„Vergesst die Menschen mit Diabetes nicht“: Appell mit Erfolg

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Vergesst die Menschen mit Diabetes nicht | Foto: bnenin – stock.adobe.com
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„Vergesst die Menschen mit Diabetes nicht“: Appell mit Erfolg

Da sie die Diabetes-Versorgung in Deutschland durch ein neues Gesetz in Gefahr sahen haben verschiedene Diabetes-Verbände, u.a. aus der Selbsthilfe, erfolgreich für Anpassungen gekämpft.

Mit eindringlichen Worten haben viele Verbände, nicht nur die Verbände der Selbsthilfe, die Bundesregierung vor nicht beabsichtigten katastrophalen Folgen des „Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune“ (Gesundheits­versorgungs­stärkungs­gesetz – GVSG) gewarnt. Denn die Einführung einer einmaligen Jahres-Versorgungspauschale für Hausärzte hätte das Aus für zahlreiche diabetologische Schwerpunktpraxen bedeuten können.

Warum diese Befürchtung? Eine der Stoßrichtungen des GVSG war – und ist nach wie vor – die Reduktion von Verwaltungsaufwand für hausärztliche Praxen. Sie sollten künftig nicht mehr jeden chronisch Erkrankten einmal pro Quartal nur deshalb im Wartezimmer haben, um seine Versichertenkarte einlesen zu können, wenn es ansonsten nichts zu behandeln gibt.

Wörtlich hieß es in der Gesetzes-Begründung des Referenten-Entwurfs aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) vom 12. April 2024:

„Die zu beschließende Versorgungspauschale ist für die Behandlung von Versicherten abrechnungsfähig, bei denen mindestens eine lang andauernde, lebensverändernde Erkrankung vorliegt, die der kontinuierlichen Versorgung mit einem Arzneimittel bedarf. Die Versorgungspauschale ist je betroffenem Versicherten durch nur eine Arztpraxis einmal jährlich abrechnungsfähig und beinhaltet die Vergütung aller Behandlungen für das laufende Quartal, in dem der erste Arzt-/Praxis-Patienten-Kontakt stattfand, sowie für die drei darauffolgenden Quartale.“

Damit war beabsichtigt, monetäre Anreize zur „Überbehandlung“ zu vermeiden und die Mehrfach-Inanspruchnahme hausärztlicher Leistungen durch verschiedene Praxen zu reduzieren. Weiter hieß es dann im Begründungstext: „Die Versorgungspauschale ersetzt die Versicherten- und Chronikerpauschale sowie weitere kleinere Zuschläge und Pauschalen für vier Quartale.“

Diabetes-Regelversorgung durch Jahrespauschale in Gefahr

Spätestens jetzt war allen klar: Dieses System der einmaligen Jahrespauschale könnte dazu führen, dass die Regelversorgung für Menschen mit Diabetes in Gefahr ist, denn es sind nicht die wenigen als Facharztpraxen geführten diabetologischen Schwerpunktpraxen, sondern die vielen als Hausarztpraxen geführten diabetologischen Schwerpunktpraxen, die die Regelversorgung für uns Menschen mit Diabetes in den Kommunen übernehmen.

Wenn also die als Hausarztpraxen geführten Schwerpunktpraxen diese neu eingeführte Versorgungspauschale nicht abrechnen können, weil diese bereits durch den Hausarzt für „Husten, Schnupfen, Heiserkeit“ verbraucht ist, könnten etliche diabetologische Schwerpunktpraxen schließen oder würden ihre nicht mehr vergüteten Leistungen einstellen. Eine dramatische Lücke in der Diabetes-Versorgung könnte entstehen – und das bei jährlich steigenden Betroffenen-Zahlen! Ähnlich verhält es sich übrigens mit der neu einzuführenden „Vorhaltepauschale“. Auch hier befürchten die diabetologischen Schwerpunktpraxen neue Hürden, die ihnen die Abrechnung erschweren.

Überarbeiteten Entwurf trägt Bedenken in vielen Punkten Rechnung

Ich will es vorausschicken: Wir Verbände der Selbsthilfe sind keine Erfüllungsgehilfen einzelner Interessengruppen in dem immer härter werdenden Verteilungskampf um finanzielle Mittel im Gesundheitswesen. Ärzte, Apotheker oder auch die Pharmaindustrie können gut für sich selbst sprechen. Aber wir erheben unsere Stimme, wenn wir die Versorgung unserer Mitglieder und darüber hinaus der Gemeinschaft der Betroffenen gefährdet sehen. Und das war hier der Fall! Auf den vielfältigen Protest fast aller angefragten Verbände und Institutionen im Rahmen der Verbände-Anhörung am 6. Mai 2024 legte das Bundesgesundheitsministerium dem Kabinett am 22. Mai 2024 dann einen überarbeiteten Entwurf des GVSG vor, der gerade unseren Bedenken in vielen Punkten Rechnung trägt.

So soll die Versorgungspauschale je betroffenem Versicherten durch ausschließlich eine Arztpraxis jetzt pro chronische Erkrankung abrechenbar werden, d.h. diese Versorgungspauschale ist für Menschen mit Diabetes nicht bereits durch den „Husten-Schnupfen-Heiserkeit“-Hausarzt verbraucht, sondern kann von der diabetologischen Schwerpunktpraxis speziell für die Behandlung von Diabetes abgerechnet werden. So jedenfalls verstehen wir die Anpassung im nunmehr vom Bundeskabinett in die parlamentarische Beratung geschickten Gesetzes-Entwurf und so muss es auch sein. Die Versorgungspauschale soll die Hausarztpraxen von unnötigem Verwaltungsaufwand und Patienten ohne intensiven Betreuungsaufwand von unnötigen Praxisbesuchen entlasten. Für uns ist von zentraler Bedeutung, dass die geplanten Veränderungen die Versorgung von Menschen mit Diabetes nicht gefährden!

Selbsthilfe erhebt die Stimme: Protest mit Erfolg

Zusammenfassend kann derzeit davon ausgegangen werden, dass der nun bereits aktualisierte Entwurf erfreulicherweise Folgendes berücksichtigt:

  • Die Anwendung bezog zuerst alle Menschen ein, jetzt sind Kinder und Jugendliche ohnehin nicht davon betroffen.
  • Die Pauschale findet ohnehin keine Anwendung für Menschen mit erhöhtem Betreuungsaufwand. Die bisherige Behandlung ist nicht gefährdet. Es kommt nicht zu Einnahme-Ausfällen einer Praxis.
  • Eine Versorgungspauschale gilt je Indikation in einer jeweiligen Arztpraxis. Somit können Patienten in ihrer Hausarztpraxis z.B. mit Bluthochdruck betreut und mit Diabetes Typ 1 in ihrer diabetologischen Schwerpunktpraxis behandelt werden.

Auch bei der „Vorhaltepauschale“ muss die Gesetzgebung darauf achten, dass es keine unerfüllbaren Anforderungen für diese Leistung gibt, die diabetologische Schwerpunktpraxen nicht oder nur mit hohem Aufwand erfüllen können. Bei dieser muss der erhöhte Personal- und Sachaufwand einer diabetologischen Schwerpunktpraxis berücksichtigt werden, wie spezialisierte Wundassistenten für die Behandlung des Diabetischen Fußsyndroms, Diabetesassistenten oder eigens vorgehaltene Schulungsräume.

Mitwirkende der Selbsthilfe verstetigen Online-Treffen „Politik | Insights“ zur politischen Interessenvertretung
Im Juni fand eine erste gemeinsame Videokonferenz zum aktuellen Entwurf des Gesundheits­versorgungs­stärkungs­gesetzes statt. Ein Appell eines Arztes aus Thüringen wurde durch die hiesige DDF-Landesorganisation an den Bundesverband herangetragen und gab den Startschuss für die digitale Konferenz-Reihe Politik | Insights. Die DDF hat alle Selbsthilfeverbände zur Diskussion und Beratung weiterer Schritte eingeladen. Nach reichlich Information, Abwägung einzelner Standpunkte und reger Beteiligung haben alle Akteure eine gemeinsam gezeichnete Stellungnahme an den Gesundheitsminister und Abgeordnete des Deutschen Bundestags auf den Weg gebracht. Die DDF freut sich sehr über das neu entstandene Online-Format und man kann gespannt sein auf die nächsten Themen und Aktionen.

Deshalb haben wir in einem gemeinsamen Brief der Verbände der Diabetes-Selbsthilfe den Bundesgesundheitsminister und die Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen im Deutschen Bundestag dringend um erhöhte Aufmerksamkeit im weiteren parlamentarischen Prozess gebeten. Unser Appell: Vergesst die Menschen mit Diabetes nicht! Dieser Vorgang zeigt, wie wichtig eine starke Interessenvertretung von Menschen mit Diabetes gegenüber der Politik ist und welche entscheidende Rolle hier den Selbsthilfeverbänden zukommt. Mit einer Stimme zu sprechen, ist wichtiger denn je!


von Leonard Stärk, DDF-Vorsitzender

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 5 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 6 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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