderten Menschen gleichgestellt, wenn es um den Kündigungsschutz geht. Tatsächlich muss die Gleichstellung bei der Arbeitsagentur förmlich beantragt und begründet werden. Der Antrag wird geprüft, die Gleichstellung wird festgestellt oder abgelehnt. Im Fall der Ablehnung ist ein Widerspruch möglich. Hat der Antragsteller auch damit keinen Erfolg, kann er Klage vor dem Sozialgericht erheben.
Trotzdem ist auch für Menschen mit Diabetes ein besonderer Kündigungsschutz möglich: Bei insulinpflichtigen Patienten wird – auch wenn es zur Schwerbehinderung nicht „reicht“ – ein Grad der Behinderung von mindestens 30 festgestellt. Damit ist es möglich, einen Antrag auf „Gleichstellung“ zu stellen – im Erfolgsfall genießt man dann denselben Kündigungsschutz wie schwerbehinderte Menschen.
Ein Anspruch auf Gleichstellung besteht, wenn aufgrund der Behinderung eine konkrete – und nicht nur befürchtete – Gefährdung des Arbeitsplatzes besteht. Der Arbeitsplatz muss dann aber auch tatsächlich aufgrund der Behinderung bedroht sein.
Die Gleichstellung würde also z. B. wohl abgelehnt werden, wenn eine Kündigung aus anderen Gründen (z. B. Fehlverhalten, allgemeiner Stellenabbau) droht, die nichts mit der Behinderung zu tun haben. Auch Mobbing oder ungerechte Behandlung durch Vorgesetzte sind nur dann relevant, wenn sie in Zusammenhang mit der Behinderung stehen.
Folgende Kriterien können auf eine behinderungsbedingte Gefährdung des Arbeitsplatzes hindeuten:
Den besonderen Schutz kann aber auch erhalten, wer noch auf der Stellensuche ist bzw. sich innerbetrieblich verändern will. Voraussetzung ist dann, dass ohne Gleichstellung eine (Weiter-)Beschäftigung auf einem geeigneten Arbeitsplatz oder ein beruflicher Aufstieg nicht möglich ist. Maßgeblich hierfür ist die aufgrund der Behinderung bedingte, mangelnde Konkurrenzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Keine Rolle spielen dagegen Umstände, die mit der Behinderung nichts zu tun haben und alle übrigen Arbeitnehmer ebenfalls betreffen. Allgemeine betriebliche Veränderungen, mangelnde Qualifikation oder eine schlechte Konjunkturlage reichen daher nicht aus, um einen Anspruch auf Gleichstellung zu erhalten.
Die Gleichstellung muss beantragt werden (siehe Kasten „Der Antrag auf Gleichstellung“, links). Damit die Arbeitsagentur nachprüfen kann, ob die behauptete Gefährdung des Arbeitsplatzes tatsächlich vorliegt, wird dem Arbeitgeber eine Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben.
Sie müssen daher wissen – und damit einverstanden sein –, dass der Arbeitgeber von dem Antrag erfährt. Der Arbeitgeber hat aber im Verfahren selbst keine weiteren Rechte; auch kann er sich nicht dagegen wehren, wenn nach seiner Auffassung zu Unrecht eine Gleichstellung anerkannt wird. Und selbstverständlich brauchen Sie zur Stellung des Antrags auch nicht die Zustimmung des Arbeitgebers.
Gemäß § 151 Abs. 2 SGB IX wird die Gleichstellung rückwirkend mit Datum der Antragstellung wirksam. Der damit verbundene Sonderkündigungsschutz entfällt aber, wenn der Gleichstellungsantrag nicht mindestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt wurde (BAG, Urteil vom 01. März 2007, Az. 2 AZR 217/06).
Im Klartext: Kündigungsschutz gibt es nur dann, wenn der Antrag auf Gleichstellung mindestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt wurde und die Gleichstellung dann amtlich festgestellt wird. Auch gilt der Kündigungsschutz für Schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen nicht immer bzw. nicht unbegrenzt.
Gemäß § 173 SGB IX entfällt der besondere Kündigungsschutz u. a., wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung noch nicht länger als sechs Monate besteht,
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (8) Seite 22-25
5 Minuten
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