- Soziales und Recht
Neue Bundesregierung: Diabetes als sträflich vernachlässigtes Thema
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Zehn Prozent der Gesundheitskosten entfallen auf Diabetes. Kann sich Deutschland das leisten? Eine Frage, die diabetesDE-Vorstand Dr. Jens Kröger während des Parlamentarischen Abends der Organisation in Berlin stellte – und die neue Regierung in ihrem Koalitionsvertrag nicht. Denn Diabetes ist darin ein vernachlässigtes Thema.
Die am 6. Mai vereidigte neue Bundesregierung verspricht ein hohes Tempo bei Reformen für das Land. „Wir werden uns keine 100 Tage Zeit lassen, sondern unsere Zielvorgabe sind die ersten 70 Tage“, versprach Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) mit Blick auf die anstehende parlamentarische Sommerpause. Allerdings stehen die Gesundheits- und Ernährungspolitik bei dieser angekündigten Politik im ICE-Tempo eher auf dem Abstellgleis, Hochgeschwindigkeit gilt eher für Wirtschafts- und Sicherheitsprojekte.
Doch mehr noch als das Tempo stehen die inhaltlichen Pläne zu Diabetes-Themen in der Kritik: „Der Koalitionsvertrag bleibt bei der Prävention nichtübertragbarer Krankheiten weit hinter unseren Erwartungen zurück“, kommentierte Barbara Bitzer, Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK). „Während wirtschaftliche Stabilität und soziale Gerechtigkeit ambitioniert adressiert werden, fehlen konkrete und verbindliche Maßnahmen zur Reduktion von nichtübertragbaren Krankheiten.
Dabei ist klar: Wer Chancengleichheit, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Wirtschaftswachstum will, darf die Gesundheit der nächsten Generation nicht ignorieren. Verantwortung für Deutschland sieht anders aus!“, nimmt sie Bezug auf den Titel des Koalitionsvertrags.

Hebel zum Vorbeugen bleiben ungenutzt
DANK kritisiert, dass zentrale Hebel zum Vorbeugen (Prävention) wie eine Hersteller-Abgabe auf zuckergesüßte Getränke, im Gegenzug die Mehrwertsteuer-Befreiung gesunder Lebensmittel, eine tägliche Stunde Bewegung in Kita und Schule, die verpflichtende Umsetzung der Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für Schulverpflegung sowie verbindliche Werbebeschränkungen für Lebensmittel mit zu viel Zucker, Fett und Salz, wenn diese sich an Kinder richten, im Koalitionsvertrag keine Erwähnung finden.
„Die neue Bundesregierung riskiert damit, eine zentrale Stellschraube zur Förderung der Bevölkerungsgesundheit und zur Verringerung der Krankheitslast sowie einer langfristigen Reduktion der Gesundheitskosten ungenutzt zu lassen“, mahnt Bitzer.
Ernüchternd: Das Wissenschaftsbündnis DANK fordert solche umfassenden Präventionsmaßnahmen seit 15 Jahren, zuletzt auch unter Verweis auf das liebe Geld: Allein Übergewicht, Tabak- und Alkoholkonsum würden jedes Jahr Kosten von über 200 Milliarden Euro verursachen. DANK fordert die Koalitionsparteien deshalb erneut auf, Prävention zum politischen Schwerpunkt zu machen.
Altbekannter Plan
DANK hat zur Bundestagswahl einen 6-Punkte-Plan vorgelegt: „Gesundheit sichern – Wirtschaft stärken“
„Wir appellieren an die Bundesregierung, Gesundheitsschutz nicht weiter zu vertagen und endlich die notwendigen strukturellen Voraussetzungen für eine gesunde Kindheit zu schaffen. Das Fenster für eine echte Präventionswende steht offen. Diese Chance darf nicht erneut ungenutzt bleiben“, erinnert Bitzer an die trotz großer Pläne enttäuschende Bilanz der Ampel-Regierung in Sachen Diabetes-Politik.
Auch der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD) gehört zu den 21 Mitglieds-Organisationen des Bündnisses. „Wir teilen die Kritik der DANK an den wenig ambitionierten Plänen der Koalitionspartner zur Verhältnisprävention. Wer heute keine entschlossene Präventionspolitik betreibt, nimmt morgen steigende Fallzahlen chronischer Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes und eine weitere Belastung unseres Gesundheitssystems billigend in Kauf“, erklärt Dr. Gottlobe Fabisch, Geschäftsführerin des VDBD.
„Prävention ist kein ‚Nice-to-have‘, sondern eine gesundheitspolitische Notwendigkeit.“ Aus Sicht der Diabetesfachkräfte ist eine echte Präventionswende dringend notwendig – sowohl zum Schutz der Bevölkerung als auch zum Entlasten der Versorgungsstrukturen. Denn: Jeder vermiedene Diabetesfall bedeutet auch weniger Folgekosten, weniger Komplikationen und mehr Lebensqualität für Betroffene und würde gleichzeitig dem Fachkräftemangel entgegenwirken.
Monstadt: Wenig Sorgen machen
Dass mit Dietrich Monstadt (CDU) ausgerechnet ein frisch abgewählter Bundestagsabgeordneter den Koalitionsvertrag von Union und SPD auf einer Diskussionsveranstaltung von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe verteidigen musste, war nur der Aktualität geschuldet: Der Parlamentarische Abend unter dem Motto „Demokratie stärken – Menschen mit Diabetes beteiligen“ war bewusst ganz an den Anfang der neuen Legislaturperiode gelegt worden, um einen Impuls in das neu gewählte Parlament zu senden.
Tatsächlich fand er nun genau am Tag vor der ersten Bundestagsrede der neuen Gesundheitsministerin Nina Warken statt, sodass der frisch gebackene parlamentarische Staatssekretär Tino Sorge anders als geplant nicht teilnehmen konnte. So war es an Monstadt, den Eindruck zu widerlegen, der neuen Regierung sei nichts an Diabetes gelegen: Nicht nur Sorge sei schon immer an der diabetologischen Versorgung interessiert gewesen, auch die neue gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion Simone Borchardt wolle sich mit Diabetes intensiv beschäftigen und ansprechbar sein, berichtete er.
Die Macht der Worte
- Der aktuelle Koalitionsvertrag hat 144 Seiten – das Wort Diabetes findet man darin 0-mal.
- Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung stand Diabetes immerhin 1-mal.
- Beide Verträge haben genau die gleiche Seitenzahl.
Das bewies die Politikerin dann auch leibhaftig, sie kam nach einer anderen Veranstaltung extra auch zu der diabetesDE-Diskussion hinzu. Und sie ergriff darin kurz das Wort, um zu kritisieren, dass die Gelder, die die Krankenkassen derzeit für Prävention aufwenden, nicht gut angelegt seien.
Monstadt war bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bundestag Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion für Diabetes und Adipositas und wirkte an der 2020 verabschiedeten Nationalen Diabetes-Strategie der letzten Großen Koalition mit. „Wir werden intensiv versuchen, diese Diabetes-Strategie mit Leben zu füllen“, kündigte er für seine Parteikollegen an.
Auch wenn im Koalitionsvertrag Diabetes laut Monstadt leider nicht vorkommt, gab er sich für die anstehende Regierungsarbeit zuversichtlich: „Ich glaube, Sie müssen sich da wenig Sorgen machen.“ Der diabetesDE-Vorsitzende Dr. Jens Kröger entgegnete: „Das machen wir uns trotzdem – aber Ihr Wort hilft ein bisschen.“
von Marcus Sefrin
Erschienen in: Diabetes-Anker, 2025; 73 (7) Seite 48-49
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