G-BA schiebt DMP Adipositas an – Umsetzung durch die Krankenkassen bleibt abzuwarten

G-BA schiebt DMP Adipositas an – Umsetzung durch die Krankenkassen bleibt abzuwarten
G-BA schiebt DMP Adipositas an – Umsetzung durch die Krankenkassen bleibt abzuwarten
MedTriX Group – per KI erzeugt via DALL·E

Der G-BA hat die Voraussetzungen für ein DMP Adipositas für Erwachsene und damit den Einstieg in die Regelversorgung von Menschen mit starkem Übergewicht geschaffen. Das ist ein Paradigmenwechsel. Allerdings bleiben zunächst noch leistungsrechtliche ­Einschränkungen sowie die Motivation der Krankenkassen bezüglich der Umsetzung.

Mit dem künftigen strukturierten Behandlungsprogramm DMP Adipositas ist ein wichtiges Signal verbunden, verkündete ­Karin Maag, unparteiisches Mitglied des Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA) und Vorsitzende des Unterausschusses DMP, Mitte November anlässlich des Beschlusses: „Adipositas wird als chronische Erkrankung ernst genommen.“ Ein DMP Adipositas für Kinder und Jugendliche werde im zweiten Schritt folgen.

Was sind Disease-Management-Programme (DMP)?
Disease-​Management-Programme sind strukturierte Behandlungsprogramme für bestimmte chronische Erkrankungen. Betroffene Patientinnen und Patienten können sich bei ihrer Krankenkasse in ein DMP einschreiben lassen, um über Einrichtungsgrenzen hinweg auf dem aktuellen medizinischen Forschungsstand behandelt zu werden. DMP für die Behandlung von Typ-1- und Typ-2-Diabetes bestehen bereits seit längerem.
Welche Erkrankungen sich für ein DMP eignen, wählt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) aus. Das Gremium hat zudem die Aufgabe, die inhaltlichen Anforderungen an solche Programme genauer zu bestimmen. Getragen werden die DMP durch die gesetzlichen Krankenkassen, die sie für ihre Versicherten anbieten.

„Viele Versuche der Betroffenen, ihr Gewicht selbst in den Griff zu bekommen, scheitern und entmutigen. Selbst nach einer chirurgischen Behandlung, bei der meist der Magen verkleinert wird, fehlt oftmals die immens wichtige Langzeitbetreuung. Mit dem neuen DMP kann hier eine Lücke geschlossen werden, wenn das Angebot schnell in der Versorgung ankommt und angenommen wird“, so Maag. Hier schwingt mit: Es gibt keine gesetzliche Verpflichtung für Krankenkassen, ein DMP anzubieten. Erste Hinweise und Einschätzungen zu den Festlegungen des G-BA konnte tags darauf Oliver ­Huizinga noch in seiner Funktion als politischer Geschäftsführer der Deutschen Adipositas Gesellschaft (jetzt ist er beim AOK-Bundesverband tätig) auf der Herbsttagung der DDG in Leipzig geben.

Keine Versorgung bei Adipositas Grad I ohne Begleiterkrankung

Zugang zum DMP erhält, wer eine Adipositas Grad II oder III, d.h. einen BMI von 35 kg/m2 oder mehr hat, oder eine Adipositas Grad I (BMI von 30 bis 34,9 kg/m2) sowie mindestens eine Begleiterkrankung aufweist, und zwar Typ-2-Diabetes, arterielle Hypertonie, Schlafapnoe, stabile chronische Herzinsuffizienz, stabile koronare Herzkrankheit oder Prädiabetes (HbA1c 5,7 Prozent bis kleiner 6,5 Prozent). Besonders die Aufnahme des Prädiabetes sei im Ausschuss heftig umstritten gewesen, berichtete ­Huizinga. Das heißt aber auch: Menschen mit Adipositas Grad I ohne Begleiterkrankung sind von dieser Versorgung ausgeschlossen.

Die für Kassen wie Hausärztinnen und -ärzte sowie Diabetologische Schwerpunktpraxen spannende Frage lautet: Wie viele Betroffene werden wohl teilnehmen? Nach Berechnungen des RKI auf Basis der Jahre 2008 bis 2011 haben etwa 10,8 Mio. der 18- bis 79-Jährigen eine Adipositas Grad I. Wie viele davon eine Begleit­erkrankung haben, sei unbekannt, so Hui­zinga. Die Zahl der Menschen mit Adipositas Grad II oder III werde mit 4,2 Mio. veranschlagt. Nehmen 30 bis 50 % teil – das ist eine Quote, wie sie in anderen DMP üblich ist –, wären das 5 bis 7 Mio.

Neues Schulungsangebot wird Leistung der Krankenkassen im DMP Adipositas

Der G-BA führt zu seinem DMP-Beschluss aus: Grundlegende therapeutische Maßnahmen sind eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten und eine höhere körperliche Aktivität. Um zu hohes Körpergewicht zu reduzieren oder zumindest zu stabilisieren, erhalten die DMP-Teilnehmenden neben einem differenzierten Behandlungsplan auch Schulungsangebote sowie individualisierte Empfehlungen zu Ernährung und Bewegung.

Mehr zum Thema
➤ „Es geht um Lebensqualität“ Diskussion über die künftigen Versorgung bei Diabetes und Adipositas

Dieses Schulungsangebot – das konkret noch zu bestimmen ist – macht den Unterschied zu heute aus. Bislang ist es eine Selbstzahlerleistung. Und die kann, wie DDG-Tagungspräsidentin Professor Dr. Diana Rubin ausführte, für ein einjähriges multimodales Programm um die 3.000 Euro kosten. Schließlich sind damit etliche Gruppensitzungen, Einzelberatungen und Trainingseinheiten verbunden. Gewichtsverluste von durchschnittlich um die 20 Prozent innerhalb von zwölf Monaten konnten allerdings nur in Programmen mit Formuladiäten erzielt werden. Der G-BA notiert als Zielorientierung z.B. den Abbau von mindestens 5 Prozent (BMI bis 34,9) bzw. 10 Prozent (BMI ≥ 35) des Ausgangsgewichts innerhalb von sechs bis zwölf Monaten.

Medikamente zum Abnehmen und Formuladiäten nicht Teil des DMP

Der Ausschuss weist darauf hin, dass er in einem DMP nur Leistungen zur Diagnostik und Therapie empfehlen kann, die auch im regulären ambulanten oder stationären Leistungskatalog der GKV vorhanden sind. Deshalb könnten z.B. Arzneimittel, die den Appetit zügeln, oder Formuladiäten nicht Teil des DMP sein. Sie seien vom Gesetzgeber als GKV-Leistung ausgeschlossen, der G-BA habe hier keinen Ermessensspielraum.

Das ergibt sich aus § 34 Abs. 1 S. 7 SGB V. Sog. Lifestyle-Produkte sind aus der GKV-Versorgung ausgeschlossen. Das betrifft u.a. Arzneimittel, die „zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits“ und „zur Regulierung des Körpergewichts“ dienen. Bezüglich der begleitenden Arzneimitteltherapie sowie für leitliniengerechte Mahlzeitenersatzprodukte zur Gewichtsreduktion bestehe damit noch gesetzlicher Anpassungsbedarf, so Huizinga.

Zwischen Beschluss und Start liegen Monate oder Jahre

Zudem seien für eine leitlinienkonforme Behandlung weitere „leistungsrechtliche Limitationen“ aufzuheben: Die Ernährungs- und die Bewegungstherapie seien als Indikationen in den Heilmittelkatalog aufzunehmen. Neuregelungen bedürfe es ferner nach adipositas­chirurgischen Eingriffen sowohl für die Nachsorge, einschließlich des Labor-Monitorings möglicher Mangelzustände an Vitaminen und Spurenelementen (Schaffung einer Laborausnahmeziffer analog zu Dia­betes), als auch für die leitliniengerechte Erstattungsfähigkeit von Vitaminen und Mineralstoffen.

Keinen Einfluss hat der G-BA auch auf die konkrete Umsetzung der Programme bzw. darauf, wie lange das dauert. Zunächst prüft das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den Beschluss. Gibt es grünes Licht, können die Kassen mit Praxen und Krankenhäusern DMP-Verträge schließen, um ihren Versicherten das Angebot zu ermöglichen. Das Problem ist: Der G-BA hat schon DMP geregelt, die bis heute nicht umgesetzt sind, z.B. das DMP Depression von 2020. Das liegt am fehlenden Interesse der Krankenkassen. Denn nach § 15 Risikostruktur-Ausgleichsverordnung erhält eine Kasse für eine DMP-Teilnahme nur eine Zuweisung. Schreiben sich Versicherte in ein zweites oder drittes DMP ein, was schon vielfach passiert ist, erhält die Kasse keine weitere Pauschale dafür.

Pflicht für Krankenkassen zum DMP-Vertrag und -Angebot

Das BMG will eingreifen. In einem „Impulspapier“ zur Früherkennung und Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen vom Oktober nennt es Maßnahmen zur Stärkung der strukturierten Programme:

  • Verpflichtung der Kassen, ihren Versicherten DMP anzubieten und sie darüber zu informieren
  • Verpflichtung der Krankenkassen, innerhalb einer festgelegten Frist mit den Leistungserbringern Verträge zur Umsetzung der DMP zu schließen (inkl. Einrichtung eines Konfliktlösungsmechanismus)
  • Programmkostenpauschale für die DMP-Durchführung entfällt, dafür Berücksichtigung der programmbedingten Leistungsausgaben im Risikostrukturausgleich
  • Verzicht auf das Zulassungsverfahren durch das Bundesamt für Soziale Sicherung
  • Konkretisierung der Anforderungen an Schulungen


von Michael Reischmann

Beitrag teilen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

41 − 32 =

Aktuelle Beiträge aus den Rubriken

Organisationen verabschieden Diabetes-Manifest zur Europawahl mit Appell an die Politik

Organisationen verabschieden Diabetes-Manifest zur Europawahl mit Appell an die Politik

„Schaffen Sie auf europäischer Ebene einen starken politischen Handlungsrahmen für nationale Diabetes-Aktionspläne!“ Mit diesem Appell in einem gemeinschaftlichen Diabetes-Manifest wenden sich europäische Organisationen zur anstehenden Europawahl an das EU-Parlament. Früherkennung, gerechte Versorgung, Selbsthilfe stärken, Wissenschaft und Technik nutzen. Mit diesen vier Hauptforderungen sind die Organisationen des

Weiterlesen »
„Das hab ich total gefühlt!“ Conny berichtet im Podcast über das Diabetes-Barcamp „Loop your life“

„Das hab ich total gefühlt!“ Conny berichtet im Podcast über das Diabetes-Barcamp „Loop your life“

In der neuesten Folge unseres Podcast-Formats Diabetes-Audio-Anker teilt Conny ihre Erfahrungen und Erkenntnisse vom Diabetes-Barcamp zum Thema „Loop Your Life” in Frankfurt. Am 2. März 2024 war es so weit: Das Barcamp der Diabetes-Community Blood Sugar Lounge lockte rund 100 Menschen mit Diabetes in die Memox Taunusanlage in Frankfurt am Main. Im Mittelpunkt standen Closed-Loop-Systeme (siehe Kasten

Weiterlesen »
Vorsorgeuntersuchung (6) - die Bauchspeicheldrüse – Hin und zurück – bis ans Ende der Dia-Welt_AdobeStock_Iconic Prototype

#46: Vorsorgeuntersuchung (6) – die Bauchspeicheldrüse

Diabetes ist ein sehr komplexes Krankheitsbild, was sich langfristig auf die gesamte Funktionalität des Körpers auswirkt. Daher ist es umso wichtiger, neben einem guten Diabetes Management, auch regelmäßige Vorsorgetermine wahrzunehmen, um eventuelle Folgeerkrankungen frühzeitig zu erkennen und entsprechend entgegenwirken zu können. In meiner kommenden Beitragsreihe möchte

Weiterlesen »
Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen
Folge uns auf unseren Social-Media-Kanälen

⚓️ Jetzt AnkerLetter abonnieren 💌

Mit dem regelmäßigen gratis Newsletter gelangen die wichtigsten aktuellen Informationen für Menschen mit Typ-2-Diabetes automatisch in deinen Posteingang. Trage jetzt deine E-Mail-Adresse ein und verpasse keine wichtigen Nachrichten mehr. (Die Abmeldung ist jederzeit möglich über einen Link im Newsletter.)