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Himmel, wie die Zeit vergeht! Am 30. April ist es bereits vier Jahre her, dass mein Mann Christoph und ich einander an einem wunderschönen Sonnentag das Jawort gegeben haben. Für die Vorbereitungen hatten wir nur gut zwei Monate Zeit, in denen auch das perfekte – und diabetestaugliche – Brautkleid gefunden werden musste.
Mein Mann Christoph und ich sind entschlussfreudige Menschen. Als wir Ende Januar 2011 beschlossen zu heiraten, wollten wir Nägel mit Köpfen machen und entschieden uns für den 30. April als Hochzeitsdatum, weil uns der Gedanke gefiel, nach dem Jawort in den Mai zu tanzen und dass alle Jahre wieder unser Hochzeitstag in einen Feiertag mündet. Viele sachkundige Menschen behaupten ja, eine ordentliche Hochzeit erfordere mindestens ein halbes Jahr Vorbereitung. Ich sage: Das ist bei gutem Willen auch in zwei Monaten zu schaffen. Dabei entpuppte sich der Kauf eines Brautkleides als der größte Zeitfresser.
Für die Suche gab es fixe Kriterien: Erstens musste ich mein Traumkleid unbedingt zusammen mit meiner Mutter und meinen Schwestern finden. Vor meiner ersten Hochzeit hatte ich es nämlich versäumt, aus dem Brautkleidkauf ein Mutter-Töchter-Event zu machen. Ich war ganz einfach in der Mittagspause zwischen Uni und Nebenjob in ein Brautmodengeschäft gehüpft und hatte ein Kleid aus dem Schaufenster gekauft, das sensationell im Preis reduziert war. Meine Mutter und meine Schwestern hatten mir diesen Spontankauf ein bisschen übel genommen. Also wollte ich (natürlich nicht nur in diesem Punkt) bei meiner zweiten Hochzeit alles richtig machen. Zweitens sollte es mir mein Traumkleid erlauben, im Lauf des Tages ohne fremde Hilfe mehrmals an meinen Bauch heranzukommen – schließlich macht der Diabetes am Hochzeitstag keine Pause, ich würde also zu den üblichen Zeiten mit dem Pen Insulin spritzen müssen. Und drittens sollte das Kleid natürlich wunderschön sein. Ich stellte mir also vor, dass meine Mutter und meine Schwestern für ein Wochenende anrücken, wir endlos lang diverse Brautmodengeschäfte durchstreifen, dabei Prosecco trinken und schließlich ein wunderschönes zweiteiliges Kleid für mich finden.
Und dann kam alles ganz anders. Ich verliebte mich rettungslos in ein wundervolles Kleid, das ich auf dem Titel eines Hochzeitsmagazins sah, das im Standesamt auslag. Ein Anruf bei der Redaktion des Heftes ergab, dass das Modell in einem Hamburger Brautmodenladen erhältlich war. Dort hatte auch das Fotoshooting für das Magazin stattgefunden. Ein weiteres Telefonat später wusste ich, dass das Kleid ein Einzelstück in Größe 38 und nicht mehr nachbestellbar war. Und ich hatte einen Termin zur Anprobe – und zwar allein, ohne Mama und Schwestern, denn bis zum Rudel-Shoppen-Wochenende war es noch ein Weilchen hin. Das Kleid passte und war traumhaft schön. Nur untenherum ein wenig zu lang und obenherum ein wenig zu eng. „Da werden wir aber sicher nichts machen müssen. Denn wahrscheinlich nehmen Sie in den nächsten Wochen sowieso ein paar Kilo ab, das geht allen Bräuten so!“, meinte die Verkäuferin.
Allerdings war das Kleid – obwohl es auf dem Foto so ausgesehen hatte – doch kein Zweiteiler. Ich schilderte der Verkäuferin also mein Problem: Wie kann ich mit diesem Kleid im Laufe des Tages mehrfach an meinen Bauch gelangen, um Insulin zu spritzen? Wir probierten ein Weilchen herum: Um den Rock mitsamt Unterrock und Reifrock anzuheben und mir Insulin in den Bauch zu spritzen, hätte ich auf jeden Fall eine zweite Person als Hilfestellung gebraucht. Deshalb dachten wir uns eine andere Lösung aus: Könnte man nicht an der Stelle, wo das Oberteil den Rock überlappt, die Naht ein Stückchen auftrennen, damit ich ein kleines Fleckchen Bauch zum Spritzen habe? Die Verkäuferin versprach mir, mit der Schneiderin zu sprechen. Ich für meinen Teil versprach, zusammen mit meiner Mutter und meinen Schwestern wiederzukommen, damit sie mir immerhin den offiziellen familiären Segen für mein Kleid geben könnten, wo ich doch schon wieder so kurzentschlossen alles allein entschieden hatte. Und voilà: Es wurde kein langer Streifzug durch verschiedene Brautmodengeschäfte, sondern ein kurzer und erfolgreicher Termin. Alle waren sich einig: Das Kleid ist wunderschön, mit einem kleinen Schlitz unter dem Oberteil ist die Insulinzufuhr gesichert, die Hochzeit wird toll.
Die Schneiderin leistete gute Arbeit: Sie trennte die Naht zwischen Oberteil und Rock ein kleines Stück auf und setzte innen einen kleinen Klettverschluss ein, damit beide Teile trotzdem gut zusammenhielten. Als es zwei Wochen vor der Hochzeit an die finale Anprobephase des Kleides ging, stellte sich leider heraus, dass ich eine untypische Braut war und nicht die üblichen zwei bis drei Kilo Gewicht verloren hatte. Was ganz einfach daran lag, dass mir die ganze Hochzeitsplanung überhaupt nicht auf den Magen geschlagen war. Mein Appetit war unverändert gut, meine Maße hatten sich nicht ein bisschen verändert. Man könnte es natürlich auch auf das Insulin schieben: Haben Diabetiker es nicht viel schwerer, ein paar Kilos abzunehmen als andere? Wie dem auch sei, die Schneiderin musste doch obenherum die letzten Stoffreserven aus dem Kleid herausholen. Zwei Tage vor der Hochzeit konnte ich mein Traumkleid abholen. Bei der allerletzten Anprobe streikte der Reißverschluss, was allerdings nicht mir, sondern nur der Brautmodenverkäuferin schlaflose Nächte bereitete.
Am Tag der Hochzeit ließ sich der Reißverschluss zum Glück anstandslos schließen. Dafür verspätete sich die Friseurin, die mir eine hübsche Brautfrisur verpassen sollte. Die kleine Zeitverzögerung, mit der wir im offenen Cabrio zum Standesamt starteten, sollte aber die einzige Panne des Tages bleiben: Unsere Hochzeit war ein wunderbares und sonniges Fest, gefolgt von einem rauschenden Tanz in den Mai. Mein Blutzucker ließ sich von all der Aufregung herzlich wenig beeindrucken und bewegte sich den ganzen Tag irgendwo zwischen 70 und 130 mg/dl (3,9 und 7,2 mmol/l). Messgerät, Insulinpens und Traubenzucker waren zusammen mit Lippenstift und Puder in einer Vintage-Clutch verstaut, die ich bei Ebay ersteigert hatte, denn in die gängigen kleinen Hochzeitsbeutelchen aus dem Brautmodengeschäft hätte all der Kram nicht hineingepasst. Die Clutch hatte ich mit einem Stück Kräuselstoff verziert, das mir am Rock meines Kleides nicht gefallen und das die Schneiderin vorsichtig abgelöst hatte. Mein frischgebackener Ehemann erinnerte mich gelegentlich ans Blutzuckermessen, der Schlitz im Kleid reichte für den Insulinpen bestens aus. Hochzeitswalzer und stundenlanges Tanzen sowie etliche Gläser Sekt halfen dabei, den Blutzuckeranstieg nach dem üppigen Buffet im Zaum zu halten. Und die Hochzeitstorte im Scrabble-Look mit aufwändigem Marzipan-Dekor schützte mich spätabends vor einer drohenden Unterzuckerung.
Ich muss zugeben, dass mir mein weltbester Ehemann als lebenslanger Begleiter eigentlich völlig ausreicht. Doch wenn mein Diabetes weiterhin so brav mitspielt, darf auch er von mir aus treu an meiner Seite bleiben – in guten wie in schlechten Tagen.
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