Untätigkeit, wohlfeile Ankündigungen, Aktionismus: War 2024 ein gutes Jahr für Menschen mit Diabetes?

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War 2024 ein gutes Jahr für Menschen mit Diabetes? | Foto: FC Diabetes
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Untätigkeit, wohlfeile Ankündigungen, Aktionismus: War 2024 ein gutes Jahr für Menschen mit Diabetes?

In der Dezember-Ausgabe des „Diabetes-Anker“ sei ein Rückblick auf das Diabetes-Jahr 2024 erlaubt, verbunden mit der Frage, ob es ein gutes Jahr für uns war. DDF-Vorsitzender Leonhard Stärk fürchtet: Nein!

Es ist wieder ein Jahr vergangen, das geprägt war von Untätigkeit der politischen Entscheidungsträger, von weiterhin steigenden Zahlen an Betroffenen, von wohlfeilen Ankündigungen und von Aktionismus. Obwohl der Chef der Barmer, Prof. Dr. Christoph Straub, am 13. März dieses Jahres mit dem Warnruf „Deutschland bekommt die Zuckerkrankheit nicht in den Griff“ und mit neuen erschreckenden Zahlen von fast 8 Millionen Betroffenen die Öffentlichkeit und die Politik aufschreckte, nehmen die politischen Entscheidungsträger das Thema Diabetes weiterhin nicht ernst.

Fehlender „Nationaler Rahmenplan Diabetes“ und inkonsequentes E-Rezept

Die „Nationale Diabetes-Strategie“ wird auch vier Jahre nach ihrer Verabschiedung durch den Deutschen Bundestag nicht umgesetzt. Es fehlt nach wie vor ein „Nationaler Rahmenplan Diabetes“. Dieser muss eine ganzheitliche gesundheitspolitische Strategie verfolgen, die sowohl verhaltens- als auch verhältnispräventive Maßnahmen integriert. Stattdessen verfolgt die Bundesregierung in einem Anfall von Aktionismus Einzelmaßnahmen wie das „Gesundes-Herz-Gesetz“ (GHG) oder das „Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz“ (GVSG) – ohne ein ganzheitliches Konzept zum Bekämpfen von Volkskrankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall, starkem Übergewicht (Adipositas) und Bluthochdruck zu erarbeiten.

Aus einer Veröffentlichung des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam müssen wir zum Beispiel lernen, dass Präventionskurse der gesetzlichen Krankenkassen im Bereich Ernährung, die für die individuelle Verhaltensprävention des Typ-2-Diabetes entscheidend sind, von den Versicherten kaum noch wahrgenommen werden. Insgesamt sei, so das Institut, ein alarmierender Rückgang der Inanspruchnahme von Präventionskursen zu verzeichnen. Dies zeigt doch sehr deutlich, dass bei uns im Land etwas schiefläuft.

Ein weiterer Fall von Aktionismus: das E-Rezept, bei dem die Menschen mit Diabetes (und einige andere mehr) vergessen wurden! In der ersten Januar-Woche 2024 startete das lange geplante E-Rezept in Arztpraxen und Apotheken. Es gilt allerdings nur für Arzneimittel/Medikamente (wie Insulin). Für Hilfsmittel, die für die Diabetestherapie benötigt werden (wie Penkanülen, Sensoren zum kontinuierlichen Glukose-Messen (CGM), Zubehör für Insulinpumpen usw. sowie Blutzucker-Teststreifen), wird weiterhin ein Papierrezept ausgestellt. Ist das konsequent und erleichtert diese Praxis uns Menschen mit Diabetes das Leben? Ich fürchte, nein.

Einsatz für uneingeschränkte Teilhabe am sozialen Leben

Aber es gibt auch einige Hoffnungszeichen, die das Leben von Menschen mit Diabetes erleichtern könnten, so zum Beispiel der Fortschritt in der digitalen Technologie. Auch hierfür ein Beispiel: Seit Juli 2024 können Glukosewerte vom CGM-System Dexcom G7 direkt an die Apple Watch übermittelt werden. Bisher war dafür zusätzlich ein iPhone erforderlich, nun genügt die Apple Watch. Voraussetzung ist eine Apple Watch ab Generation 6 (eingeführt im September 2019). Dexcom arbeitet daran, diese Lösung auch für Android-Systeme bereitzustellen.

Um nicht in den Verdacht zu geraten, Hersteller-Interessen von Dexcom oder Apple zu vertreten, will ich hier ausdrücklich klarstellen: Solche Produkt-Entwicklungen sind für uns Menschen mit Diabetes deshalb so wichtig, weil sie uns eine uneingeschränkte Teilhabe am sozialen Leben erleichtern können. Denn auch diese Teilhabe ist in 2024 noch bei Weitem nicht umgesetzt. Zum Beispiel werden noch immer Kinder mit Typ-1-Diabetes von schulischen Veranstaltungen ausgeschlossen, teilweise werden sie gar nicht erst in die Kita aufgenommen. Und wenn sie einen Schwerbehindertenausweis mit Sonderzeichen im ÖPNV vorzeigen, müssen sie Fragen nach ihrer doch gar nicht sichtbaren Behinderung beantworten.

Mindestens so schlimm ist, dass es noch immer Berufsverbote für Menschen mit Diabetes gibt. In Deutschland gelten für einige Berufe nämlich noch immer „Tauglichkeitsverordnungen“, die längst überholt sind. So können zwar laut Leitlinie geschulte und gut eingestellte Menschen mit Dia­betes problemlos am Steuer ihres Privatwagens sitzen, doch wenn das Kraftfahrzeug ein Arbeitsplatz wie bei Busfahrern ist, greifen andere Vorschriften. „Wir brauchen dringend neue Berufsempfehlungen“, fordert daher Dr. Kurt Rinnert, Leitender Betriebsarzt der Stadt Köln, im Apothekenmagazin „Diabetes Ratgeber“ im Juni dieses Jahres.

Es gibt also noch ganz viel zu tun in 2025, um den Menschen mit Typ-1-Dia­betes gerecht zu werden. Noch besser wäre es natürlich, wenn Präven­tion greifen würde und Menschen davor bewahren könnte, an Typ-2-Diabetes zu erkranken.

Erstes internationales Fußballturnier des FC Diabetes e. V.

Mit einem wunderbar hoffnungsvollen Projekt will ich diesen Jahresrückblick abschließen: Im Oktober fand in Neufahrn bei Freising in Oberbayern das erste internationale Fußballturnier des FC Diabetes e. V. nur für Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes statt. Etwa 90 Spielerinnen und Spieler aus Deutschland, Schweden, Ungarn und Polen nahmen daran teil. Sie waren zwischen sechs und 16 Jahren alt, die einzige Teilnahmebedingung war: Sie haben Diabetes.

Am internationalen Fußballturnier des FC Diabetes nahmen etwa 90 Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes teil.

Ziel des Vereins ist es, Austausch und Vernetzung der Familien zu fördern, also zu zeigen, dass die Jungen und Mädchen mit ihrer Krankheit nicht allein sind. Zum anderen will er deutlich machen, dass Diabetes kein Grund ist, nicht Sport zu treiben, im Gegenteil. Und über allem steht der Spaß am ­Kicken. Als Schirmherrin des FC Diabetes fungierte die Fußball-Nationalspielerin Sandra Starke vom RB Leipzig (seit 2018 Typ-1-Diabetes). Ist das nicht ein toller Abschluss dieses durchwachsenen diabetischen Jahres 2024?


Leonhard Stärk, Vorsitzender DDF e. V.

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 5 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 6 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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