Mindestens drei Stigmata finden sich in diesen wenigen Worten der Überschrift. Die Deutsche Diabetes Hilfe – Menschen mit Diabetes, Landesverband NRW e. V. hat gemeinsam mit dem Team von Diabetes TV ein informatives Video zum Thema „Stigmatisierung von Menschen mit Diabetes“ realisiert und veröffentlicht. Dieser Film ist der Startschuss für eine Kampagne gegen die Stigmatisierung von Menschen mit Diabetes.
Nähern wir uns doch dem Thema der Stigmatisierung in unserer Sprache. Je nachdem, wie wir einen Sachverhalt sprachlich einkleiden, aktivieren wir bei unserem Gegenüber unterschiedliche mentale Assoziationen und Bewertungen. So kann die gleiche Information je nach Formulierung als positiv oder als negativ wahrgenommen werden. Ein Stigma ist dem Grunde nach ein charakteristisches Merkmal, das eine Person von anderen unterscheidet. Die Verwendung einer stigmatisierenden und fachlich unangebrachten Sprache mag beim Sender unbedacht und ohne böse Hintergedanken erfolgen, löst jedoch beim Empfänger das Gefühl einer Vorverurteilung oder Diskriminierung aus.
Enorme Belastungen für die Betroffenen
Stigmatisierung in der Sprache ist eine typische Begleitform bei zahlreichen Erkrankungen. Häufig kommt sie vor zum Beispiel bei starkem Übergewicht (Adipositas), bei Sucht-Erkrankungen oder geistigen Einschränkungen. Der von uns erstellte Film konzentriert sich auf die Stigmatisierung von Menschen mit Diabetes – immerhin einer Bevölkerungsgruppe in unserem Land von über 11 Millionen Menschen.
Die permanent steigende Zahl von Menschen insbesondere mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes stellt die Gesellschaft vor Herausforderungen, vor allem hinsichtlich der Vorbeugung (Prävention) und der Versorgung. Auch die Belastungen, die diese chronische Erkrankung für den Einzelnen mit sich bringt, sind enorm. Es gibt zahlreiche Faktoren, die den Blutzucker beeinflussen und in der Therapie berücksichtigt werden müssen. Seien es zum Beispiel die Tageszeit, die allgemeine körperliche Verfassung, bestehender Stress, körperliche Aktivität, Mahlzeiten mit Menge, Art und Zusammensetzung oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten.
Dieses führt zwangsläufig zu teilweise Hunderten zusätzlichen bewussten oder unbewussten Entscheidungen, die Menschen mit Diabetes täglich eigenständig treffen müssen. Es ist erwiesen, dass sie demzufolge eine vergleichsweise geringere Lebensqualität haben und erhöhte krankheitsbezogene Stressoren aufweisen. Das Risiko, an Depressionen oder Angststörungen zu erkranken, ist bei Menschen mit Typ-2-Diabetes doppelt so hoch wie und mit Typ-1-Diabetes bis zu dreimal höher als bei Menschen ohne Diabetes.
Folge: psychische Belastungen
Ein negativer, fachlich nicht korrekter und stigmatisierender Gebrauch der Sprache fördert einerseits die negative Stereotype über den Diabetes und kann andererseits bei Menschen mit Diabetes zu psychischen Belastungen führen. Betrachten wir die durchaus geläufigen Stigmata in der Überschrift dieses Artikels. „Er/Sie hat Zucker!“ erweckt den Eindruck, dass der Konsum von zu viel Haushaltszucker den Diabetes auslöst. Dabei sind die Ursachen des Diabetes und die Stoffwechselprozesse abhängig vom Diabetestyp und weitaus komplexer. „Selbst schuld!“ vernachlässigt vollumfänglich, dass in den allermeisten Fällen die genetische Veranlagung und ein Autoimmunprozess wesentliche Auslöser dieser Erkrankung sind. Und die vollkommen unsachliche Äußerung „Futtert zu viel und bewegt sich zu wenig“ betrifft sicherlich weitläufige Gewohnheiten in unserer Gesellschaft in den aktuellen wohlhabenden Zeiten, jedoch keinesfalls allein die Bevölkerungsgruppe der Menschen mit Diabetes.
Es ist davon auszugehen, das jeder Mensch mit Diabetes im Verlauf der Krankheit stigmatisierenden Äußerungen ausgesetzt war. Ebenfalls ist aber auch davon auszugehen, dass jeder Mensch mindestens einmal bewusst oder unbewusst stigmatisierende Äußerungen gegenüber Mitmenschen getätigt hat. Diese durch die Sprache vermittelten Botschaften haben Folgen.
Verletzend und demotivierend
Der Sprachgebrauch kann einen tiefgreifenden Einfluss darauf haben, wie Menschen mit Diabetes in der Gesellschaft gesehen und behandelt werden. Eine vorurteilsfreie und sachliche Sprache kann bei den Menschen Selbstbewusstsein und Motivation stärken und somit die Widerstandskraft (Resilienz) und das Wohlbefinden fördern. Im Umkehrschluss werden aber auch die bereits zahlreichen negativen Stereotype über Diabetes durch unsensible Sprache verstärkt. Die Menschen verinnerlichen diese Botschaften und ihr Selbstbild und die Sichtweise auf den eigenen Diabetes kann dadurch negativ gefärbt werden. Unvorsichtige oder negative Sprache kann somit verletzen, demotivieren oder Ängste hervorrufen und sich somit auf die Fähigkeit, mit dem Diabetes umzugehen, negativ auswirken.
Video als Appell
Mit dem veröffentlichten Video „Stigmatisierung von Menschen mit Diabetes“ und der folgenden Kampagne möchten wir als Verein unbedingt appellieren an alle Menschen aus dem Angehörigen-, Freundes- und Bekanntenkreis oder Arbeitsumfeld im Umgang mit Menschen mit Diabetes:
- Bitte respektieren Sie die Eigenverantwortung eines Menschen mit Diabetes und halten Sie sich mit Kommentaren zum Verhalten oder äußeren Erscheinungsbild wie Körpergewicht oder sichtbaren Diabetes-Utensilien zurück.
- Bemerkungen zum Verhalten z. B. beim gemeinsamen Essen werden häufig als Einmischen oder gar Bevormundung (z. B. „Du darfst ja keinen Kuchen essen“) empfunden. Fragen Sie als Gastgeber sachlich nach, ob Besonderheiten (wie auch bei Menschen mit Unverträglichkeiten) zu berücksichtigen sind.
- Verwenden Sie keine urteilenden Aussagen wie „Du kümmerst dich zu wenig“ oder „Du strengst dich nicht genug an“. Geben Sie der Person das Gefühl, dass ihre Bemühungen gesehen und anerkannt werden und dass Sie um die Herausforderungen wissen, die mit der Behandlung von Diabetes verbunden sind.
- Wenn Sie selbst einen ausreichend sensiblen Umgang entwickelt haben, machen Sie im Bedarfsfall auch andere auf ein unangemessenes Verhalten aufmerksam.
Wir möchten aber auch an alle Menschen mit Diabetes im Umgang mit stigmatisierenden Äußerungen appellieren. Gehen Sie davon aus, das die Äußerungen im Regelfall weder boshaft noch verletzend gemeint sind. Weisen Sie sachlich auf die Wirkung des Gesagten hin. Manchmal hilft es auch, unbedachte Äußerungen einfach mit Humor zu nehmen und sie „wegzulächeln“.
An dieser Stelle bedanken wir uns bei der Krankenkasse IKK Classic für die finanzielle Unterstützung zum Erstellen dieses wertvollen Videos. Dieses Video finden Sie unter diabetesweb-tv.de/stigmatisierung-von-menschen-mit-diabetes oder folgendem QR-Code:
Bitte empfehlen und teilen Sie dieses Video und unterstützen somit unsere Kampagne gegen „Stigmatisierung von Menschen mit Diabetes“.
von Michael Wolters
Erschienen in: Diabetes-Anker, 2025; 73 (X) Seite 78-79