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„Ja, sag mal, hast du den Diabetes eigentlich geerbt?“ Normalerweise schüttelt ein Typ-1-Diabetiker bei dieser Frage den Kopf. Meine Antwort auf diese Frage ist: „Normalerweise nicht, allerdings bin ich mir da bei mir (bei meiner Familie) nicht so sicher.“
Statistisch gesehen beträgt das Erkrankungsrisiko für das Kind drei bis fünf Prozent, wenn die Mutter an Diabetes mellitus Typ 1 erkrankt ist. Es liegt etwas höher, wenn der Vater erkrankt ist. Das Risiko steigt auf 10 bis 25 Prozent, wenn beide Eltern an Diabetes mellitus Typ 1 erkrankt sind.
Was ist jetzt aber, wenn man selbst Diabetikerin ist und beide Kinder im Laufe des Lebens Typ-1-Diabetes diagnostiziert bekommen? Hoppla!
In meiner Familie ist das der Fall.
Noch heute macht meine Tante darüber Witze, dass sie noch nie so ein hässliches Baby gesehen hat. Aufgedunsen, gelb, die Augen kaum zu erkennen.
Das war keine Überraschung, schließlich war ich die Tochter einer Schwangerschaftsdiabetikerin. Was heute für Ärzte keine Herausforderung mehr darstellt, war 1993 schon ein bisschen komplizierter. Jeder neu diagnostizierte Diabetiker weiß, wie schwer es ist, den Diabetes in den ersten Jahren in den Griff zu bekommen. Bei einer Schwangerschaft hat man nur 9 Monate Zeit und muss hoffen, dass das Ganze glimpflich ausgeht. Hilfsmittel wie CGMs oder Insulinpumpen, die es meiner Mama leicht gemacht hätten, waren nicht verfügbar und oder nicht so verbreitet wie heute. Trotzdem hat sie es sehr gut gemanagt und so bin ich als relativ gesundes Kind auf die Welt gekommen. 2 Jahre später ist mein Bruder geboren, bei dem es während der Schwangerschaft keine Komplikationen mit irgendeiner Form von Diabetes gab.
Nach der Scheidung meiner Eltern lebte ich bis 2002 bei meinem leiblichen Vater und besuchte meine Mutter regelmäßig am Wochenende. Als ich ungefähr 7 oder 8 Jahre alt war, zeigte mir meine Mama einen großen Stift und sagte zu mir, ich soll diesen bitte liegenlassen und nicht anfassen. Das sei ein Insulinpen, den sie jetzt regelmäßig verwenden müsse, weil sie Diabetes habe. Manchmal habe ich sie gesehen, wie sie sich mit einem Gerät in den Finger pikst und dann das Blut auf einen Streifen aufträgt, oder habe ihr beim Spritzen zugesehen und gefragt was sie da macht. So habe ich schon ziemlich früh viel über den Diabetes gelernt, auch wenn ich nie gedacht hätte, dass es mich auch mal trifft.
Das Positive an der Sache ist, dass weder mein Bruder noch ich die lästige Diagnosephase lange durchmachen mussten. Also die ganze Situation mit Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust, Erbrechen, Durst etc.
Bei mir hat meine Mutter 2005 die Symptome erkannt und mich sofort ins Krankenhaus gebracht. Da lag mein HbA1c um die 7-8%. Mein Bruder wurde vor circa 4 Jahren diagnostiziert. Er hatte sich für eine Offizierslaufbahn bei der Bundeswehr beworben und beim Bluttest sind Ketonkörper im Blut festgestellt worden. Somit hatten dann beide Kinder die Diagnose Diabetes Typ 1 bekommen.
Während dieser Zeit scherzte mein Opa immer, wie gut er es hat, dass er gegen seinen Diabetes nur Tabletten nehmen muss. Und zwei Jahre später hat dann auch er einen Insulinpen von seinem Doktor in die Hand gedrückt bekommen. Der Unterschied ist aber, dass mein Opa wirklich klassischer Typ-2-Diabetiker ist, bei dem Tabletten einfach nicht mehr ausreichen. Seitdem nörgeln wir alle drei an ihm rum, dass er vor und nicht nach dem Essen messen soll oder dass er sich nicht zu wundern braucht, dass sein Blutzucker nach einer ganzen Schale Weintrauben in die Höhe schießt.
Wie sich andere Geschwister um die Fernbedienung streiten, streiten wir uns über z.B. Hypohelfer. Das liegt aber daran, dass mein Bruder einfach unglaublich faul ist. Sogar zu faul, um sich einfach eines der 7.000 Caprisonne-Päckchen aus dem Keller mit hochzunehmen, und dann immer meine klaut. Gefährlich kann das sogar dann werden, wenn keiner die Hypohelfer im Auto auffüllt und man mit sinkendem Wert auf der Autobahn unterwegs ist.
Lustige Seiten an der Sache gibt es auch, z.B. Blutzucker Bingo – wer von uns drei den niedrigsten Wert hat, gewinnt. Oder Rezeptbestellungen beim Diabetologen: „Ich brauch bitte Humalog in der Durchstechflasche, eine Packung NovoRapid im Flexpen für Lukas, 3-mal Hypokit – unsere sind abgelaufen – und habt Ihr noch ’n Desinfektionsmittel für uns“, gefolgt vom irritierten Blick der Apothekerin, wenn einer von uns mit 6 Rezepten auf einmal kommt.
Wenn wir zusammen unterwegs sind, muss man sich nicht drum sorgen, wenn man sein Testgerät vergessen hat. Irgendeiner hat immer eins dabei. Nur mit Insulin muss sich jeder selbst versorgen, da haben wir nämlich alle unterschiedliches.
Ein riesiges Thema bei uns ist natürlich Essen! Während meine Mama und ich noch klassisch gelernt haben, unsere Lebensmittel abzuwiegen und in der Tabelle nach der Menge der Kohlenhydrate schauten, hatte mein Bruder das Ganze schon im Blut – im wahrsten Sinne des Wortes. Er wusste schon vor seiner Diagnose, dass ein Vollkornbrötchen 2 BE hat und eine Orange ungefähr 1 BE. Zusätzlich gab es bei uns schon immer nur Light-Getränke. Und auch wenn wir inzwischen alle richtige Diabetes-Profis sind, gibt es ab und an Meinungsverschiedenheiten über enthaltene Broteinheiten. Vor allem unser Diabetiker-Küken muss sich ab und an noch auf das Schätzurteil der alten Hasen verlassen oder frägt nach, wie er sich verhalten soll, wenn es zum Essen z.B. ein Glas Wein gibt.
Für uns gehört der Diabetes zum Familienleben wie für andere der Fernsehabend oder der Wochenendausflug. Natürlich hat sich das keiner von uns gewünscht und wir würden wahrscheinlich gerne alle drei unsere Diamonster irgendwo an einer Raststätte aussetzen. Aber letztendlich ist hier wieder das Klischee „Was dich nicht umbringt, macht dich stärker“ zutreffend und bei uns sogar im Kollektiv.
Auch Kathy Maggy schrieb darüber, wie es ist, nicht die einzige Diabetikerin in der Familie zu sein: Zuckersüße Familienbande
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