Auf eigene Gefahr – der Technik die Kontrolle übergeben

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Auf eigene Gefahr – der Technik die Kontrolle übergeben

Disclaimer:
Ich betreibe ein Do-it-yourself-Closed-Loop-System (kurz: Loop) auf eigenes Risiko. Meine Ausführungen sind keinesfalls als Therapieempfehlung zu verstehen und sollten nicht nachgemacht werden. Sie geben lediglich das Ergebnis meiner Selbstversuche wieder.

Ich habe mich schon immer sehr für Technik interessiert, auch wenn mein technisches Verständnis gar nicht so groß ist. Aber kleine Spielereien und Neues habe ich immer gerne ausprobiert, aus purer Neugierde. Deswegen habe ich auch einige Zeit etwas neidisch auf die sogenannte Do-it-Yourself-Looper-Szene geblickt. Mein Interesse an den selbstgebauten Closed-Loop-Systemen war groß. Genauso groß war aber auch mein Respekt vor der Technik. Ganz alleine würde ich so etwas bestimmt nicht hinbekommen, dafür reichte mein Technikverständnis dann wohl nicht.

Als unser Wunsch nach Familienplanung immer realer wurde, wuchs auch der Wunsch zu loopen. So groß wie auch mein Respekt vor der Technik war, der Respekt vor einer Schwangerschaft war noch größer, es war regelrechte Angst. Die Angst, die Zielwerte in einer Schwangerschaft nicht erreichen oder halten zu können und somit dem ungeborenen Kind zu schaden, war schon immer eine absolute Horrorvorstellung meinerseits.

„Bevor ich darüber nachdenken kann, eine Schwangerschaft zu planen, möchte ich das Loopen ausprobieren. Ich möchte gerne wissen, ob ich es mit so einem System schaffe, meinen HbA1c-Wert dauerhaft zu senken. Das habe ich in den letzten 20 Jahren kaum hinbekommen!“ Ich sprach mit meinem Freund, der im Gegensatz zu mir eine Art Technik-Nerd ist, und nach ein bisschen Recherche entschieden wir uns, es zusammen zu versuchen.

Loopen auf eigene Gefahr

Quelle: Lisa Schütte

Zusammen mit meinem Freund las ich also wochenlang die Informationen und Anleitungen im Internet, tauschte mich mit „Loopern“ aus und fing an, mir die nötige Technik zu besorgen. Normalerweise bin ich ein unheimlich ungeduldiger Mensch, der es kaum erwarten kann loszulegen. Doch dieses Mal war ich mir der Verantwortung durchaus bewusst, schließlich erfolgt diese Art zu loopen komplett auf eigene Gefahr.

Anschließend testete ich über Wochen meine Basalrate und meine Faktoren und schaffte es schon in dieser Vorbereitung auf meinen Ziel-HbA1c-Wert zu kommen. „Die Technik funktioniert so gut wie die Qualität deiner Daten“, hieß es überall. Ich wollte sichergehen, dass ich meine eigenen Parameter wirklich gut kannte.

Monate später war es dann so weit. Wir legten den Loop an und starteten die Technik. Ich war ein bisschen erstaunt, wie einfach es in diesem Moment wirkte, und konnte es kaum glauben. In den nächsten Wochen musste ich dann noch etwas ganz anderes lernen:

Verantwortung abgeben

Quelle: Lisa Schütte

Dem System zu vertrauen und meine Verantwortung ein Stück weit abzugeben. 20 Jahre lang war ich es gewöhnt, auf meine Blutzucker- und Gewebezuckerwerte zu reagieren. Mir zu überlegen, was jetzt das Beste für meine aktuelle Stoffwechsellage ist, und dementsprechend zu handeln. Dieses Verhalten konnte ich nicht sofort abstellen und griff trotz Loops relativ häufig in meine Therapie ein. Doch das nahm meistens kein gutes Ende und ich landete fast immer in einer „Hypo“. Ich musste mich regelrecht zwingen, nicht selbst zu handeln und dem System zu vertrauen. Manchmal kamen mir die Bolus- und Korrekturabgaben seltsam vor, ich selbst hätte es ganz anders gemacht. Doch mit der Zeit sah ich, dass es funktionierte.

Ein komisches Gefühl. Irgendwie fremdbestimmt. Als Kind halfen mir meine Eltern zwar bei der Berechnung meiner BEs und Insulineinheiten, animierten mich aber immer dazu, selbst zu rechnen. Sie waren nur ein Sicherheitsbackup. Relativ schnell übernahm ich dann meine Diabetestherapie selbst und meine Eltern durften spätestens ab der Pubertät kaum noch mitreden. Seitdem reagierte ich fast allergisch auf das Einmischen von jedem in meine Diabetestherapie. Sogar bei Ärzten. Es war mein Körper, mein Diabetes, mein Alltag. Niemand kannte all das so gut wie ich. Wieso sollte mir irgendjemand reinreden können oder dürfen?

Wie viel Technik ist zu viel Technik? Eine individuelle Frage

Quelle: Lisa Schütte

Die neue Technik weckte meine Neugierde hauptsächlich wegen der technischen Spielereien. Als es ernst wurde und je länger ich mein DIY-Closed-Loop-System trug, desto mehr wurde mir klar, dass es alles andere als eine Spielerei war, sondern durchaus die Zukunft der Diabetestherapie einläutete. Ich musste nicht nur lernen, ein bisschen Verantwortung an die Technik abzutreten, ich konnte es auch. Meine Werte sprachen für sich. Zugegeben, ich war anfangs skeptisch und glaubte nicht wirklich daran, doch ich schaffte es endlich, meine Blutzucker-Schwankungen zu reduzieren, weniger „Hypos“ zu haben und einen guten HbA1c-Wert zu erzielen, auf Dauer. Das war mir in meiner gesamten Diabeteskarriere selten gelungen. Ein weiterer Pluspunkt war, dass ich tatsächlich weniger Aufwand im Diabetes-Alltag hatte. Oft schaute ich auf mein Handy, um zu überprüfen, wo meine Werte lagen und was Loop gerade so tat, und in der Regel war alles gut. Dennoch sollte man sich bewusst sein, dass auch Technik Fehler haben und machen kann. Man selbst verschwindet nicht komplett aus der Diabetestherapie, sondern ist nach wie vor das „Gehirn“ hinter allem. Man selbst trägt am Ende die Verantwortung für alles, besonders bei einem selbstgebauten Closed-Loop-System. Die Technik ist heute eine tolle Unterstützung und Hilfe, sie gibt uns die Möglichkeit auf einen ganz neuen Alltag mit Diabetes und zeigt, was in Zukunft noch möglich werden könnte. Doch das ist sicherlich nicht für jeden etwas. Besonders der Aspekt, die eigene Therapie ein Stück weit aus den Händen zu geben. Das verstehe ich durchaus und deswegen muss jeder für sich entscheiden, wie viel Technik gut für ihn und seinen Diabetes ist.


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  • hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid

    • Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike

    • @mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid

    • Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike

  • Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂

    Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/

  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • darktear antwortete vor 2 Wochen

      Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

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