- Aus der Community
#ImplantFiles: Was ist dran an den Vorwürfen zur Insulinpumpentherapie?
5 Minuten
Es war Montagmorgen, als ich zum ersten Mal über das Thema stolperte. In einer Facebook-Gruppe hatte jemand einen Link zu einem Artikel bei Tagesschau.de, der mit der Überschrift „Überdosis aus der Insulin-Pumpe“ natürlich sofort die Aufmerksamkeit eines jeden Menschen mit Diabetes erregt. Am Abend dann schaute ich mir den dazugehörigen TV-Beitrag an, der mit dem Artikel getriggert wurde und in dem das Thema Insulinpumpen eine eher untergeordnete Rolle spielt. Und ich las einen Beitrag in der Süddeutschen, der sich ausschließlich um Probleme mit Insulinpumpen dreht. Und fand darin eine Reihe von Ungereimtheiten, die mich zu einer Gegenrecherche veranlassten. Ich stehe gerade erst am Anfang dieser Recherche, aber ich möchte hier schon einmal ein paar erste Eindrücke schildern.

Worum geht es bei den #ImplantFiles?
Es geht nicht nur um Insulinpumpen. Vielmehr sollen die #ImplantFiles als ein internationales Rechercheprojekt den Schaden beleuchten, den unzureichend geprüfte Implantate und andere Medizinprodukte weltweit anrichten. Aus der hiesigen Medienlandschaft waren Journalisten vom WDR und NDR sowie der Süddeutschen daran beteiligt. Es ist dasselbe Rechercheteam (International Consortium of Investigative Journalists, ICIJ), das vor einer Weile auch die Panama und Paradise Papers aufgedeckt hat. Wie die Süddeutsche in einem Hintergrundartikel über die Recherchemethodik berichtet, haben fast zwei Jahre lang „mehr als 250 Journalisten aus 36 Ländern Unterlagen analysiert und unzählige Patienten und Experten gesprochen, um herauszufinden, wie Medizinprodukte getestet, zugelassen und vermarktet werden“. Neben Insulinpumpen geht es in erster Linie um Medizinprodukte wie Gelenkimplantate und Herzschrittmacher.
Worum geht es in dem Insulinpumpen-Fall aus Deutschland?
Es geht um den 10-jährigen Maximilian, der seit dem 2. Lebensjahr Typ-1-Diabetes hat und eine MiniMed 640G trägt. Vor einer Weile fühlte sich der Junge im Unterricht unterzuckert und stellte mit einem Blick auf das Pumpendisplay fest, dass noch 8,8 Einheiten Insulin aktiv waren. Offenbar waren 10 Einheiten Insulin abgegeben worden, die der Junge nicht gebrauchen konnte. Maximilian und seine Mutter sagen, er habe diesen Bolus nicht selbst ausgelöst, sondern die Pumpe habe ihn irgendwie verabreicht. Sie halten die Pumpe für nicht ausreichend sicher und sind offenbar auch unzufrieden mit dem Kundendienst von Medtronic. Bei Medtronic ist man der Auffassung, die ungewollte Bolusgabe sei auf einen Anwenderfehler zurückzuführen. Es steht nun erst einmal Aussage gegen Aussage.
Was stört mich an der Art der Darstellung?
Durch die insgesamt recht reißerische Darstellung entsteht der Eindruck, die Insulinpumpentherapie per se sei gefährlich, insbesondere für Kinder. So unangenehm und beängstigend eine Hypoglykämie auch sein mag, ist doch sehr fraglich, ob ein Kind durch eine einmalige Dosis von 10 Einheiten Insulin wirklich ernstlich zu Schaden kommen kann. Außerdem ist in Fachkreisen unstrittig, dass gerade Kinder sehr von Insulinpumpen profitieren. Mal toben sie, mal sitzen sie still, mal haben sie Bärenhunger, mal kriegen sie keine Bissen herunter, sie streiten mit ihren Geschwistern und haben Wachstumsschübe. All dies sind Faktoren, die den Insulinbedarf stark variieren lassen.
Mit einem Insulinpen ist ein Feintuning bei der Insulindosierung, wie es eine Pumpe erlaubt, nicht möglich. Damit man eine Pumpe sinnvoll nutzen kann, muss man aber mit ihren Funktionen gut vertraut sein. In diesem Punkt unterscheidet sich eine Insulinpumpe doch sehr von einem künstlichen Hüftgelenk, das einmal eingebaut wird und danach vom Patienten nicht beeinflusst werden kann. Eine Pumpe ist für ihre Träger ein Alltagsgegenstand, den sie täglich in den Händen haben und bei dem deshalb auch jede Menge Anwenderfehler möglich sind. Ich kann mir kein Urteil darüber erlauben, wie gut Maximilian und seine Mutter im Umgang mit der Pumpe geschult waren. Aber der Aspekt möglicher Anwenderfehler muss in einem solchen Bericht auf jeden Fall erwähnt werden.
Viele Eltern von Kindern mit Diabetes fürchten nun, dass sie nun aufs Neue Probleme mit Schulen und Kindergärten bekommen könnten, weil diese sich nach der dramatischen Darstellung in dem ARD-Fernsehbeitrag weigern, ein Kind mit einem vermeintlich so gefährlichen und unsicheren Gerät wie einer Insulinpumpe zu betreuen. Dabei haben Familien mit Diabeteskindern auch so schon genügend Probleme, eine qualifizierte Betreuung für ihren Nachwuchs zu finden bzw. ihre Ansprüche gegenüber Schulen und Kindergärten durchzusetzen.
Wäre mit einer staatlichen Zulassungsstelle alles besser?
Die Autoren der #ImplantFiles monieren, das hiesige System der Zulassung von Medizinprodukten sei zu lasch. Es sei viel zu einfach, über ein privates Zertifizierungsinstitut ein CE-Kennzeichen zu bekommen, das zum Marktzugang berechtigt. Sie plädieren für eine staatliche Zertifizierungs- und Überwachungsstelle. Nun hat sich seit dem Skandal um die mit billigem Industriesilikon gefüllten, fehlerhaften Brustimplantate des französischen Unternehmens PIP ja schon herumgesprochen, dass es bei der CE-Kennzeichnung durch die Benannten Stellen (hier war es der TÜV Rheinland) nicht immer ganz korrekt zugeht. Das System ist mit Sicherheit reformbedürftig, die Auflagen gehören in vielen Punkten verschärft. Doch ob die Übertragung der Verantwortung an eine staatliche Stelle mit einem Schlag alle Probleme beseitigt, wage ich zu bezweifeln. Man muss sich ja nur einmal die Rolle des Kraftfahrzeugbundesamts im Dieselskandal anschauen, um zu verstehen, dass sich auch mit staatlichen Stellen korrumpierbare Strukturen entwickeln können, die dem Verbraucher schaden.
Welche Informationen recherchiere ich nun weiter?
Ich habe die Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie (AGDT) der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) um ein Interview gebeten. In dieser AG sind schließlich die führenden Experten auf dem Gebiet der Diabetestechnologie in Deutschland versammelt. Allerdings wird man dort derzeit – wen wundert’s – mit derart vielen Anfragen überrannt, dass man beschlossen hat, vorerst keine Einzelinterviews zu geben, sondern erst einmal Fragen zu sammeln und dann in irgendeiner Form in einer Stellungnahme darauf zu reagieren. Mich interessiert sehr, wie die AGDT-Experten die Sicherheitsstandards beim Zulassungsverfahren von Medizinprodukten wie Insulinpumpen einschätzen, ob sie es für möglich halten, dass eine Insulinpumpe einfach unbeabsichtigt einen Bolus abgibt, und ob sie die Kontrolle und Überwachung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für ausreichend halten.
Bis ihre Antworten bzw. ihre Stellungnahme eintrudeln, werde ich auf eigene Faust weiter recherchieren. Ich möchte zum einen gern mehr darüber wissen, was es mit den mehrfach genannten Fehlern bei Infusionssets von Medtronic auf sich hat. Ich trage selbst keine Insulinpumpe, bin mit dieser Materie also nicht persönlich vertraut. Könnten die defekten Infusionssets, wegen derer es im vergangenen Jahr immerhin eine große Rückrufaktion gegeben hat, verantwortlich für unbeabsichtigt hohe Insulingaben sein? Zum anderen möchte ich gern noch ein bisschen genauer verstehen, wie hoch die regulatorischen Hürden wirklich sind, bevor eine Insulinpumpe nicht nur zugelassen, sondern auch ins Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen wird.
Denn ohne einen Eintrag in dieses Hilfsmittelverzeichnis lässt sich in Deutschland nicht viel anstellen – da hilft auch der schönste CE-Stempel nichts. Ich möchte weitere Fakten checken, die mir unsauber dargestellt erscheinen. Und zu guter Letzt möchte ich auch mit den Journalisten Kontakt aufnehmen, die zum Thema Insulinpumpen recherchiert haben: Wie gut stecken die wirklich in der Materie? Wenn ich dann alles klarer durchschaue, werde ich mir überlegen, in welcher Form und über welchen Kanal ich erneut über das Thema berichte.
Habt ihr vielleicht Lust, mir bei diesen Recherchen zu helfen? Dann meldet euch bei mir unter info@antje-thiel.de. Ich freue mich auf eure Nachrichten!
Diabetes-Anker-Newsletter
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Ähnliche Beiträge
- Technik
Diabetes-Anker-Podcast: Diabetes-Technologie – darum ist die Teilnahme an der neuen Umfrage zum dt-report 2026 so wichtig
- Aktuelles
Diabetes-Anker-Podcast: Was erwartet die Teilnehmenden am 20. Juli in Karlsruhe bei „50 Jahre DBW“, Frau Klein?
Diabetes-Anker-Newsletter
Alle wichtigen Infos und Events für Menschen mit Diabetes – kostenlos und direkt in deinem Postfach. Mit unserem Newsletter verpasst du nichts mehr.
Über uns
Geschichten, Gemeinschaft, Gesundheit: Der Diabetes-Anker ist das neue Angebot für alle Menschen mit Diabetes – live, gedruckt und digital. Der Diabetes-Anker und die Community sind immer da, wo du sie brauchst. Für alle Höhen und Tiefen.
Community-Frage
Mit wem redest du
über deinen Diabetes?
Die Antworten werden anonymisiert gesammelt und sind nicht mit dir oder deinem Profil verbunden. Achte darauf, dass deine Antwort auch keine Personenbezogenen Daten enthält.
Werde Teil unserer Community
Community-Feed
-
sveastine postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Diabetes und Psyche vor 4 Tagen, 21 Stunden
hallo, ich hab schon ewig Diabetes, hab damit 4 Kinder bekommen und war beruflich unterschiedlich unterwegs, in der Pflege und Pädagogik. Seit ein paar Jahren funktioniert nichts mehr so wie ich das möchte: die Einstellung des Diabetes, der eigentlich immer gut lief, Sport klappt nicht mehr….ich bin frustriert und traurig..so kenne ich das nicht.. Geht es jemanden ähnlich? Bin 53…Viele grüße. Astrid
-
stephanie-haack postete ein Update vor 5 Tagen, 18 Stunden
Wir freuen uns auf das heutige virtuelle Community-MeetUp mit euch. Um 19 Uhr geht’s los! 🙂
Alle Infos hier: https://diabetes-anker.de/veranstaltung/virtuelles-diabetes-anker-community-meetup-im-november/
-
lena-schmidt antwortete vor 5 Tagen, 17 Stunden
Ich bin dabei 🙂
-
-
insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 2 Wochen, 6 Tagen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina-
darktear antwortete vor 2 Wochen, 1 Tag
Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig
-

Liebe Astrid! Ich gerade 60 geworden und habe seit 30 Jahren Typ 1, aktuell mit Insulinpumpe und Sensor versorgt. Beim Diabetes läuft es dank des Loop gut, aber Psyche und Folgeerkrankung, Neuropathie des Darmes und fehlende Hypoerkennung, machen mir sehr zu schaffen. Bin jetzt als Ärztin schon berentet und versuche ebenfalls mein Leben wieder zu normalisieren. Kann gut verstehen, wie anstrengend es sein kann. Nicht aufgeben!! Liebe Grüße Heike
@mayhe: Hallo liebe Heike, danke für deine schnelle Antwort, das hat mich sehr gefreut. Nein aufgeben ist keine Option, aber es frustriert und kostet so viel Kraft. Ich hoffe dass ich beruflich noch einen passenden Platz finde. Und danke dass du dich gemeldet hast und von deiner Situation berichtet. Das ist ja auch nicht einfach. Und ich wünsche auch dir eine gewisse Stabilisierung…jetzt fühle ich mich mit dem ganzen nicht mehr so alleine. Was machst du denn sonst noch? Viele Grüße Astrid
Liebe Astrid! Ja, das Leben mit Diabetes ist echt anstrengend. Es kommt ja auf den normalen Wahnsinn noch oben drauf. Ich habe den Diabetes während der Facharztausbildung bekommen und ehrgeizig wie ich war auch damit beendet. Auch meinen Sohn, 26 Jahre, habe ich mit Diabetes bekommen. Hattest bei den Kindern auch schon Diabetes? Leider bin ich von Schicksalsschlägen dann nicht verschont geblieben. Was dann zu der heutigen Situation geführt hat. Ich habe durchgehalten bis nichts mehr ging. Jetzt backe ich ganz kleine Brötchen, freue mich wenn ich ganz normale kleine Dinge machen kann: Sport, Chor, Freunde treffen, usw. Ich würde mich zwar gerne aufgrund meiner Ausbildung mehr engagieren, dazu bin ich aber noch nicht fit genug. Was machst du so und wie alt sind deine Kinder? Bist du verheiratet? Liebe Grüße Heike