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„Diabetes!“, brülle ich durchs Haus.
„Was ist denn?“, kommt die Antwort zurück, während er neben mir auftaucht.
„Was ist denn?“, äffe ich ihn nach. „Guck dich doch mal um.“
Der Diabetes macht eine dramatisch ausschweifende Kopfbewegung. „Erledigt.“
„Und, fällt es dir auf?“ Ich werfe ihm einen ungeduldigen Blick zu.
„Nope“, zieht er das Wort lang.
„Okay, es ist gerade vier Uhr morgens.“
„Richtig.“
„Und ich bin vor ein paar Stunden eigentlich eingeschlafen.“
„Sieht so aus.“
„Magst du mir also erklären, warum ich gerade hier sitze und diesen Artikel tippe, anstatt einfach entspannt weiterzuschlafen?“
„Ah.“ Der Diabetes zuckt mit den Schultern. „Kann sein, dass die Kanüle abgeknickt ist und du jetzt darauf wartest, dass dein Blutzucker aus dem Weltall wiederkommt.“
Ich komme näher und beuge mich zu ihm rüber. „Jackpot“, erwidere ich mit glatter Stimme und der Diabetes hat zumindest den Anstand, halbwegs verängstigt zu gucken.
Dabei weiß ich gar nicht, ob ich wirklich wütend bin. Eigentlich einfach nur müde. Und ich würde mich gerne umdrehen, wieder einschlafen und darauf vertrauen, dass nach gewechselter Kanüle und Spritzeninjektion in ein paar Stunden alles wieder in Ordnung sein würde. Aber ich traue mich noch nicht, den Diabetes aus den Augen zu lassen.
Also unterhalten wir uns einfach um diese wunderbare Uhrzeit. Aber während ich alleine in meinem Zimmer sitze und nur das schwache Laptoplicht die Dunkelheit durchbricht, ist es schwierig, mich nicht schon wieder unglaublich frustriert zu fühlen.
„Weißt du“, sage ich also irgendwann, nachdem wir uns eine kleine Ewigkeit angeschwiegen haben, „wenn du, Diabetes, mein unfreiwilliger Mitbewohner bist, dann ist Diabetes zu haben wie in Dauerquarantäne mit dir zu leben.“
Er sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ernsthaft? Corona-Metaphern?“
„Das ergibt voll viel Sinn!“, verteidige ich mich. „Außerdem bist du an diesem Gespräch hier Schuld, darum musst du mir auch zuhören.“
„Na gut, fahr fort.“
„Also – man kann das Haus nicht einfach verlassen. Ich kann mich nicht einfach umdrehen und dich zurücklassen. Hab’ es immerhin oft genug versucht. Also stecken wir beide hier fest. Dazu kommt, dass es überall den Alltag verändert und auch, wenn es manchmal nur Kleinigkeiten sind, auf die man vorher nie geachtet hätte. Gesundheit lässt sich auf einmal nicht mehr vergessen und jede Änderung im Körpergefühl wird kritisch beobachtet. Und dieses Gefühlschaos? In einem Moment fühlt man sich, als ob man die Welt erobern könnte, und im nächsten will man einfach nur ein Jahrzehnt lang im Bett liegen bleiben. Manchmal verschwimmen die Tage ineinander und verlieren so sehr ihre Bedeutung, dass man einfach nur dastehen und sich fragen kann: Wie lange denn bitte noch?
Und als wäre das nicht schon genug, geht auch noch jeder anders damit um. Der eine kommt gut klar und passt sich problemlos an, während der andere sich vollkommen überfordert fühlt.“
Ich mache eine Pause, um durchatmen zu können. „Verstehst du, was ich meine?“
„Naja, zumindest den Teil, bei dem ich dir tatsächlich zugehört habe.“ Er grinst mich an, bevor sich Nachdenklichkeit in seine Züge schleicht. „Worauf willst du hinaus?“
Ich seufze. „Das Übliche. Man muss da durch, wenn man gesund bleiben möchte. Diese Verantwortung tragen. Es ist nicht angenehm und manchmal echt anstrengend, aber vor allem – oft sehr einsam. Jetzt noch mehr als sonst. Doch so, wie wir das Leben um Corona herum zurechtbiegen, so, wie wir einander vielleicht nicht ins Haus, aber weiterhin ins Herz lassen können, so können wir vielleicht auch mit dir umgehen. Dich begreiflich zu machen, ist keine einfache Aufgabe. Und natürlich gibt es auch zwischen der momentanen Situation und Diabetes große Unterschiede. Alleine schon, dass wir von Corona hoffentlich irgendwann nur noch in der Vergangenheitsform sprechen können, während du noch eine ganze Weile länger bleibst. Aber es gibt eben auch ein paar Gemeinsamkeiten.“
Ich lehne mich zurück und schenke ihm ein halbes Lächeln. „Wenn durch Corona alle lernen, wie wichtig unser Wohlbefinden ist, wenn wir einfach nur daraus mitnehmen, dass wir aufeinander Acht geben und Rücksicht nehmen müssen, wenn man sich öfter die Zeit für lange Gespräche nimmt, wenn wenigstens in den Köpfen der Abstand nicht mehr mindestens 1,5 Meter beträgt – vielleicht wird dann auch das Leben mit dir einfacher.“
Ich blicke auf meine Dexcom-App, nehme zufrieden die abfallende Kurve wahr und beschließe, dass ich mich wenigstens für die nächsten Stunden von dir verabschieden kann.
„Ich geh’ jetzt wieder schlafen“, verkünde ich also, „und wehe, du weckst mich mit einer Unterzuckerung auf.“
Hudas letzten DIAlog findet ihr hier: DIAlog 5 – der Besuch
Mehr Beiträge zur aktuellen Krisen-Situation gibt es hier: Corona – so informieren wir
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