Verbesserte Chancen für Kinder mit Diabetes

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Verbesserte Chancen für Kinder mit Diabetes

Seit dem Jahreswechsel gelten im Bereich der gesetzlichen Pflegeversicherung neue Bewertungsmaßstäbe. Statt wie bisher drei Pflegestufen gibt es nun fünf Pflegegrade, die vom Grad der Selbständigkeit abhängen. Für Kinder mit Diabetes könnte es nun einfacher werden, Leistungen der Pflegekasse zu bekommen.

Das zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II) hat zum Jahreswechsel erhebliche Veränderungen im System der gesetzlichen Pflegeversicherung gebracht. Die bisherigen drei Pflegestufen wurden durch fünf neue Pflegegrade ersetzt, in vielen Fällen wird es zu deutlich höheren Leistungen kommen.

Im Gegensatz zu früher wird nun nämlich nicht mehr pauschal zwischen körperlichen und geistigen Einschränkungen unterschieden. Nun kommt es darauf an, wie selbständig jemand noch ist, d. h. es wird in jedem Einzelfall geprüft, was man konkret noch selbst machen kann und wofür man Hilfe benötigt.

Gemäß § 14 SGB XI sind pflegebedürftig „Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können.“

Fünf Pflegegrade

Die Pflegebedürftigkeit ist nun in fünf Pflegegrade eingeteilt: Je stärker die Selbständigkeit beeinträchtigt ist, desto höher ist der Pflegegrad. Es spielt für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit dabei nun keine wesentliche Rolle mehr, ob die Hilfe aufgrund körperlicher, geistiger oder psychischer Beeinträchtigungen benötigt wird.

Liegen nur geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten vor, dann kann ein Pflegegrad 1 zuerkannt werden. Bei schwerster Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, die mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung einhergehen, wird der Pflegegrad 5 zuerkannt.

Die Feststellung der Pflegebedürftigkeit erfolgt mit Hilfe eines neuen Begutachtungsinstruments, dem neuen Begutachtungsassessment („NBA“), die Pflegebedürftigkeit wird anhand eines Punktesystems ermittelt. Je mehr Punkte erreicht werden, desto höher ist der Pflegegrad (und damit auch die Leistung der Pflegekasse).

Selbständigkeit

Unter Selbständigkeit wird die Fähigkeit einer Person verstanden, die jeweilige Handlung bzw. Aktivität allein, d. h. ohne Unterstützung durch andere Personen, durchzuführen. Es kommt also darauf an, ob bzw. inwieweit man von personeller Hilfe abhängig ist. Unter personeller Hilfe versteht man alle unterstützenden Handlungen, die eine Person benötigt, um die betreffenden Aktivitäten durchzuführen. Für die Begutachtung spielt keine Rolle, ob die Hilfe durch Laien oder professionelle Pflegekräfte erbracht wird bzw. werden kann.

Kann man die jeweilige Handlung bzw. Aktivität allerdings – beispielsweise unter Nutzung von Hilfsmitteln – ohne Hilfe durch andere Personen noch allein durchführen, liegt in der Regel keine Beeinträchtigung der Selbständigkeit vor.

Neues Begutachtungsinstrument – so funktioniert es

Die Gutachter der Pflegeversicherungen ermitteln die gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten anhand eines „pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments“ (§ 15 Abs. 1 SGB XI) in Form eines Punktekatalogs. Es kommt nun nicht mehr – wie es bislang der Fall war – auf die Zeit an, die für die Pflege benötigt wird, sondern es wird für jeden Einzelfall systematisch anhand eines Kriterienkatalogs abgeprüft, wie weit die Selbständigkeit und die Fähigkeiten einer Person eingeschränkt sind.

Dazu werden Kriterien in unterschiedlichen Bereichen des Alltags untersucht:

  1. Mobilität: Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen,
  2. kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch,
  3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Hand­lungen,
  4. Selbstversorgung: Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toi­lettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Besonderheiten bei Sondenernährung, Besonderheiten bei parenteraler Ernährung, Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen,
  5. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Bela­stungen,
    • in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel,
    • in Bezug auf Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung,
    • in Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie
    • in Bezug auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften,
  6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sichbeschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.

Anhand der Ergebnisse der Prüfung werden die Pflegebedürftigen in einen der fünf Pflegegrade eingeordnet (§ 15 Abs. 3 SGB XI). Die Leistung der Pflegekassen hängt dann von der Höhe des Pflegegrads ab.

Was bringt es finanziell?

Die Leistungen der Pflegekasse hängen vom Pflegegrad ab – je höher der Pflegegrad ist, desto mehr Leistungen gibt es. Wenn Angehörige oder ehrenamtlich tätige Personen die Pflege übernehmen, dann kann Pflegegeld beantragt werden. Wird der Pflegebedürftige durch einen ambulanten Pflegedienst versorgt, so werden dessen Leistungen als Pflegesachleistungen mit der Pflegekasse abgerechnet. Ambulante Pflegesachleistungen lassen sich mit dem Pflegegeld kombinieren.

Im Gegensatz zu technischen Pflegehilfsmitteln (z. B. Krankenbett) müssen Einmalprodukte (z. B. Windeln, Einmalhandschuhe oder Betteinlagen) vom Pflegebedürftigen selbst bezahlt werden. Dafür gibt es eine Erstattung in Höhe von bis zu 40 Euro monatlich.

Die Pflegeversicherung übernimmt auch Kosten für eine Ersatzpflege („Verhinderungspflege“), wenn die private Pflegeperson beispielsweise durch Urlaub oder Krankheit verhindert ist. Darüber hinaus gibt es Leistungen bei teil- bzw. vollstationärer Unterbringung (Tagespflege/Nachtpflege).

Wer genießt Bestandsschutz und wird nicht neu begutachtet?

Wer bislang bereits eine Pflegestufe hat, genießt Bestandsschutz. Es kommt zu keiner Neubegutachtung. Anstelle der bisherigen Pflegestufe wird nun automatisch mindestens der nächsthöhere Pflegegrad zugewiesen. So erhält ein Pflegebedürftiger zum Beispiel bei Pflegestufe 2 nun automatisch den Pflegegrad 3. In bestimmten Fällen kommt auch eine Eingruppierung in den zwei Stufen höheren Pflegegrad in Betracht.

Wird Kindern mit Diabetes ein Pflegegrad zuerkannt?

In der Vergangenheit war es für Kinder mit Diabetes überaus schwierig, einen Anspruch auf Pflegegeld durchzusetzen. Die Eltern mussten dafür nachweisen, dass allein aufgrund des Diabetes pro Tag ein Zeitaufwand von mindestens 90 Minuten für Unterstützungsmaßnahmen erforderlich war. Dies gelang nur selten, denn es wurde nur der Zeitaufwand berücksichtigt, der bei einem gesunden Kind derselben Altersstufe nicht ohnehin anfällt.

Mit der neuen Bewertungsskala können die für den Diabetes spezifisch erforderlichen Tätigkeiten (z. B. Messen, Abwiegen und Zubereiten der Nahrung) nun konkreter erfasst werden. Zumindest der Pflegegrad 1 dürfte bei Kindern mit Dia­betes daher nun in vielen Fällen zuerkannt werden.


von Oliver Ebert
REK Rechtsanwälte
Nägelestraße 6A, 70597 Stuttgart oder
Friedrichstraße 49, 72336 Balingen
E-Mail: Sekretariat@rek.de

Internet: www.diabetes-und-recht.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2017; 66 (1) Seite 41-43

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  • tako111 postete ein Update vor 1 Tag, 22 Stunden

    Fussschmerzen lassen leider keine Aktivitäten zu!

  • Hallo guten Abend ☺️

    Ich heiße Nina, bin 33j jung und Mama von drei zauberhaften Mädels.
    Und vor kurzem bekam ich die Diagnose Diabetes Typ 3c. Nach 5 Jahren – 11 Bauchspeicheldrüsen Entzündungen und schwangerschaftsdiabetes 2024, hat meine Drüse nun fast aufgegeben.. Ich bin irgendwie froh diese Schmerzen nicht mehr zu haben, aber merke wie schwer der Alltag wird. denn hinzukommt noch dass ich alleinerziehend bin.
    Aktuell komme ich überhaupt nicht klar mit der ganzen Situation, täglich habe ich hunderte Fragen die niemand beantworten kann. Dass ist mehr als verrückt.
    Wie habt ihr euch gefühlt in dem Moment als es diagnostiziert wurde?

    Ich freue mich sehr auf einen netten Austausch und eure Erfahrung.

    Liebe Grüße, schönen Abend
    Nina 🙂

    • Willkommen Nina, …
      da hast du ja sich schon einiges hinter Dir. Wie schaut es bei Dir mit Mutterkindkur aus, auch in hinblick einer Diabetesschulung. Hast du guten Diabetologen, Teilnahme DMP, Spritzt du selber oder Pumpe, auch hier gibt es viele Fragen. Wie sieht es mit Selbsthilfegruppen bei Euch aus. …
      Oder Forum? Gerade am Anfang, wo noch alles neu ist, – ist es schon eine tägliche Herausforderung, – da kann es hilfreich sein kleine Ziele sich zu setzen. Dabei finde ich die Aktzeptanz am wichtigsten, oder auch sich selber spritzen zu müssen, oder das Weg
      lassen bzw. bändigen des Naschen … etc. Kleine Schritte …

      Viele Fragen bekommst du auch in eine Diabetes-Schulung beantwortet,
      falls noch nicht gemacht, spreche das bei Deinem Diabetologen an!

      Über weiteren Austausch bin ich auch erfreut, schildere ruhig deine Bausstellen, … doch letztendlich sollte Dein Arzt das beurteilen.

      LG

      Wolfgang

  • swalt postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Dia-Newbies vor 3 Tagen, 5 Stunden

    Hallo zusammen. Ich möchte mich erst einmal vorstellen. Ich bin “noch” 59 Jahre, und habe wahrscheinlich seit 2019 Diabetes. Ich würde mir wünschen, endlich angekommen zu sein. Wahrscheinlich seit 2019, weil ich in einem Arztbrief an meinen damaligen Hausarzt zufällig auf den Satz: “Diabetes bereits diagnostiziert” gestoßen bin. Ich habe meinen Hausarzt dann darauf angesprochen und wurde mit “ist nicht schlimm” beschwichtigt.
    Lange Rede. Ich habe einen neuen Hausarzt und einen sehr netten Diabetologen, bei dem ich jetzt seit 4 Jahren in Behandlung bin. Ich vertrage die orale Therapie nicht und spritze ICT. Dennoch bin ich in diesem Thema immer noch absoluter Neuling. Natürlich habe ich viermal im Jahr ein Gespräch mit meinem Diabetologen. Das hilft aber im täglichen Umgang nicht wirklich. Auch die anfangs verordnete Schulung war doch sehr oberflächlich und das war es. Ich kenne nicht die Möglichkeiten, die mir zustehen. Ich habe mir alles, was ich zu wissen glaube aus Büchern angelesen. Irgendwie fühle ich mich allein gelassen, irgendwie durchgerutscht. Ich kenne niemanden in meinem Bekanntenkreis, der Diabetes hat und die nächste Selbsthilfegruppe ist über 50 km entfernt.
    Und so bin ich jetzt hier gelandet. Ich möchte wissen, wie ihr das handhabt, damit ich verstehe, was ich richtig mache und was falsch. Damit ich weiß, dass ich nicht allein damit lebe.

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