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Seit der Pharmariese Abbott Mitte Oktober 2014 sein neues Glukose-Messsystem „FreeStyle Libre“ auf den Markt gebracht hat, ist in der Diabetes-Community eine regelrechte Massenhysterie ausgebrochen, die auch ein Jahr später noch nicht abgeklungen ist. Noch immer kommt Abbott mit der Produktion nicht hinterher und beliefert derzeit nur Bestandskunden, die lange Warteliste wird nur Schritt für Schritt abgearbeitet.
Als erste gesetzliche Krankenversicherung hatte im Februar 2015 die DAK auf den Trend reagiert: Sie bietet seit Juni 2015 ausgewählten DMP-Patienten das FreeStyle Libre als freiwillige Leistung an. Im Rahmen des neuen Programms werden bevorzugt Diabetiker angesprochen, aus deren DMP-Daten sich schließen lässt, dass sie in besonderer Weise vom FreeStyle Libre profitieren könnten. Dies sind zum Beispiel Diabetiker mit schlechten HbA1c-Werten oder häufigen Krankenhauseinweisungen wegen Hypoglykämien. Man kann sich nicht um eine Teilnahme an diesem neuen Versorgungsmodell bewerben, sondern wird von der DAK angeschrieben. Die ausgewählten Versicherten erhalten dann das FreeStyle Libre (Lesegerät und Sensoren) vollständig von ihrer Krankenkasse erstattet.
Beinahe zeitgleich mit der DAK gab auch die Techniker Krankenkasse bekannt, dass auch sie ihren Versicherten im Rahmen eines neuen TK-Gesundheits-Coachings die Kosten für das neue Messsystem erstatten will – zumindest anteilig. Zum TK-Gesundheits-Coaching gehören auch ein elektronisches Blutzuckertagebuch (online oder als Smartphone-App), Online-Kurse und ein Online-Coaching bei Problemfragen, man muss aber nicht das komplette Gesundheits-Coaching nutzen und kann sich durchaus auf die Erstattung der Kosten für des FreeStyle Libre beschränken. Anfangs verbreitete die TK noch zum Teil widersprüchliche Angaben über die Höhe der Erstattung: So hieß es erst, sie wolle Anwendern die Kosten für das Messsystem bis zur Höhe der entsprechenden Kosten für Blutzuckerteststreifen erstatten, dann wieder war von 55 bis 60 Prozent der Gesamtkosten die Rede. Mittlerweile hat sich das Prozedere aber eingependelt: Die Anwender kaufen sich ihre Sensoren selbst bei Abbott und können pro Monat maximal 95 Euro (von insgesamt 125,80 Euro für zwei Sensoren plus Versandkosten) beim Hilfsmittelzentrum der TK einreichen. Voraussetzung für die Erstattung ist ein Rezept des behandelnden Diabetologen, doch hier reicht ein formloses Privatrezept völlig aus.
In den vergangenen Monaten sind noch weitere Versicherungen und Krankenkassen hinzugekommen, die ihren Versicherten das FreeStyle Libre ebenfalls vollständig oder anteilig finanzieren. Gute Chancen auf eine Kostenerstattung haben zum einen Privatversicherte (zum Beispiel bei der Debeka), wie meine kleine Auswertung von Beiträgen und Kommentaren in den einschlägigen Facebook-Gruppen ergab. Bei den gesetzlichen Krankenkassen sind es vor allem die Betriebskrankenkassen (BKK), die sich aufgeschlossen und spendabel zeigen. So hat zum Beispiel die Schwenninger BKK zum 1. August 2015 einen Vertrag mit Abbott abgeschlossen, in den sich ihre Versicherten einschreiben können. Voraussetzung ist, dass es sich um Typ-1- oder Typ-2-Diabetiker handelt, die mit intensivierter konventioneller Insulintherapie (ICT) behandelt werden. Ob die Kostenübernahme genehmigt wird, ist eine Einzelfallentscheidung, doch die Anerkennungsquote ist nach Auskunft der Schwenninger BKK sehr hoch. Sobald der Antrag bewilligt wurde, muss der Versicherte nur noch eine ärztliche Verordnung einreichen, dann organisiert die BKK die Versorgung und Abrechnung über das Unternehmen Abbott, wobei den Versicherten nur der gesetzliche Eigenanteil in Rechnung gestellt wird. Der Vorteil von Direktverträgen der Kassen mit Abbott liegt natürlich auf der Hand: Die Versicherten müssen nicht mehr in Vorleistung gehen, und außerdem kommen auch diejenigen zum Zuge, die auf der Warteliste bislang noch nicht weit genug nach vorn gerückt sind, um auf eigene Rechnung bestellen zu können. Andere BKK haben zwar keine Direktverträge mit Abbott, erstatten aber die Kosten für das FreeStyle Libre (zum Beispiel die BKK Deutsche Bank oder die Energie BKK). Auch die BKK Audi und die BIG Direkt übernehmen die Kosten. Generell scheinen die Krankenkassen diese Informationen aber nicht an die große Glocke hängen zu wollen, denn auf ihren Internetseiten weisen sie nirgends auf diesen Zusatzservice hin.
Dass bereits so viele gesetzliche Krankenkassen ihren Versicherten das FreeStyle Libre finanzieren, ist eigentlich ziemlich erstaunlich. Denn schließlich gibt es noch keine wissenschaftlichen Belege für den Zusatznutzen dieser neuen Methode. Und auf einen Zusatznutzen gegenüber herkömmlichen Verfahren kommt es dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) an, der über die Aufnahme neuer Verfahren in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen zu entscheiden hat. Eine Nutzenbewertung durch den G-BA kann sich im Normalfall gern schon einmal mehrere Jahre hinziehen. Das FreeStyle Libre zeigt aber, dass es offenbar manchmal auch ohne das positive Votum des G-BA ganz schnell und unbürokratisch vonstattengehen kann, wenn Versicherte Zugang zu Innovationen fordern, die ihnen den Umgang mit ihrer Erkrankung erleichtern.
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