Isst denn keiner mehr normal?

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Isst denn keiner mehr normal?

Alex Adabei kocht für ihr Leben gerne und lässt am liebsten andere daran teilhaben. Doch die kulinarische Bewirtung von Gästen wird immer schwieriger, findet sie, da individualisierte Essgewohnheiten die Schnittmenge der Speisen immer weiter verkleinert, die allen schmecken und jeder verträgt.

Hurra, nächste Woche kommen liebe Freunde zu Besuch! Doch in meine Vorfreude mischt sich eine gewisse Gereiztheit und Nervosität. Denn ich als Gastgeberin will doch, dass sich alle wohlfühlen. Dazu gehört für mich, dass es allen schmeckt. Aber das ist alles andere als einfach …

Gast Nr. 1 ist Vegetarier und ernährt sich glutenfrei. Vegetarisch ist kein Problem. Glutenfrei? Schon schwieriger. Gast Nr. 2 mag keine Nudeln, keinen Knoblauch, kein Marzipan. Normale Nudeln gehen eh nicht wegen Gast Nr. 1 (Gluten!). Marzipan im Sommer – muss nicht sein. Kein Knoblauch – das ist schade.

Gast Nr. 3 ist allergisch gegen Fisch und Haselnüsse. Die Sache ist klar; der Abend soll ja nicht im Krankenhaus enden. Gast Nr. 4 isst Low Carb. Das bedeutet in seinem Fall: am liebsten gar keine Kohlenhydrate. Gast Nr. 5 hat mir eine Liste mit Unverträglichkeiten ausgehändigt, darunter Senf, Tomaten, scharfe Speisen, Lebensmittel aus oder mit Milch. Gast Nr. 6 hat Diabetes.

Diabetikerkuchen zum Kaffeekränzchen? Das ist zum Glück passé

Ich beginne, mit Rezepten zu jonglieren, beziehe gluten- und laktosefreie Produkte ein. Denke hin, denke her. Überlege neu. Vielleicht irgendwas, bei dem sich jeder sein Essen selbst zusammenstellen kann, sprich: Raclette oder kalte Platte mit Salat und Antipasti?

Irgendwann möchte ich nur noch schreien: “Geht’s noch? Isst denn keiner mehr normal?” Mir fällt auf: Dass ein Gast Diabetes hat, ist gar kein Problem. Das war doch mal anders, oder? Ich erinnere mich an Zeiten, in denen Gastgeber ängstlich nach diabetikerfreundlichen Rezepten fragten, in denen ein Diabetikerkuchen zum Kaffeekränzchen gebacken wurde. Das hat sich alles “normalisiert”, zumindest bei den Diabetikern, die ich kenne. Sie sind richtige Profis im Berechnen der Mahlzeiten, wissen genau, was ihnen guttut und was nicht und haben gegen “normales”, gesundes Essen nichts einzuwenden.

Individualisierte Essgewohnheiten haben die Schnittmenge verkleinert

Aber was “normal” ist, ändert sich ständig. Einfacher ist es für Gastgeber nicht geworden, seit sich immer mehr Menschen freiwillig oder unfreiwillig sehr individuell/speziell ernähren und die Schnittmenge kleiner wird. Ich suche weiter nach Gerichten, die alle vertragen und möglichst vielen schmecken. Gemeinsam die gleichen Speisen zu essen – für mich gehört das dazu. Oder sollte vielleicht in Zukunft jeder sein eigenes Essen mitbringen?


von Alex Adabei

Das Team für den guten Schluss: Dr. Hans Langer arbeitet als Arzt in einer Diabetesklinik, Jana Einser hat schon seit Kindertagen Typ-1-Diabetes und Alex Adabei hat viele Bekannte und Verwandte mit Typ-2-Diabetes. Sie schreiben abwechselnd für diese Kolumne.

Kontakt:
Kirchheim-Verlag, Kaiserstraße 41, 55116 Mainz,
Tel.: (06131) 9 60 70 0, Fax: (06131) 9 60 70 90,
E-mail: redaktion@diabetes-journal.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2017; 66 (8) Seite 82

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