Künstliche Bauchspeicheldrüse: Selbst bauen oder warten?

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Künstliche Bauchspeicheldrüse: Selbst bauen oder warten?

Im Rahmen einer internationalen Fachtagung fand eine Debatte darüber statt, ob man besser abwarten sollte, bis ein marktreifes System entwickelt wird, das die Funktion einer gesunden Bauchspeicheldrüse nachahmt oder ob man in Eigenregie an solch einer „Künstlichen Bauchspeicheldrüse“ basteln soll und darf.

Beim Kongress der International Diabetes Foundation (IDF), der im vergangenen Dezember in Abu Dhabi stattgefunden hat, gab es u.a. ein Symposium mit dem Titel „Debate Diabetes Technology: We’re not waiting vs. we are waiting“ (zu Deutsch: „Debattieren über Diabetes-Technologie: Wir warten nicht vs. wir warten“).

Do-it-yourself-APS

In dieser Pro-Contra-Session ging es explizit um die Frage, ob technologisch versierte Diabetes-Patienten selbst an einem System tüffteln sollten, das die Funktion einer gesunden Bauchspeicheldrüse nachahmt – also eine „Künstliche Bauchspeicheldrüse“ bzw. auf Englisch „Artificial Pancreas System“ (APS) – oder besser abwarten, bis ein marktreifes, in aufwändigen Studien auf seine Sicherheit und Wirksamkeit getestetes Produkt erhältlich sein wird.

Dies ist keine rein theoretische Debatte, denn es gibt längst Diabetes-Patienten, die sich mit Hilfe eines Minicomputers, der die Steuerung einer Insulinpumpe übernimmt, selbst an einem APS werkeln. Hierbei handelt es sich jedoch um einen nicht von den Herstellern legitimierten Eingriff, der ohne jegliche Gewährleistung in Eigenverantwortung der Nutzer geschieht. Die Anleitungen hierzu und die Geräte sind im Internet frei verfügbar und dort hat sich unter dem Schlagwort „openAPS“ auch bereits eine hochmotivierte Gruppe zusammengefunden.

So funktioniert eine „Künstliche Bauchspeicheldrüse“

Vor allem Menschen mit Typ-1-Diabetes setzen große Hoffnung in die Entwicklung von vollautomatischen Insulinpumpen, die wie eine künstliche Bauchspeicheldrüse funktionieren. Über einen Sensor im Unterhautfettgewebe wird kontinuierlich die Zuckerkonzentration im Gewebswasser gemessen und per Funk an einen Computer übermittelt. Dieser errechnet mithilfe einer speziellen Software die aktuell erforderliche Insulinmenge.

Die Insulinpumpe erhält dann automatisch den Befehl, die korrekte Menge Insulin abzugeben. Über ein Notebook oder – noch handlicher – über einen Tablet-Computer kann der Patient bei Bedarf individuell eingreifen.

Ein solches System würde das Diabetesmanagement für die Betroffenen wesentlich erleichtern. Unterzuckerungen (Hypoglykämien) werden wirksamer verhindert und der Blutzucker stabiler gesteuert als mit konventionellen Insulinpumpen – so die Ergebnisse bisheriger Studien.

Die Fraktion „Why we are waiting“

Annabel Astle war Vertreterin der Position „Why we are waiting“. Sie erzählt die Geschichte ihrer Tochter, die mit 7 Monaten Typ-1-Diabetes bekommen hat. Über all ihre Erfahrungen und Erlebnisse mit ihrer Tochter und deren Wachstum bis ins Teenage-Alter berichtet sie detailliert und einfühlsam auf ihrem Blog theunderstudypancreas.com, der als einer der Top 100 Diabetes-Blogs (blog.feedspot.com) gelistet ist.

Sie berichtet sehr emotional die Geschichte der Manifestation. Zunächst wurde ihre Tochter auf einer Intensivstation behandelt, die Familie hat wenig Schulung erhalten. Zu Hause war die Behandlung eine sehr große Herausforderung.

Nach Beginn der Pumpentherapie musste sie feststellen, dass in der behandelnden Praxis keine Erfahrung mit CSII (kontinuierliche subkutane Insulin-Infusion) bestand, ihre Tochter war zu diesem Zeitpunkt die einzige Patientin, so dass sich die Familie vieles selber beigebracht hat und aus Büchern und Selbsthilfegruppen Hilfe erhalten hat. Zunächst hatte ihrer Tochter eine D-Tron-Pumpe. Sie beschreibt die technischen Hilfsmittel als große Hilfe im Alltag, es waren keine Unterbrechungen im normalen Leben mehr nötig, ihre Tochter hatte viel weniger Hypoglykämien (Zitat: „fantastic“).

Aktuell nutzt ihre Tochter den DexComG5-Sensor und trägt ihn an einer nicht vom Hersteller zugelassenen Stelle. Sie nutzen kein Do-it-yourself-System und sie hat sich die Frage gestellt, ob es ein „Vogel-Strauß-Verhalten“ ist, so etwas nicht zu tun.

Die Risiken eines Do-it-yourself-APS

Sie beschrieb, wie die Familie gemeinsam dieses Thema diskutiert hat. Insgesamt sehen alle den großen Benefit der Technik im Leben der Tochter. Diese selbst ist aber derzeit mit ihrer Therapie zufrieden, hat keine Probleme, aus deren Sicht also kein Grund, etwas zu ändern. Doch selbst wenn die Tochter zugestimmt hätte, wäre Annabel sicher gewesen, dass diese aufgrund des Alters nicht vollständig alleine entscheiden kann. Sie hat für sich versucht, das Risiko einer Therapie mit einem DIY-Artificial-Pancreas abzuschätzen.

Für sie stand die Gefahr der Therapiekontinuität als wichtigster Punkt gegen ein solches System: Was, wenn die Tochter etwas davon verliert? Wenn Teile kaputtgehen, woher kann man Ersatzteile bekommen? Für Reparaturen hat niemand in der Familie ausreichenden technischen Hintergrund. Wer würde ein ausreichendes Training sicherstellen, dass alle mit einem selbstgebauten System umgehen können?

Sicherheitsvertrauen in umfangreich geprüfte Systeme

Sie weiß genau, dass kommerzielle Produkte vielen standartisierten Tests unterzogen werden, dass es viele gesetzliche Anforderungen und Prüfungen und somit auch Garantien der Hersteller gibt. Dieses alles gibt ihr das ausreichende Sicherheitsvertrauen in die erhältlichen technologischen Produkte.

Und wenn es doch so wäre, dass ein automatisches System defekt ist, dann wären plötzlich alle Pflichten wieder da, die zwar auch jetzt da sind, aber dann vom Gewohnheitsgefühl des automatisierten aus.

Ihr Ziel sei es, für ihre Tochter „die mentale Gesundheit schützen, die körperliche Gesundheit stärken“. Sie sei nicht gegen technologische Neuerungen, im Gegenteil, sie freue sich sehr auf automatisierte Systeme, sobald diese alle Prüfungen überstanden hätten und zugelassen seien. Ihre langjährige Erfahrung als Mutter mit den vorgetragenen Bedenken lässt sie schließen: „So we are waiting!“

Die Fraktion „We are not waiting“

Dana Lewis spricht für die Ansicht „We are not waiting“. Dabei ist #WeAreNotWaiting das Hashtag der openAPS-Initiative, die mit Dana Lewis und ihrem Mann begann. Auch Dana Lewis berichtet von ihrer Manifestation, als sie 14 Jahre alt war, davon, dass sie für ihre College-Ausbildung quer durch das Land umziehen musste und dort auch Arbeit finden musste.

Die verfügbaren Diabetes Tools empfand sie als nicht perfekt, aber „Gold-Standard“, da es nichts anderes gab. Sie hatte viele hohe und niedrige Werte mit einem nächtlichen Unterzuckerungsrisiko, das ihr immer bewusst war.

Sie berichtet von einem für sie einschneidenden nächtlichen Unterzuckerungsereignis, bei dem sie durch den Alarm geweckt wurde, den Sensorwert sehen konnte, aber unfähig war, sich zu bewegen. Sie war im vollen Bewusstsein, vollständig auf die Hilfe von anderen angewiesen zu sein, und das empfand sie als sehr schrecklich, als Alptraum.

Erweiterung bestehender Systeme

So fasste sie den Gedanken, dass es zwar keine Möglichkeit gibt, die bestehenden Systeme zu verändern, aber vielleicht anderes hinzuzufügen. In sozialen Medien ist sie auf Leute aufmerksam geworden, die sich aus bestehenden Komponenten selber vorausschauende Alarmsysteme oder fernübertragende Systeme gebaut haben. Diesen Schritt von einem reaktiven zu einem prädiktiven System hat sie in ihrem Vortrag als „Open Loop“ bezeichnet: Feedback und Hinweise in Echtzeit, Verhinderung von Unterzuckerungen durch Warnungen. Dieses war ein großer Fortschritt in ihrer Therapie.

Abb. 1: Bauteile eines openAP-Systems mit Handyanzeige der Glukosekurve und Trend.

Informationen zu teilen und auch die entsprechenden Anleitungen, Codes und Programme öffentlich kostenlos zur Verfügung zu stellen, ist der Grundgedanke der „Open Source“-Idee, so wie „do it yourself“.

Selbstkreiertes Closed-Loop-System

Und um ein vollständiges Closed-Loop-System zu erstellen, hätten wir alle notwendigen Werkzeuge bereits in der Tasche (an dieser Stelle hat Dana Lewis einen Minicomputer aus ihrer Tasche gezogen, der ihr Closed-Loop-System darstellt und sonst an ihrem Gürtel hängt).

Ihr Closed-Loop tue einfach das, was er solle: mehr Insulin bei hohen Werten, weniger Insulin bei niedrigen Werten sowie eine Warnung vor drohender Unterzuckerung. Die 3 Jahre, in denen sie das Closed-Loop-System verwendet, beschreibt sie als 3 Jahre „peace of mind“ („Seelenfrieden“), 3 Jahre flache Kurven (Sensorglukose).

Der Grundgedanke war es, mit der Closed-Loop-Programmierung aufzuhören, sobald kommerzielle Produkte verfügbar sind. Die bereits in den USA zugelassene 670G beschreibt sie als aktuell „nur eingeschränkt verfügbar“ für den globalen Markt und in der technischen Fähigkeit deutlich hinter dem aktuellen selbstprogrammierten System: Seit 3 Monaten hätte sie nicht manuell gebolt, nur jeweils die Kohlenhydrate der Mahlzeit eingegeben (mit Fiasp – faster-acting Insulin aspart).

Sie nennt die Last des Alltags viel geringer, wenn auch mal Pause vom Diabetes sein kann. Aber auch die Zeit im Alltag werde mehr, weil man sich weniger um den Diabetes kümmern müsse.

Die anschließende Diskussion

In der Diskussion wurde zunächst die Frage nach der Empfindlichkeit des Mini-Computers gestellt; in einem festen Plastikgehäuse sei dieses kein Problem.

Eine deutsche Kinderärztin, die so ein System selber benutzt, stellt die Frage: „Was soll man den Patienten sagen als Arzt?“ Die einhellige Meinung im Plenum hierzu war die Antwort: „Man kann es nicht verschreiben, aber man kann gemeinsam drüber sprechen, um in Kontakt zu bleiben und die Patienten zu unterstützen.“

Abb. 2: Bauteile eines openAP-Systems [mod. nach: D. Lewis].

Eine Großmutter im Auditorium, die eine Enkelin in Kalifornien mit einem Typ-1-Diabetes hat, bezeichnet das von Dana Lewis vorgestellte Modell als „best thing ever“, es sei schade, dass die Unterstüzung der Firmen fehlt. Hierzu wird diskutiert, dass der Fokus von Firmen auf Vertrieb liegt, was mit dem aktuellen System nicht möglich ist.

Notwendigkeit einer Kalibrationshygiene

Auf die Frage nach der Sensorgenauigkeit wird auf die Notwendigkeit einer Kalibrationshygiene hingewiesen. Es gibt alle Arten von Sensoren, die von Anwendern genutzt werden: DexCom, Medtronic oder FreeStyle Libre, die mit einem Zusatzgerät eine Echtzeitmessung ermöglichen.

Ein Mitdiskutant, der sich als „Gordon aus Australien“ vorstellte, bezeichnete sich selber als altmodisch, er nutze Insulin aus einer Einmalspritze und glaube nicht, dass so ein System sicher sei. In der Erwiderung wurde beschrieben, dass, wenn das Closed-Loop-Gerät kaputt oder die Batterie alle sein, Pumpe und Sensor weiterhin funktionieren würden.

Als System ohne extra Computer, dafür mit einer App, wurde das Android-APS genannt, das mit der in Europa erhältlichen Dana-R Pump (nicht verwandt mit der Vortragenden) kommuniziert und auch von der starken deutschen Community genutzt wird. Für neumanifestierte Patienten wird solch ein System vom Plenum als zu herausfordernd angesehen.

Im Schlussstatement bittet Dana Lewis darum, den Patienten eine individuelle Entscheidung zu ermöglichen, die DIY-Community biete hierzu Optionen. Angesteckt von der allgemeinen Euphorie, die Dana Lewis verbreitete, richteten sich alle Fragen in der Diskussion an sie. Astle kam nicht mehr zu Wort. Das Risiko eines Fehlers im programmierten Algorithmus wurde nicht diskutiert.

Fazit

  • Die Argumente von Astle, auf sichere und geprüfte Produkte im Handel zu warten, sind nachvollziehbar. Genau aus diesen Gründen gibt es die hohen Anforderungen an Medizinprodukte, die alle Hersteller in aufwändigen Genehmigungsverfahren erfüllen müssen.
  • Dass in einer technisierten Welt, junge internetaffine Menschen ungeduldig werden und erkennen, dass technisch schon viel mehr möglich als verfügbar ist, ist ebenso nachvollziehbar. Das Risiko für das Ergebnis der eigenen Dia­betestherapie liegt immer im Patienten selbst.
  • Für die Behandler bleibt an dieser Stelle nur die Möglichkeit, für die Patienten da zu sein, und sie bei der Nutzung zu begleiten und in der Insulintherapie zu beraten.

Kommentar
Do it yourself: Wer trägt das Risiko?

Spätestens seit den Möbeln, die man selbst zusammenbauen muss, ist „do it yourself“ völlig normal. Aber wie weit kann und darf das gehen? Ist das Selbstbauen bei Medizinprodukten, die normalerweise einen langen und aufwendigen Zulassungsweg durchlaufen, auch in Ordnung? Eine schwierige Frage …

Welcher Diabetiker wünscht sich nicht, sich nicht mehr um seine Therapie kümmern zu müssen? Was liegt da näher, als alles an die heute verfügbare Technik abzugeben? Es sind inzwischen viele Betroffene, die sich mit den industriell verfügbaren Insulinpumpen und Glukosesensoren eine „künstliche Bauchspeicheldrüse“ gebaut haben. Wer sie benutzt, muss sich aber viele Gedanken machen:

Nimmt sie wirklich alles an Arbeit ab?

Fragt man Anwender: Nein! Eher muss man sich noch intensiver kümmern, vor allem um das korrekte Funktionieren aller Komponenten – aber um den Lohn der glatteren Glukoseverläufe.

Darf ich das System einsetzen, obwohl es keine offizielle Zulassung als Medizinprodukt hat?

Diese Frage ist derzeit nicht eindeutig zu beantworten. Natürlich ist jeder für sich selbst verantwortlich und kann für sich entscheiden, was er tut. Aber was geschieht, wenn durch das System ein medizinischer Notfall eintritt, weil es nicht korrekt arbeitet? Die Haftung liegt wahrscheinlich nicht mehr beim Hersteller, weil die Geräte nicht bestimmungsgemäß eingesetzt wurden. Wer trägt die Folgekosten? Wer ist verantwortlich für alles möglicherweise dann medizinisch Notwendige? Einen Präzedenzfall gibt es meines Wissens noch nicht. Klar ist: Empfehlen dürfen Ärzte den Einsatz solcher nicht zugelassener Systeme nicht.

Was passiert, wenn Dritte durch ein System, das nicht funktioniert, Schaden nehmen?

Völlig ungeklärt ist die Frage, was geschieht, wenn ein Anwender eines selbstgebastelten Systems zum Beispiel einen Unfall verursacht, weil das System nicht funktioniert, und dabei Dritte schädigt. Abgesehen von dem verursachten Leid könnte die Haftung auch in diesem Fall vollständig beim Anwender liegen – was ein hohes finanzielles Risiko darstellt.

Besser warten auf die offizielle Zulassung

Ich verstehe, dass vielen die Zulassungsprozeduren zu lange dauern und dass jemand, der dazu in der Lage ist, für sich selbst für eine optimale Therapie sorgen möchte. Aber ich finde, jetzt können wir auch noch warten, bis auch in Europa offiziell zugelassene Closed-Loop-Systeme zur Verfügung stehen.

Kommentar von Dr. Katrin Kraatz


von Dr. med. Torben Biester

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