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Als ich nach den Osterferien wieder zur Schule ging, sprach mich ein Klassenkamerad an und fragte mich beinahe schon entsetzt, ob ich abgenommen hätte. Tatsächlich hatte ich selbst überhaupt nicht bemerkt, dass ich in den vergangenen zwei Wochen auf 45kg abgemagert war – bei einer Größe von 163cm. Tatsächlich gab diese Bemerkung den Ausschlag dafür, dass meine Eltern und ich uns Gedanken machten.
Und so fuhren meine Mutter und ich an einem Montagmorgen, ich war 15 Jahre alt, zu unserer Stammapotheke, um meinen Blutzucker messen zu lassen. Als 272mg/dl (15,1mmol/l) auf dem Display aufleuchteten, schlug die Apothekerin die Hände über dem Kopf zusammen und meinte bestürzt: „Oh Gott. Das tut mir so leid. Dann solltest du jetzt schnell ins Krankenhaus fahren.“
Ich antwortete mit einem Schulterzucken – meine Kliniktasche wartete bereits gepackt im Auto. Wir hatten die Zeichen richtig gedeutet. Meine Mama war im ersten Moment dennoch geschockt. Ihr Bruder ist seit Jahren Typ-1-Diabetiker und so wussten wir, was auf mich zukommen würde.
Im Krankenhaus angekommen erzählten wir der diensthabenden Kinderärztin von unserem Verdacht und dem Blutzuckerwert und sie nickte bedauernd. Kurz darauf fand ich mich in einem mir zugewiesenen Zimmer wieder und bekam die erste Insulininjektion meines Lebens. Irgendwie war ich erleichtert. Endlich würde es mir wieder besser gehen. Endlich würde ich wieder Energie haben, der Durst würde aufhören und ich könnte endlich wieder leben!
Meine Mama telefonierte unterdessen mit meinem Vater, erzählte ihm, was passiert war, und blieb dann bei mir, während uns der Ablauf der nächsten Tage erklärt wurde. Wenig später erschien eine Diabetologin, setzte sich zu mir und schaute mich bekümmert an. „Zuallererst möchte ich, dass du weißt, dass du keine Schuld daran hast, dass du Diabetes bekommen hast!“, sagte sie mit ernstem Blick. Unwillkürlich musste ich grinsen – alle um mich herum schienen extrem besorgt zu sein, während ich einfach nur froh und irgendwie auch neugierig war, was das Leben mit Diabetes nun für mich bedeuten würde. Ich versicherte ihr, dass mir das vollends bewusst war, woraufhin ich ein erleichtertes und gleichzeitig ein wenig schockiertes Aufatmen vernahm.
Die folgenden Tage waren vollgepackt mit Schulungen, Lernen und Untersuchungen. Als ich nach 10 Tagen das Krankenhaus verlassen durfte, fühlte ich mich gut vorbereitet. Mein Onkel rief mich an und hieß mich im „Club der Süßen“ willkommen. Meine Oma nahm mich in den Arm und meinte: „Weißt du was? Ich bin so selten krank. Da kannst wenigstens du die Krankenkasse mal so richtig ausnehmen!“ Und meine Eltern und mein Bruder versuchten mir zu helfen, wo sie konnten. Sie ließen mir meinen Freiraum, waren aber immer zur Stelle, wenn ich Hilfe brauchte, und waren begeistert dabei, mit mir zusammen BEs zu berechnen und zu schätzen und neue Dinge auszuprobieren.
Vor meinem ersten Schultag war ich trotzdem nervös. Wie würden die anderen reagieren? Meine Klassenkameraden waren sofort neugierig. Sie ließen sich mein Equipment erklären, wollten selbst einmal ihren Blutzucker messen und fragten mich aus, wie sie sich wann verhalten sollten. Ich fühlte mich auf Anhieb sicher und verstanden. Doch auch ein bitterer Beigeschmack bleibt, wenn ich an diese Zeit zurückdenke. Sätze wie „Ich hätte auch gerne Diabetes, dann werd ich auch so schlank wie du“ oder „Jetzt fühlst du dich wie etwas ganz Besonderes, weil jeder auf dich aufpasst, was?“ tun weh. Auch damals schon versuchte ich zu erklären, dass ich mich selbst erst einmal zurechtfinden muss und dass ich keineswegs mehr Aufmerksamkeit durch meine Krankheit auf mich ziehen will – doch je mehr ich versuchte, mich zu erklären, desto mehr stieß ich auf taube Ohren. Glücklicherweise blieben solch verletzenden Worte rar und ich konnte auf meine festen, ehrlichen Freundschaften bauen.
In der Schule wurde von Seiten der Lehrer in bestimmten Situationen Rücksicht auf mich genommen – auch wenn hier manchmal das Verständnis fehlte. Mit einem Blutzuckerwert von 400mg/dl (22,2mmol/l) oder nach einer Hypoglykämie Sport zu machen, ist für mich schlichtweg nicht möglich – das stieß oft auf Unverständnis und wurde als faule Ausrede abgetan. Im Nachhinein ärgere ich mich über solche Worte. Doch im zarten Alter von 15 oder 16 Jahren, in dem man mit einer so großen, neuen Herausforderung wie dem Diabetes konfrontiert wird, fehlte mir einfach der Mut, lautstark dagegen vorzugehen.
Daraus habe ich gelernt und lasse solche Sätze heute nicht mehr kommentarlos im Raum stehen.
In der Community fand ich schließlich das Verständnis, das ich mir wünschte. Ich wurde mit warmen, herzlichen, aufmunternden und humorvollen Worten willkommen geheißen – und fand so in eine andere Welt hinein. Aus Onlinebekanntschaften wurden reale Freundschaften und eine große Liebe. Dass ich heute da stehe, wo ich heute bin, verdanke ich also nicht nur dem großen Rückhalt meiner Freunde und meiner Familie, sondern auch dem Unverständnis und den verletzenden Worten, die mich getroffen haben. Ihr seht also: Irgendwie wendet sich immer alles zum Guten.
Was passiert nach der Diagnose einer chronischen Krankheit mit einem selbst und mit dem Umfeld? Lauras Gedanken dazu: Diabetes Typ 1 – und was jetzt?
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