Neuer Job – alter Diabetes. Wie sprech’ ich bloß darüber?

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Neuer Job – alter Diabetes. Wie sprech’ ich bloß darüber?

Ein neuer Job. Wie aufregend! Das Gefühl des gerade unterschriebenen Vertrags. Die Neugierde auf die neuen Kolleg:innen. Wie ist das Essen in der Kantine? Gibt’s ein Feierabendbierchen mit dem Team? Und wie ist überhaupt der Kaffee?

Diese oder viele andere Fragen stellen sich unweigerlich bei Beginn eines neuen Jobs. Ist ja auch selbstverständlich. Ein neuer Job kann eine neue Chance, den nächsten Schritt in der Lebensplanung oder einfach nur ein bisschen frischen Wind bedeuten. Aber etwas Neues bringt er eben immer mit sich. Für uns hier in der Blood Sugar Lounge bringt er aber auch etwas anderes mit: die Unsicherheit, wie die Kolleg:innen wohl auf den Diabetes reagieren. Ist im Schreibtisch genug Platz, um Unmengen Traubenzucker zu deponieren? Wie früh muss ich denn für das Kantinenessen nun bolen? Gibt es neben Kaffee vielleicht auch Limo oder Säfte als Notfallgetränk? Und wie zur Hölle erzähle ich eigentlich allen, dass ich Diabetes habe? Erzähle ich das überhaupt?

Erzähle ich es überhaupt?

Ja und nochmals ja – finde ich! Welchen guten Grund könnte es geben, den Menschen, mit denen du vermutlich die meiste Zeit deines Tages verbringst, dieses kleine Detail zu verschweigen?

Vielleicht die Angst, dass dumme Fragen oder Sprüche kommen?
Vielleicht die Angst, dass du auf den Diabetes reduziert wirst?
Vielleicht die Angst, alle könnten denken, du simulierst nur?
Vielleicht einfach die Angst, wegen des Diabetes wieder einmal herauszustechen?

Na klar. Diese Ängste sind total logisch. Sie haben ihre Berechtigung und wir alle haben sie bestimmt schon einmal gespürt – nicht nur in Verbindung mit unserem Arbeitsplatz. Mal mehr, mal weniger stellen wir uns diesen Ängsten unser Leben lang. Jeden Tag. Aber das heißt nicht, dass diese Ängste mit uns das Sagen haben.

Mal angenommen, das, wovor ich Angst habe, tritt so ein. Was bedeutet das im Umkehrschluss? Richtig, dass ich schnellstmöglich meine Sachen packe und wieder gehe – denn dort bin ich nicht nur mit dem Thema Diabetes, sondern ganz allgemein menschlich in keiner guten Arbeitsatmosphäre gelandet.

Also gut. Darüber sprechen. Aber wie?

Richtig. Darüber sprechen. Aber auf jeden Fall im richtigen Moment und in der richtigen Runde. In meiner Erfahrung ist das Thema gar nicht mehr so sensibel, wie es mir mal vorkam, nachdem ich inzwischen wieder und wieder mal bei neuen Jobs darüber sprach. Und je offener ich mit mir und meinem Diabetes umging, desto offener war auch die Reaktion darauf.

Quelle: Unsplash

Am liebsten spreche ich über das Thema Diabetes unbefangen und „zufällig“ am Ende eines Teammeetings oder vielleicht bei einem gemeinsamen Mittagessen. Am Ende einer ersten Vorstellungsrunde finde ich es ungünstig, da ich immer das Gefühl hätte, dass der Diabetes zu mir gehört wie mein Name – das mag zwar an sich stimmen, aber dazwischen kommen noch wesentlichere Eigenschaften, die ich vorstellen möchte. 😉 Auch finde ich, dass die Kolleg:innen, mit denen ich in einem Büro sitze oder täglich zu tun habe, Bescheid wissen sollten. Je nachdem, wie groß das Unternehmen ist, habe ich entweder nur meinem direkten Team oder allen Kolleg:innen vom Diabetes erzählt.

Und was erzähle ich alles?

In welcher Tiefe man mit seinen Kolleg:innen über das Thema Diabetes spricht, ist natürlich jedem selbst überlassen. Ich habe mir immer vor meinem ersten Tag überlegt, was mir dabei wichtig ist. Manchmal ist es ja sogar bereits im Vorstellungsgespräch Thema. Mir ist es zum Beispiel wichtig, dass meine Kolleg:innen Bescheid wissen, dass ich mich vielleicht mal 15 Minuten rausziehen muss, um mich von einer Unterzuckerung zu erholen. Oder dass ich die Mittagspause leider nicht nach hinten verschieben kann, da ich vor 10 Minuten schon für mein Essen gespritzt habe. Auch, was im Ernstfall zu unternehmen wäre, finde ich wichtig mitzuteilen. Hierbei spreche ich gerne mit meinem direkten Team oder ein, zwei direkten Kolleg:innen. Eine Glukagon-Spritze habe ich bisher an jedem Arbeitsplatz deponiert.

Ich erzähle nichts, mit dem ich mich unwohl fühle. Deshalb mache ich mir vorher bewusst, was ich erzählen möchte und wovon ich denke, dass ich es unbedingt erzählen sollte. Auch kommt es darauf an, wie interessiert und informiert mein Gegenüber ist. Eine Portion Diabetes-Awareness kann natürlich nie schaden, aber dafür muss auch der Rahmen stimmen. Mir ist es ebenso wichtig, keine Verpflichtungen für meine Kolleg:innen mitzubringen. Keinesfalls erwarte ich von ihnen, dass sie sich trauen, im Notfall die Glukagon-Spritze anzuwenden, sollten sie sich damit unwohl fühlen!

In den meisten aller Fälle ist das darüber Sprechen auch gar nicht so eine schwere Sache, ich denke also, man braucht in der Regel keine Angst davor zu haben oder deswegen den Diabetes zu verstecken. Es kann vorkommen, dass man einen Tag frei braucht, weil man nachts vor lauter „Hypo“ nicht schlafen konnte. Ich zumindest brauche dann immer Zeit, mich davon zu erholen.

Für mich war auch der Gedanke über einen Antrag auf einen Schwerbehinderten-Ausweis interessant, da man damit eventuell Anspruch auf zusätzlichen Urlaub bekommt. Allerdings bedeutet das, dass man über das Thema Diabetes reden muss.

Abschließend…

Verpflichtet, vom Diabetes oder dem Schwerbehinderten-Ausweis zu erzählen, ist natürlich niemand. Ich denke, wenn man sich am wohlsten damit fühlt, nichts zu erzählen, ist das absolut in Ordnung, sofern es die eigene Sicherheit nicht gefährdet.

Ich habe mit meinen Erzählungen zum Diabetes unterschiedliche, aber im Schnitt eher positive Erfahrungen gemacht. Zuletzt stieß ich auf Erzählungen von einer ehemaligen Kollegin, deren Insulinpumpe mein jetziges Team auf Trab und Detektivarbeit nach „Knirschgeräuschen“ hielt. Es war eine sehr witzige Anekdote, mit der ich mich sofort sehr wohl gefühlt habe. Es hat mir das Gefühl von ganz viel Akzeptanz und Interesse (auch an meiner Autorentätigkeit für die Blood Sugar Lounge) gegeben. Ich hoffe, dass ihr ähnliche Erfahrungen macht, sofern ihr euer Diabetes-Outing (noch) vor euch habt.

Welche Erfahrungen habt ihr so mit dem Diabetes in der Arbeitswelt gemacht? Gute, schlechte? Wie und wem habt ihr davon erzählt?


Immer gut für unterwegs: Rezepte von Caro für Snacks to go für Arbeit, Schule und Büro!

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  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 3 Wochen

    Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

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