#ImplantFiles: Was ist dran an den Vorwürfen zur Insulinpumpentherapie?

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#ImplantFiles: Was ist dran an den Vorwürfen zur Insulinpumpentherapie?

Es war Montagmorgen, als ich zum ersten Mal über das Thema stolperte. In einer Facebook-Gruppe hatte jemand einen Link zu einem Artikel bei Tagesschau.de, der mit der Überschrift „Überdosis aus der Insulin-Pumpe“ natürlich sofort die Aufmerksamkeit eines jeden Menschen mit Diabetes erregt. Am Abend dann schaute ich mir den dazugehörigen TV-Beitrag an, der mit dem Artikel getriggert wurde und in dem das Thema Insulinpumpen eine eher untergeordnete Rolle spielt. Und ich las einen Beitrag in der Süddeutschen, der sich ausschließlich um Probleme mit Insulinpumpen dreht. Und fand darin eine Reihe von Ungereimtheiten, die mich zu einer Gegenrecherche veranlassten. Ich stehe gerade erst am Anfang dieser Recherche, aber ich möchte hier schon einmal ein paar erste Eindrücke schildern.

Quelle: Pixabay

Worum geht es bei den #ImplantFiles?

Es geht nicht nur um Insulinpumpen. Vielmehr sollen die #ImplantFiles als ein internationales Rechercheprojekt den Schaden beleuchten, den unzureichend geprüfte Implantate und andere Medizinprodukte weltweit anrichten. Aus der hiesigen Medienlandschaft waren Journalisten vom WDR und NDR sowie der Süddeutschen daran beteiligt. Es ist dasselbe Rechercheteam (International Consortium of Investigative Journalists, ICIJ), das vor einer Weile auch die Panama und Paradise Papers aufgedeckt hat. Wie die Süddeutsche in einem Hintergrundartikel über die Recherchemethodik berichtet, haben fast zwei Jahre lang „mehr als 250 Journalisten aus 36 Ländern Unterlagen analysiert und unzählige Patienten und Experten gesprochen, um herauszufinden, wie Medizinprodukte getestet, zugelassen und vermarktet werden“. Neben Insulinpumpen geht es in erster Linie um Medizinprodukte wie Gelenkimplantate und Herzschrittmacher.

Worum geht es in dem Insulinpumpen-Fall aus Deutschland?

Es geht um den 10-jährigen Maximilian, der seit dem 2. Lebensjahr Typ-1-Diabetes hat und eine MiniMed 640G trägt. Vor einer Weile fühlte sich der Junge im Unterricht unterzuckert und stellte mit einem Blick auf das Pumpendisplay fest, dass noch 8,8 Einheiten Insulin aktiv waren. Offenbar waren 10 Einheiten Insulin abgegeben worden, die der Junge nicht gebrauchen konnte. Maximilian und seine Mutter sagen, er habe diesen Bolus nicht selbst ausgelöst, sondern die Pumpe habe ihn irgendwie verabreicht. Sie halten die Pumpe für nicht ausreichend sicher und sind offenbar auch unzufrieden mit dem Kundendienst von Medtronic. Bei Medtronic ist man der Auffassung, die ungewollte Bolusgabe sei auf einen Anwenderfehler zurückzuführen. Es steht nun erst einmal Aussage gegen Aussage.

Was stört mich an der Art der Darstellung?

Durch die insgesamt recht reißerische Darstellung entsteht der Eindruck, die Insulinpumpentherapie per se sei gefährlich, insbesondere für Kinder. So unangenehm und beängstigend eine Hypoglykämie auch sein mag, ist doch sehr fraglich, ob ein Kind durch eine einmalige Dosis von 10 Einheiten Insulin wirklich ernstlich zu Schaden kommen kann. Außerdem ist in Fachkreisen unstrittig, dass gerade Kinder sehr von Insulinpumpen profitieren. Mal toben sie, mal sitzen sie still, mal haben sie Bärenhunger, mal kriegen sie keine Bissen herunter, sie streiten mit ihren Geschwistern und haben Wachstumsschübe. All dies sind Faktoren, die den Insulinbedarf stark variieren lassen.

Mit einem Insulinpen ist ein Feintuning bei der Insulindosierung, wie es eine Pumpe erlaubt, nicht möglich. Damit man eine Pumpe sinnvoll nutzen kann, muss man aber mit ihren Funktionen gut vertraut sein. In diesem Punkt unterscheidet sich eine Insulinpumpe doch sehr von einem künstlichen Hüftgelenk, das einmal eingebaut wird und danach vom Patienten nicht beeinflusst werden kann. Eine Pumpe ist für ihre Träger ein Alltagsgegenstand, den sie täglich in den Händen haben und bei dem deshalb auch jede Menge Anwenderfehler möglich sind. Ich kann mir kein Urteil darüber erlauben, wie gut Maximilian und seine Mutter im Umgang mit der Pumpe geschult waren. Aber der Aspekt möglicher Anwenderfehler muss in einem solchen Bericht auf jeden Fall erwähnt werden.

Viele Eltern von Kindern mit Diabetes fürchten nun, dass sie nun aufs Neue Probleme mit Schulen und Kindergärten bekommen könnten, weil diese sich nach der dramatischen Darstellung in dem ARD-Fernsehbeitrag weigern, ein Kind mit einem vermeintlich so gefährlichen und unsicheren Gerät wie einer Insulinpumpe zu betreuen. Dabei haben Familien mit Diabeteskindern auch so schon genügend Probleme, eine qualifizierte Betreuung für ihren Nachwuchs zu finden bzw. ihre Ansprüche gegenüber Schulen und Kindergärten durchzusetzen.

Wäre mit einer staatlichen Zulassungsstelle alles besser?

Die Autoren der #ImplantFiles monieren, das hiesige System der Zulassung von Medizinprodukten sei zu lasch. Es sei viel zu einfach, über ein privates Zertifizierungsinstitut ein CE-Kennzeichen zu bekommen, das zum Marktzugang berechtigt. Sie plädieren für eine staatliche Zertifizierungs- und Überwachungsstelle. Nun hat sich seit dem Skandal um die mit billigem Industriesilikon gefüllten, fehlerhaften Brustimplantate des französischen Unternehmens PIP ja schon herumgesprochen, dass es bei der CE-Kennzeichnung durch die Benannten Stellen (hier war es der TÜV Rheinland) nicht immer ganz korrekt zugeht. Das System ist mit Sicherheit reformbedürftig, die Auflagen gehören in vielen Punkten verschärft. Doch ob die Übertragung der Verantwortung an eine staatliche Stelle mit einem Schlag alle Probleme beseitigt, wage ich zu bezweifeln. Man muss sich ja nur einmal die Rolle des Kraftfahrzeugbundesamts im Dieselskandal anschauen, um zu verstehen, dass sich auch mit staatlichen Stellen korrumpierbare Strukturen entwickeln können, die dem Verbraucher schaden.

Welche Informationen recherchiere ich nun weiter?

Ich habe die Arbeitsgemeinschaft Diabetes &  Technologie (AGDT) der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) um ein Interview gebeten. In dieser AG sind schließlich die führenden Experten auf dem Gebiet der Diabetestechnologie in Deutschland versammelt. Allerdings wird man dort derzeit – wen wundert’s – mit derart vielen Anfragen überrannt, dass man beschlossen hat, vorerst keine Einzelinterviews zu geben, sondern erst einmal Fragen zu sammeln und dann in irgendeiner Form in einer Stellungnahme darauf zu reagieren. Mich interessiert sehr, wie die AGDT-Experten die Sicherheitsstandards beim Zulassungsverfahren von Medizinprodukten wie Insulinpumpen einschätzen, ob sie es für möglich halten, dass eine Insulinpumpe einfach unbeabsichtigt einen Bolus abgibt, und ob sie die Kontrolle und Überwachung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für ausreichend halten.

Bis ihre Antworten bzw. ihre Stellungnahme eintrudeln, werde ich auf eigene Faust weiter recherchieren. Ich möchte zum einen gern mehr darüber wissen, was es mit den mehrfach genannten Fehlern bei Infusionssets von Medtronic auf sich hat. Ich trage selbst keine Insulinpumpe, bin mit dieser Materie also nicht persönlich vertraut. Könnten die defekten Infusionssets, wegen derer es im vergangenen Jahr immerhin eine große Rückrufaktion gegeben hat, verantwortlich für unbeabsichtigt hohe Insulingaben sein? Zum anderen möchte ich gern noch ein bisschen genauer verstehen, wie hoch die regulatorischen Hürden wirklich sind, bevor eine Insulinpumpe nicht nur zugelassen, sondern auch ins Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen wird.

Denn ohne einen Eintrag in dieses Hilfsmittelverzeichnis lässt sich in Deutschland nicht viel anstellen – da hilft auch der schönste CE-Stempel nichts. Ich möchte weitere Fakten checken, die mir unsauber dargestellt erscheinen. Und zu guter Letzt möchte ich auch mit den Journalisten Kontakt aufnehmen, die zum Thema Insulinpumpen recherchiert haben: Wie gut stecken die wirklich in der Materie? Wenn ich dann alles klarer durchschaue, werde ich mir überlegen, in welcher Form und über welchen Kanal ich erneut über das Thema berichte.

Habt ihr vielleicht Lust, mir bei diesen Recherchen zu helfen? Dann meldet euch bei mir unter info@antje-thiel.de. Ich freue mich auf eure Nachrichten!

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