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Er war schon vor 60 Jahren das Gesicht der Diabetologie, begleitete Frauen mit Typ-1-Diabetes gut durch die Schwangerschaft. Ein Arzt, wie man sich ihn wünscht: herzlich, hilfsbereit, empathisch, stets auf Augenhöhe mit seinen Patienten und seinem Team. Nun ist der Mensch und Freund Hellmut Mehnert tot. Er starb am 27. Januar im Alter von 94 Jahren friedlich im Kreise seiner Familie. Sein Werk und die Erinnerungen an ihn aber werden weiterleben.
Hellmut Mehnert wurde am 22. Februar 1928 in Leipzig geboren. In einem Interview sagte er einst: „Die Befürchtung meiner abergläubischen Großmutter, dass mir als am Aschermittwoch Geborenen nur Unglück widerfahren würde, hat sich nicht bewahrheitet.“ Ganz im Gegenteil, mit seiner berüchtigten Freude an Verkleidungen am Faschingsdienstag foppte er jahrelang immer wieder seine Kollegen aus der Diabetes-Szene.
In Leipzig besuchte er die Thomasschule, sein Elternhaus war humanistisch geprägt. Humanmedizin studierte er von 1949 bis 1954 in München. Nach seiner Promotion zum Dr. med. arbeitete er bis 1965 an der Medizinischen Poliklinik der LMU München, war dann ein Jahr in Boston an der berühmten Klinik von Elliott P. Joslin. Von 1966 bis 1993 war Prof. Hellmut Mehnert Chefarzt der III. Medizinischen Abteilung des Akademischen Lehrkrankenhauses München-Schwabing. Die Klinik wurde mit ihm bekannt u.a. als Zentrum zur Betreuung Schwangerer mit Diabetes, sie wurde zum berühmten Schulungszentrum für Menschen mit Diabetes in Deutschland. Im Jahr 1968 gründete er (zusammen mit Prof. Otto Wieland) das Institut für Diabetesforschung München: Die Erforschung des Diabetes mellitus und seiner Komplikationen in Deutschland trieb er damit entscheidend voran.
Hellmut Mehnert und seinen Mitstreitern gelang es, die Sterblichkeitsrate der Neugeborenen von Müttern mit Typ-1-Diabetes signifikant zu senken. Sein Team stellte einen Weltrekord auf: 300 Entbindungen ohne diabetesbezogenen Kindsverlust! „Wir haben von Anfang an großen Wert auf eine blutzuckersenkende Therapie gelegt, mit der es gelang, die Frauen zu behandeln und die perinatale Mortalität von 25 Prozent auf 2 bis 4 Prozent zu senken. Da waren wir schon Vorreiter.“
Podcast: Prof. Mehnert im Gespräch
Im Juli letzten Jahres haben die beiden MedTriX-Redakteure Günter Nuber und Jochen Schlabing im Rahmen der Podcast-Reihe O-Ton Diabetologie mit Prof. Dr. Hellmut Mehnert gesprochen. Hier könnt Ihr Euch das Gespräch anhören:
Kaum einer hat die deutsche Diabetologie derart geprägt wie Hellmut Mehnert. Von seiner Wahlheimat München aus begleitete er die Weiterentwicklung des Insulins als Medikament. Er beschrieb 1958 als einer der Ersten eine kombinierte Tablettentherapie für Menschen mit Typ-2-Diabetes (damals: Sulfonylharnstoffe und Biguanide). Er führte 1967 in München die weltweit größte Diabetes-Früherfassungs-Aktion durch (72 Prozent der Münchner Bevölkerung): 7.000 Diabetiker wurden damals frisch entdeckt … und er hat erstmals übergewichtige Kinder mit Typ-2-Diabetes beschrieben. Strukturierte Diabetes-Schulung in Deutschland wurde von Mehnert und seinem Team mit etabliert (neben der „Düsseldorfer Schule“, Prof. Michael Berger).
Menschen, die Hellmut Mehnert als Arzt selbst erlebt haben, sprechen vom Lebensretter, vom „Papa“, mit dem „die Sonne aufging“, von Anrufen jeden Sonntagabend, vom „Zuckerpapst“. Und im Kreise seiner Mitarbeiter, seines Klinik-Teams wurde gar ein Eigenschaftswort dafür erfunden, wie er mit Anstand und auf Augenhöhe Kollegen und Mitarbeiter begeistern, überzeugen und lenken konnte: „mehnern“ nannten sie seine Art.
Zum Freundes- und Patientenkreis Hellmut Mehnerts gehörten auch Film- und Fernsehleute wie die Familie Fuchsberger oder Gert Fröbe („Es geschah am hellichten Tag“, „Goldfinger“). Von letzterem Freund-Arzt-Patienten-Verhältnis ist überliefert, dass Fröbe nicht an Gewicht abnehmen wollte aufgrund seines Filmrollen-Verständnisses … was Mehnert augenzwinkernd „eine faule Ausrede“ nannte. Blacky und Gundel Fuchsberger wiederum ersuchten Mehnerts Hilfe, da bei Sohn Thomas Typ-1-Diabetes diagnostiziert worden war.
Einen Abend mit Hellmut Mehnert zu verbringen, ohne über Fußball zu reden, das war schlicht unmöglich: Er war bekannt für seinen Fußball-Scharfsinn – und dafür, dass er den FC Bayern München verehrte. Was wohl auch daran lag, dass er persönlich Bezug hatte zu Franz Beckenbauer. Die 1966-Meistermannschaft der Sechziger konnte er bei einem Glas Rotwein mühelos aufsagen.
Als Hellmut Mehnert Anfang der 1990er Jahre in den Ruhestand ging, war es vorbei mit der Ruhe: In den folgenden Jahrzehnten hielt er fast wöchentlich Vorträge, war in der Fortbildung aktiv, leitete Konferenzen. Seine Anekdoten, seine Rhetorik und seine unvergleichliche Stimme machten seine Referate zum Erlebnis – für angehende wie für altgediente Diabetologinnen und Diabetologen. Bis zu Beginn der Pandemie gab es kaum einen wichtigen Diabetes-Kongress, national wie international, auf dem man nicht Hellmut Mehnert begegnet wäre.
Seine Bescheidenheit war sprichwörtlich – so sagte er 2016, als ihm die Leopold-Lichtwitz-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin verliehen wurde: „Denken Sie in dieser Stunde nicht an den Empfänger, denken Sie an den Namensgeber des Preises, an Leopold Lichtwitz, und unsere jüdischen Kolleginnen und Kollegen, die so viel Leid erfahren mussten, für viele bis hin zum bitteren Ende.“
Wer den Mann, Arzt, Wissenschaftler und Menschen Hellmut Mehnert kannte, wird ihn vermissen und dankbar sein für die Zeit, die man mit ihm teilen durfte.
von Günter Nuber – Chefredakteur diabetes zeitung, Redaktionsleiter MedTriX Group
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