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Selbsthilfe, Communitys, Foren: Menschen mit Diabetes können sich an vielen Orten real oder virtuell treffen, Erfahrungen austauschen, sich unterstützen, Veranstaltungen durchführen, gemeinsam forschen … Durch dieses gemeinsame Handeln lässt sich oft mehr erreichen, als wenn man nur in seiner eigenen kleinen Welt bleibt. Dr. Jens Kröger, der Vorstandsvorsitzende von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe ist, berichtet im Interview mehr darüber und fordert zum Handeln auf.
Dr. Jens Kröger ist, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe sowie Internist und Diabetologe DDG im Diabeteszentrum Hamburg-City. |
Diabetes-Journal (DJ): Herr Dr. Kröger, Menschen, denen der Arzt mitteilt, dass sie Diabetes – egal welcher Typ – haben, fühlen sich oft erst einmal allein auf weiter Flur. Dabei sind sie es nicht. Was lässt sich da tun?
Dr. Jens Kröger: Sie sind nicht allein, denn wir haben 8,5 Millionen Menschen mit Diabetes insgesamt und 370 000 Menschen haben Typ-1-Diabetes, der Großteil hat Typ-2-Diabetes. Das heißt: Es sind viele.
Wenn jemand neu Diabetes hat, ist natürlich die Möglichkeit gegeben, sich bei Diabetes-Schwerpunktpraxen zu informieren und auch individuell von Diabetesberaterinnen und Diabetologen informiert zu werden. Da haben wir gerade in den Corona-Zeiten gesehen, wie hilfreich Video-Sprechstunden und Video-Schulungen sein können. Wenn die digitalen Voraussetzungen stimmen, kann eine kurzfristige Beratung erfolgen, unabhängig davon, wo jemand wohnt.
Was haben wir noch? Wir haben evaluierte digitale Therapiebegleitungs-Programme, wo man sich auch informieren kann, wie den TheraKey. Man kann sich auf der Seite diabetesde.org von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe Informationen rund ums Thema Diabetes holen. Da sind Experten-Chats zu finden, die über die Jahre aufgezeichnet wurden zu unterschiedlichen Fragestellungen. Man hat die Möglichkeit, sich bei der klassischen Selbsthilfe zu informieren, wo jetzt in der Corona-Pandemie viele persönliche Treffen nicht stattgefunden haben. Und wenn ich das gern online machen möchte, gibt es Foren im Internet – bei Facebook, bei Instagram –, wo Menschen sich treffen, sich austauschen. Ich glaube, da ist einfach die Botschaft: Du bist nicht allein! Gemeinschaft kann auch vermitteln: Wir sind viele und du bist nicht allein. Wir versuchen, dich dabei zu unterstützen – eben mit den unterschiedlichen Möglichkeiten.
DJ: Wenn man die Schlagworte Selbsthilfe und Community nimmt: Was versteht man genau darunter?
Kröger: Selbsthilfe sind selbst organisierte Gruppen von Menschen, die ein ähnliches Problem haben, ähnliche Anliegen haben, wie möglicherweise eine Krankheit, in diesem Fall den Diabetes. Im Fall von Selbsthilfegruppen treffen sich die Menschen mit Diabetes oder auch Eltern von betroffenen Kindern oder auch Angehörige von Erwachsenen, um ihr Wissen zu erweitern, sich auszutauschen, sich zu unterstützen und voneinander zu lernen. Das ist eine der wichtigen Aufgaben der Selbsthilfe.
Die Diabetes-Community hat eine ähnliche Funktion wie die Selbsthilfe, aber die Treffen und der Austausch finden in der Regel im Internet statt. Das sind Foren, in denen sich Betroffene austauschen, Blogger und Bloggerinnen, die über ihr Leben mit Diabetes berichten, und viele Menschen mit Diabetes, die mehr oder weniger aktiv in sozialen Medien sind. Dabei geht es immer darum, dass es ein Austausch von Mensch zu Mensch ist, es geht um persönliche Erfahrungen und Einschätzungen. Was aber für den Einzelnen sinnvoll und richtig ist, auch aus diesen Communitys, inwiefern eine Aussage auf den Menschen mit Diabetes zutrifft oder etwas ihn wirklich sinnvoll unterstützen kann, sollte der Einzelne mit seinem Diabetes-Team besprechen.
Was die Online-Communitys angeht, gibt es zum Beispiel #dedoc° oder die Website von Diabetes-Kids oder die Blood Sugar Lounge. Es gibt auch immer wieder Mischformen im Rahmen des Austauschs. Das heißt, auch die klassische Selbsthilfe verlegt ab und zu Treffen ins Internet, um sich da auszutauschen. Das Entscheidende ist aber, gerade bei der Community, dass das einfach ein lockerer Austausch ist, um einfach mal über das Thema Diabetes zu sprechen.
DJ: Sie haben eben schon Beispiele genannt für Communitys. Gibt es noch andere Angebote, die Sie nennen würden?
Kröger: Bei der klassischen Selbsthilfe haben wir in Deutschland vier Selbsthilfe-Organisationen wie den Deutschen Diabetiker Bund, die Deutsche Diabetes Föderation, die Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes und den Diabetikerbund Bayern, die sich unter der Diabetiker-Allianz zusammengeschlossen haben. Daneben gibt es weitere Gruppen, die eigenständig sein wollen. Die Selbsthilfe richtet sich mit ihren Gruppen an unterschiedliche Zielgruppen, zum Beispiel Kinder oder Erwachsene.
DJ: Menschen mit Diabetes, die sich zusammentun, können dabei mehr erreichen, als sich über ihre Erfahrungen auszutauschen. Was geht besser in der Gemeinschaft?
Kröger: Ich glaube, da nennen Sie einen sehr wichtigen Punkt – einen Punkt, der mir sehr am Herzen liegt. In Umfragen, die von diabetesDE – Deutscher Diabetes-Hilfe durchgeführt wurden, wurden wichtige Punkte aus Sicht der Menschen mit Diabetes und ihrer Angehörigen adressiert. Zum Beispiel steht der Wunsch nach Genehmigung individualisierter AID (automatisierte Insulin-Dosierung)-Systeme für Menschen mit Typ-1-Diabetes ganz oben auf der Wunschliste. Das ist kein Selbstläufer, obwohl es internationale Leitlinien fordern, immer wieder werden Verordnungen von Krankenkassen abgelehnt. Ein weiteres Beispiel ist die Unterstützung im Alltag durch Nährwert-Kennzeichnung von Lebensmitteln. Zur gemeinsamen (partizipativen) Entscheidungsfindung gehört es, seine Meinung kundzutun, und dann wächst auch der Druck auf die Politik und die Krankenkassen-Entscheidungen.
Ein gutes Beispiel dafür ist Dänemark. Die Dänen haben es in den letzten Jahrzehnten wirklich geschafft, diese Stimmen zu bündeln. In Deutschland hat diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe diese Aufgabe übernommen. Zum Beispiel haben wir im Rahmen von www.diabetes-stimme.de etwas geschaffen, wo die klassische Selbsthilfe, die Online-Community, Fachgesellschaften und Fachverlage vereint sind, um gemeinsam mehr Durchschlagskraft zu haben und gesundheitspolitische Forderungen für eine bessere Versorgung und auch eine gesündere Ernährung durchzusetzen.
Aus meiner Sicht: Wenn politisch alle an einem Strang ziehen, werden die Botschaften auch gehört. Dabei hat sich in den letzten Jahren auch gezeigt, dass die guten politischen Kontakte, die diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe hat, helfen können, dass auch Politiker dafür ein Gehör haben. Aber auch im Bereich der Forschung hilft es, wenn Menschen mit Diabetes an einem Strang ziehen. Zusammen mit dem Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim, kurz: FIDAM, wurde das Portal dia·link geschaffen, ein Portal von Menschen mit Diabetes, ihren Angehörigen, aber auch von Behandlungs-Teams. Bei dia·link geht es darum, Umfragen zu wichtigen Themen zu starten. Je mehr Menschen mit Diabetes sich daran beteiligen, umso mehr bildet sich ab, was benötigt wird, wo es in der Versorgung hakt. Dies ist z. B. im bereits erwähnten Dänemark ein gelernter Prozess zum Wohl der Betroffenen. Wir sollten aber diese Chance auch wahrnehmen.
DJ: Wie können sich Menschen mit Diabetes konkret dabei einbringen?
Kröger: Möglichkeit 1: Die Menschen können sich beim Befragungs-Portal dia·link registrieren unter www.dialink-diabetes.de. Damit haben sie und ihre Angehörigen die Möglichkeit, regelmäßig an Umfragen teilzunehmen, die auf sie zugeschnitten sind. Das heißt, Menschen mit Typ-1-Diabetes zum Beispiel bekommen dann auch Fragen, die für Menschen mit Typ-1-Diabetes relevant sind. Und sie können ihre Meinungen, Wünsche, Bedürfnisse mitteilen. Anschließend erfolgt eine Auswertung aller Antworten und wir können sie bei den Entscheidungsträgern thematisieren und einfordern.
Möglichkeit 2: www.diabetes-stimme.de: Bei der Diabetes-Stimme ist es möglich, dass man zum Beispiel an E-Mail-Aktionen teilnimmt. In den letzten Monaten hat es immer wieder E-Mail-Aktionen gegeben, an denen man auch weiterhin auf dieser Seite teilnehmen kann, zum Beispiel zur Forderung, dass Ernährungsberatung zu 100 Prozent erstattet werden soll oder dass Nährwerte auf Speisekarten zum Beispiel in Restaurants ausgewiesen werden sollen. Das sind nur zwei beispielhafte Punkte. Auch das gilt für Menschen mit Typ-1-Diabetes, für Menschen mit Typ-2-Diabetes und für Menschen mit anderen Diabetes-Typen.
Möglichkeit 3: #SagEsLaut. Hier geht es darum, etwas in sozialen Medien laut zu sagen, was den Diabetes angeht. Dort hat man die Möglichkeit, zum Beispiel einen kleinen Film von sich zu machen, wo man bestimmte Dinge, die einem auf dem Herzen liegen, einfach darstellt. Über diese Dinge öffentlich, auch in diesen Foren, zu sprechen, kann eine Bewegung weiter vergrößern. Und wie ich eingangs schon sagte: Wir haben 8,5 Millionen Menschen mit Diabetes – und diese 8,5 Millionen Menschen mit Diabetes und ihre Angehörigen und Menschen, die ein erhöhtes Risiko für Diabetes haben, die können einfach viel bewegen, und zusammen erreicht man mehr, als wenn jeder für sich allein oder in kleinen Gruppen kämpft. Die Möglichkeiten dafür waren noch nie so groß und vielfältig wie jetzt. Dafür haben wir eben jetzt bei den Foren, die ich genannt habe, viele Möglichkeiten, sich zu äußern – damit wir die Bedürfnisse von Menschen mit Diabetes noch besser erfahren und noch besser adressieren und umsetzen können.
DJ: Herzlichen Dank für dieses Engagement und diese Informationen.
Interview:
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2022; 71 (5) Seite 14-16
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