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Das Echt essen-Gasthaus im September: Die Reise ins Schweizer Muotatal lohnt sich unbedingt. Echteres und besseres „Echt essen“ als im „Adler“ gibt es kaum.
Aus dem Gestern wächst das Morgen – und das wird viele Züge von „Gestern“ tragen. Einen Eindruck dieser kommenden Zeit gibt das Muotatal hinter dem Vierwaldstättersee mit dem „Landgasthof Adler“: Die drei traditionellen Wirtsstuben des „Adlers“ geben Geborgenheit in stürmischen Zeiten. Die echte „Küche aus der Landschaft“ von Daniel Jann ist verblüffend zukunftsweisend. Der nahe „Bödmeren“ ist der einzige Urwald der Schweiz, und er schützt vom Aussterben bedrohte Pflanzen und Tiere.
Regierungssitz, Poststation, Landgasthof: Das stattliche „Adler“-Anwesen
„Mir göhn ins Landamme“, sagen die Alten aus dem Muotatal, wenn sie in den „Adler“ gehen. Denn das stattliche, 300 Jahre alte Gebäude des Landgasthofs war früher einmal Poststation – und lange Zeit Sitz des „Landammanns“, dem höchsten Repräsentanten der Region. Doch das ist vorbei, heute regiert in dem Gebäude nur noch eines: Die Gastfreundschaft. 30 Jahre wirteten die Eltern von Daniel Jann-Annen im „Adler“, bevor er das Gasthaus seinen Eltern im Jahr 1995 abkaufte. Zusammen mit seiner Frau Paula machten sie den „Adler“ mit raffiniert-bodenständigen Gerichten und einem herzlichen Service zu einer der besten Schweizer Adressen für eine regionale und saisonale Küche.
Zufriedener Koch Daniel Jann | Gemütliche „Adler“-Gaststube |
Im urigen Muotatal groß geworden ist Daniel Jann-Annen, seine Lehre machte er in einem Landgasthof. Geprägt hat ihn sein Vater, ein Metzger, der eine eigene Räucherei hatte, der selbst Würste machte und den Buben, wenn er kalte Füße hatte, auch schon mal in die heiße Wurstbrühe stellte. Einmal zog es ihn sogar für ein Jahr nach San Francisco, „ohne dass ich ein Wort englisch sprach“. Es muss eher eine Abenteuerreise gewesen sein, denn die Küche des sympathischen Wirts ist bodenständig geblieben, ist die raffinierte Variante dessen, was die Schweizer „währschaft“ nennen.
Drei Elemente prägen diese Küche: Die Fische des nahen Vierwaldstättersees und vor allem die prächtigen wilden Forellen aus der Muota. Dann die Alpkäse von den Kühen und Ziegen der Almwiesen. Aber die ganz große Zeit hat der „Adler“ jetzt, nämlich zur Wildsaison, wenn die Jäger die Rehe, Hirsche schießen – und manchmal sogar ein Murmeltier mitbringen. „Murmeltier, geht das?“ fragen manche. Da erinnere ich daran, dass die hochverehrte Heilige Hildegard von Bingen sogar Schwäne als heilsame Nahrung empfahl.
Echt auch der eigene Garten bei der nahen Kirche mit Kräutern, Salat, Gemüse und Blumen.
Alles da: Eigener Garten | Frisch geschnitten: Kräuter |
So begeistert bin ich von der Küche, dass ich gleich zwei Tage da gegessen habe und für Sie folgende Gerichte auswähle:
Praktisch nur Fleisch aus dem Tal verarbeitet der „Adler“, vieles, etwa Rinder, Säue, Eier, kommt vom Nachbarn Mathias Schelbert-Kuzenen, der abends auch im Gasthaus sitzt, denn der „Adler“ ist nicht abgehoben. Bei der Auswahl der Produzenten hat Daniel Jann ein klares Kriterium: „Es muss mit Herzblut gemacht werden“.
Der Muothataler (mit „th“ geschrieben, wenn der Ort Muothatal im Muotatal gemeint ist) Bresaola (17,50 Franken) ist ein hauchdünn aufgeschnittenes, luftgetrocknetes, nicht geräuchertes Rindfleisch – darüber zweijähriger Alpkäse gehobelt, ein paar Tropfen Nussöl und einen Salat. Mehr braucht es nicht zum Gästeglück – und sogar „Salatmuffeln“ schmeckt das Grüne so.
Eine feine Essenz von der Tomate im Glas und drei raffiniert im Ofen gegrillte Tomaten, die damit viel intensiver werden. Dazu Formaggini, ein Ziegenfrischkäse von der Alp Tröligen. Gut dazu die leicht bittere blaue Ysop-Blüte und der kräftige Rucola aus dem eigenen Garten. Das „weiße Band“ ist übrigens eine Zucchetti-Girlande. Dass zwei Mal hintereinander Salat auftaucht, liegt an meiner Zusammenstellung, nicht am „Adler“.
So Produkt-gut möchten viele Italiener kochen können: Im Ravioli mischen sich die verschiedenen Alpkäse von der Alp Tröligen, die Steinpilze kommen aus dem nahen Stooswald, der Salbei aus dem Garten – und der Rote-Bete-Adler ist ein aufmerksamer Wächter dieses kulinarischen Genusses für 27,50 Franken.
Etwas ganz besonderes sind diese Käse von den kleinen Käsereien rund um das Tal. Das hängt vor allem von dem ab, was die Ziegen und Kühe fressen, nämlich die würzigen Blumen, Gräser und Kräuter. Das gibt dann eine Milch, die eigentlich in der Apotheke verkauft werden müsste, so Omega-3-stark ist sie, hat nichts mit der gängigen Industriemilch zu tun.
Optimal paart sich diese Gesundheitskraft mit der Geschmackskraft im Käse, der in den Käsereien individuell hergestellt wird. „Jeder schmeckt anders“, schwärmt der Naturfreund Daniel Jann von dieser Vielfalt. Doch die ist bedroht. Denn obwohl die Schweiz noch nicht in der EU ist, traktiert sie nach Brüsseler Muster gerade die kleinen handwerklichen Produzenten mit ihren übertriebenen Hygiene-Vorschriften, obwohl die seit Jahrhunderten so arbeiten.
Klug schreibt über diesen Trend das Schweizer Gastronomiemagazin „Salz & Pfeffer“ im Zusammenhang mit „Beizen“, also kleinen Gasthöfen: „Behörden und ihre Schreibtischtäter entscheiden, welche Küchen nicht mehr konform sind, welche nostalgischen Aborte eine Bedrohung sind. Statt alte Beizen zu schützen und sie zu unterstützen, werden ihre Besitzer dazu verdonnert (mit welchem Geld?) zu investieren, was nicht geht und in die Kapitulation führt. Vernichtung von Kulturgut nennt sich das“.
Selten esse ich Leber, nur da, wo ich Vertrauen zum Koch habe. Natürlich habe ich auch an die beruhigenden B-Vitamine, an die vielen Mineralien in der Leber gedacht, das aber sofort vergessen, als die Köstlichkeit auf den Tisch kam – denn es war genau die subtile Balance getroffen, wo die Leber innen nicht mehr rot und außen noch nicht zäh ist. Pure Köstlichkeit, dazu die knackig-„trockene“ Rösti, die allein schon die Reise lohnt mit leicht in Butter geschwenktem Spinat, Kohlrabi, Brokkoli, alles für 36 Euro.
Sicher, Butter gehört zur „Adler“-Küche“. Und der 42-jährige kann wunderbar davon erzählen, wie sich Farbe und Geschmack des „Anken” mit den Jahreszeiten ändern. Am liebsten würde ich nächstes Jahr einmal zu einer „Butterreise“ zu den kleinen Sennereien aufbrechen. Ach, so, bei Butter denken Sie automatisch an Cholesterin? Zum einen essen Sie ja nicht täglich im „Adler“, zum anderen wird die Butter klug und dezent eingesetzt. Und im übrigen produziert der Körper das meiste Cholesterin selbst, schlicht weil er es braucht für die Zellmembranen und für funktionierende Hormone.
Für dieses Gericht (36 Franken) fahren viele Schweizer extra ins urwüchsige Tal: Eine wilde Bachforelle (zu erkennen an den roten Punkten) aus der Muota. An sich werden sie hauptsächlich im Frühjahr gefangen, aber Daniel Jann hat für mich einen Fischer überredet, noch einmal eine zu angeln – und er hat sie erst wenige Minuten vor dem Servieren geschlachtet und sofort rund 8 Minuten bei 70 Grad in einem Sud ziehen lassen, dessen genaues Rezept eine Familientradition ist. Drin sind jedenfalls Weißwein, Essig, Wurzelgemüse.
Ein unvergleichliches Geschmackserlebnis ist diese Forelle, die Daniel Jann-Annen schlicht mit zerlassener Butter und Salzkartoffeln serviert. Das ist wahrhaft große Küche – ein echtes Produkt gekonnt und punktgenau zubereiten.
Dass dieser Küche die Zukunft gehört, haben die Wirtsleute gemerkt, als sie für die Schweizer Edelfluglinie „Swiss“ ein Menü für die First und Business-Klasse entwarfen. Es war wohl die beste Medienresonanz, welche die PR-Manager zu ihrer eigenen Überraschung jemals erlebten – als Jann-Annen in Zürich mit einem Käser aus dem Tal seine Gerichte präsentierte. Auch war der Zuspruch der Fluggäste größer als bei den Kreationen der höchstgelobten Schweizer Köche, welche teilweise mit ihren Molekulartüfteleien verwirrten. Über die Molekularbastler schüttelt der Koch aus dem Alpental nur den Kopf und fragt: „Warum kochen diese hervorragenden Köche mit unnatürlichen Zusatzstoffen?“ Weil, und das ist meine traurige Erfahrung, dies bei den Neuheits-süchtigen Essenskritikern die besten Wertungen bringt. Um so erfreulicher ist es, dass der „Adler“ im tonangebenden GaultMillau mit fairen 16 von 20 Punkten bewertet wird.
Gut aufgehoben fühlen sich die Menschen in diesem Landgasthof. Das liegt an den behaglichen Räumen, die altes und Neues gut kombinieren, vor allem in ein warmes Licht tauchen. Das liegt aber vor allem am herzlichen und klugen Service von Paula Jann-Annen, die aus der nahen Umgebung stammt, mit ihrem Mann drei Töchter groß gezogen hat, von denen zwei schon in der Gastronomie ihre Lehre absolvieren. Zwei Zimmer hat der „Adler“, in denen sich behaglich nächtigen lässt, wobei es allerdings schon sehr früh sehr laut wird.
Liebevoll: Bettenherz
Fazit: Die Reise ins Muotatal lohnt sich unbedingt. Echteres und besseres „Echt Essen“ gibt es kaum. Sicher, die Schweiz und auch der „Adler“ sind nicht billig, vor allem, weil es für einen schwächelnden Euro gerade noch um die 1,20 Franken gibt. Aber für die großartigen Produkte sind die Preise angemessen, nur die Weine sind wie überall im Nachbarland stramm kalkuliert, unter 50 Franken gibt es nicht viel. Ich habe einen interessanten RieslingxSylvaner vom Weingut Leutschner aus dem nahen Schwyz probiert, ein guter Essensbegleiter für 48 Franken. Eine echte Entdeckung ist von „Germanier“ der 2008er „Cornalin“, eine autochthone Rebsorte aus dem Wallis, die tiefgründig-intensiv schmeckt.
Aber nicht nur des Essens wegen lohnt der Weg in den Kanton Schwyz. Ganz hinten im Muotathal, wo es zum meist nur einspurig befahrbaren Pragel-Pass geht (nicht ganz ungefährlich, ich bin fast in den Abgrund gestürzt), liegt der „Bödmeren“, der einzige Urwald der Schweiz. Es ist dies ein „Schweizer Urwald“, also keiner mit Events, mit Erlebnisparcours, mit Baumwipfelpfaden. Aber einer mit herrlich gewachsenen, kerzengraden, bis zu 700 Jahre alten Fichten, an denen viele in Europa einmalige Flechten hängen. Dass der vor 7 000 Jahren entstandene Wald erhalten geblieben ist, liegt vor allem an den nachhaltig denkenden Bauern des Tales, die der Versuchung widerstanden, das begehrte Holz in die energiehungrigen Städte zu verkaufen. Positiv: Im Urwald gilt ein Jagdverbot. Und: Der Urwald wird ständig vergrößert.
Bis zu 700 Jahre alt: Fichten | Blüht auf 1 600 Meter Höhe: Heidekraut |
Gerade noch vor dem ersten Wintereinbruch bin ich im Wald gewandert. Ausgesucht habe ich eine rund fünfstündige Tour, die vom Parkplatz „Eigeliswald“ ausgeht und über „Äbnenmatt“, „Flöschen“ und „Bödmeren“ wieder zum Parkplatz führt. Es ist ein Weg, der in weitem Bogen um den Urwald führt, spektakuläre Ausblicke ins Muotatal, zum Rigi, aber auch zu den Schneebergen um den Klausen-Pass bietet – und zum Schluss durch den Urwald führt.<7p>
Steil, steinig und teilweise glatt sind die Wege, die nur gehen sollte, wer Berg-fit ist und gute Wanderschuhe hat. Auch ist eine gewisse Furchtlosigkeit nicht schlecht, denn der Weg führt dauernd mitten durch Kuh- und Ziegenherden, welche die Wanderer interessiert mustern – und ihnen auch schon mal hinterher rennen.
Aber es ist nichts passiert – und abends entschädigt die großartige „Adler“-Küche.
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
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Internet: www.lauber-methode.de
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