Du sitzt in der Semesterklausur und schreibst dir all dein Wissen aus den zittrigen Fingern. Zittrige Finger? Moment mal. Vielleicht solltest du den
Blutzucker messen und warum hast du gerade eigentlich zweimal das gleiche Wort geschrieben? Mist, 48
mg/dl (2,7
mmol/l). Okay, kurz was essen und trinken. Aber Mist, du hast nur noch 10 Minuten Zeit und noch 2 Fragen vor dir. Wie soll das denn zeitlich passen? Mit wirren Gedanken schreibst du schließlich weiter, aus Angst, sonst gar nichts stehen zu haben. Aber wem nützen schon deine wirren Gedanken auf Papier? So wird das nichts mit der guten Note, obwohl du seit Wochen gelernt hast. Blöder
Diabetes!
So weit muss es nicht kommen. Klar, unser Diabetes kann manchmal nerven, vor allem in Prüfungsphasen.
Aber er sollte uns nicht behindern. Und wisst ihr was? Genau so denkt eure Universität auch! Das Hochschulgesetz der deutschen Universitäten definiert einen Menschen mit Behinderung wie folgt:
Nach der Definition des SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. In dieser Definition sind Menschen mit einer chronischen Krankheit im Sinne von länger andauernder Krankheit oder Krankheit mit episodischem Verlauf eingeschlossen, sofern diese einer Behinderung gleichzusetzen ist.
Jede Hochschule hat darüber hinaus eine Prüfungsverfahrensordnung (Satzung), in der Prüfungsangelegenheiten näher definiert werden.
(1) Nachteilsausgleich für Studierende mit Handicap
Macht eine Kandidatin oder ein Kandidat glaubhaft, dass sie oder er wegen einer chronischen Krankheit oder einer Behinderung nicht in der Lage ist, die Prüfung ganz oder teilweise in der vorgesehenen Form oder innerhalb der in dieser Ordnung genannten Prüfungsfristen abzulegen, kann die oder der Vorsitzende des Prüfungsausschusses die Bearbeitungszeit für Prüfungsleistungen oder die Fristen für das Ablegen von Prüfungen verlängern oder gleichwertige Prüfungen in einer bedarfsgerechten Form gestatten. Entsprechendes gilt für Studienleistungen. Spezielle Regelungen für das Fach Sport sind in der Fachprüfungsordnung enthalten.
(2) Bei Entscheidungen der oder des Prüfungsausschussvorsitzenden nach Absatz 1 kann die oder der Beauftragte für Studierende mit Handicap der Universität beteiligt werden.
(3) Zur Glaubhaftmachung einer chronischen Krankheit oder einer Behinderung ist ein geeigneter Nachweis zu erbringen.
Einfach ausgedrückt bedeutet das, dass wir Menschen mit Diabetes bei unserem Prüfungsamt einen Nachteilsausgleich beantragen können. Dafür benötigen wir nur einen formlosen Antrag und ein ärztliches Gutachten. In dem Antrag soll stehen, in welchen Situationen wir uns beeinträchtigt fühlen und wie wir dieses Problem ändern können. Bei mir wäre das zum Beispiel, dass ich in Klausuren vor Aufregungen gern unter- oder überzuckere. In meinen Antrag schreibe ich nun, dass ich mir wünsche, für Klausuren insgesamt eine halbe Stunde mehr Zeit zu bekommen. So eine Pause kann auch sinnvoll sein, um den Blutzucker zu checken und bereits zur Vorbeugung etwas zu essen. Weitere Punkte könnten sein:
- benötigte Geräte (Pumpen-Fernbedienung, Messgerät, usw.) müssen immer mitgeführt werden
- die Anwesenheitspflicht wird gelockert, da ich manchmal mit chaotischen Blutzuckerwerten zu kämpfen habe und den Weg zur Uni nicht schaffe
- Cola bzw. zuckerhaltige Getränke dürfen in die Universitätsbibliothek mitgenommen werden (dies ist auch separat mit den Bibliothekaren abzusprechen)
Das ärztliche Gutachten sollte nach Möglichkeit so erstellt werden, dass die benötigten Punkte vom Diabetologen befürwortet werden bzw. eine Empfehlung ausgesprochen wird. Die Schreiben werden dann zum Prüfungsamt weitergeleitet und bearbeitet. Mit einem ärztlichen Gutachten wird der Nachteilsausgleich in den meisten Fällen sofort bewilligt. Dieser gilt dann für die gesamte Dauer des Studiums, kann bei Bedarf aber noch angepasst werden. Natürlich ist es dann wichtig, sich mit dem Nachteilsausgleich an die jeweiligen Dozenten bzw. die Studienberatung für sein Fach zu wenden. Gerade vor Prüfungen muss die längere Prüfungszeit gegebenenfalls koordiniert werden. Stellt den Antrag also nicht erst eine Woche vor den Klausuren, das könnte eng werden. Natürlich gefällt so ein Nachteilsausgleich nicht jedem. Mit Diabetes kann man doch gut leben, heißt es – und das stimmt auch. Dennoch bin ich der Meinung, dass so eine halbe Stunde extra mein Studentenleben mit Diabetes bereichern kann. Denn meine Kommilitonen müssen sich nicht noch extra um ihren Blutzucker kümmern, ich jedoch schon. Ich möchte auf die Klausur optimal vorbereitet sein und das Messen, Spritzen und Essen gehören für mich zu einer optimalen Vorbereitung dazu. Falls noch Fragen offen geblieben sind, fragt gern nach oder wendet euch an die Studienberatung für Behinderungen/chronische Erkrankungen an eurer Universität. Meine Beraterin war verständnisvoll und gab mir noch diesen Satz mit auf den Weg: Die Universität möchte es jedem Menschen ermöglichen, zu studieren. Lass dir keine Steine in den Weg legen, kämpfe um deinen Ausgleich, setz dich durch, denn du hast das verdient.