11 424 diskutierten live und im Internet

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11 424 diskutierten live und im Internet

Vom 19. bis zum 23. September 2022 fand in Stockholm die 58. Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Diabetesforschung (EASD) statt. Nachdem der Kongress zwei Jahre nur virtuell stattfand, konnten sich jetzt endlich wieder die Diabetesforschenden der Welt persönlich treffen. Live waren 8062 dabei, im Internet registrierten sich 3362 Teilnehmer.

Spannendes Programm, viele Preise

Das Programmkomitee unter Leitung von Prof. Dr. Mikael Rydén vom Karolinska-Institut in Stockholm hatte anhand der wie immer anonym bewerteten Bewerbungen die Präsentationen ausgewählt. Die Vorträge lieferten einen umfassenden Blick auf die aktuellsten Ergebnisse der Diabetesforschung. Die meisten Vortragenden kamen aus dem Vereinigten Königreich, gefolgt von Dänemark, den USA, Italien, Schweden und Deutschland.

Fast alle der bedeutenden Ehrungen der EASD wurden in diesem Jahr an Forscher in Deutschland verliehen. Mehr Zusammenarbeit und großzügigere Förderung haben in Deutschland die Diabetesforschung einen großen Schritt nach vorn gebracht.

Die höchste Ehrung der EASD ist nach Claude Bernard benannt, dem Vater der Stoffwechselforschung. 1978 hatte Prof. Dr. Werner Creutzfeldt aus Göttingen diesen Preis für seine Arbeiten über im Darm gebildete Hormone erhalten. Jetzt wurde sein Schüler Prof. Dr. Michael Nauck geehrt, der seit vielen Jahren zu diesem Thema forscht. Weil diese den Blutzuckerspiegel senkenden Darmhormone nur sehr kurz wirken, interessierten Forschungen zu diesem Thema viele Jahre nur wenige Spezialisten. Zu denen gehörte immer Michael Nauck. Seit man diese Hormone so verändern kann, dass sie viel länger wirken, kann man sie zur Behandlung des Diabetes einsetzen.

Die Entwicklung geht weiter

Neu ist, dass man jetzt Medikamente entwickelt, die nicht nur ein Darmhormon nachmachen, sondern gleich mehrere. Tirzepatid, das bald verfügbar sein wird, wirkt wie die Darmhormone GLP-1 und GIP. Prof. Dr. Ania Jastreboff von der Yale University stellte die Ergebnisse einer Behandlung mit Tirzepatid vor. Die Gewichtsabnahme ist beeindruckend, die Nebenwirkungen sind gering.

Wundermittel gegen die Fettsucht?

Bekommen wir jetzt das Wundermittel gegen das Übergewicht? Wer die Geschichte solcher Mittel kennt, erinnert sich an das zum Teil tragische Scheitern solcher Medikamente. Sehr aufmerksam sollte man deshalb die weitere Forschung verfolgen. Gibt es bei langfristiger Gabe Nebenwirkungen, die wir noch nicht kennen? Was tun, wenn nach Absetzen das Gewicht wieder rasch ansteigt? Die nächsten Jahre werden es zeigen.

EASD-Lilly-Centennial-Anniversary-Preis für Prof. Dr. Mathias Tschöp

Das Unternehmen Eli Lilly stellt seit 100 Jahren Insulin her und stiftete aus diesem Anlass einen Preis. Das von der EASD nominierte Komitee wählte als Preisträger Prof. Dr. Mathias Tschöp, der das Helmholtz-Forschungszentrum an der TU München leitet.

Tschöp entdeckte die Funktion des im Magen produzierten Hormons Ghrelin, einem Gegenspieler des Leptins aus dem Fettgewebe. Beide steuern im Gehirn Hungergefühl, Nahrungsaufnahme und Körperfettmasse. Tschöp war auch an der Entwicklung von Tirzepatid beteiligt. Tschöp zeigte jetzt Forschungsergebnisse für ein Medikament, das die Wirkung von sogar drei Hormonen nachmacht, neben GIP und GLP-1 auch Glukagon. Erste Ergebnisse zeigen, dass sich damit eine noch deutlichere Gewichtsabnahme erreichen lässt.

Sechs Millionen dänische Kronen gehen nach München

Die Novo Nordisk Foundation stiftet den mit sechs Millionen dänischen Kronen (über 800 000 Euro) dotierten “Diabetes Prize for Excellence”. Gefördert werden die Forschungsarbeiten von Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler, Direktorin des Instituts für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum München. Die Forscherin ist den Ursachen des Typ-1-Diabetes auf der Spur und versucht seit vielen Jahren, Kinder mit besonderem Risiko für Typ-1-Diabetes zu finden, um irgendwann das Auftreten des Typ-1-Diabetes zu verhindern.

Schon zwei Monate vor dem Auftreten der ersten Autoantikörper beobachtete Ziegler auffällige Veränderungen des Zuckerstoffwechsels. “Fällt jetzt ein Dogma?”, fragte sie. “Sind diese Antikörper vielleicht nicht die Ursache, sondern die Folge eines noch unbekannten Prozesses?” Bei erblicher Veranlagung (man kennt schon mehr als 50 Risikogene für Typ-1-Diabetes) muss es zunächst zu einer “Immunaktivierung” kommen, erst dann treten die Antikörper auf, die letztlich zu einer Zerstörung der Betazellen führen.

Großes Ziel: Typ-1-Diabetes verhindern

Die POInT-Studie versucht, mit Insulin in Tablettenform bei Babys mit hohem Risiko das Immunsystem sozusagen an Insulin zu gewöhnen und dadurch das Auftreten von Antikörpern zu verhüten. Ergebnisse werden im Jahr 2025 erwartet. In der SINT1A-Studie gibt man über 1000 Kindern Bifidobacterium infantis, um die Darmbakterien günstig zu beeinflussen, 2027 erwartet man Ergebnisse. In Deutschland hat Zieglers Gruppe in der Fr1da-Studie schon über 170 000 Kinder untersucht und bereits 483 entdeckt, bei denen mehrere Inselzellantikörper vorliegen. Sie kämen für eine vorbeugende Behandlung in Frage.

Mit Teplizumab Typ-1-Diabetes aufhalten?

Es gibt bereits ein Mittel, das die Entwicklung des Typ-1-Diabetes verzögert: Teplizumab, ein Antikörper, der den Angriff des Immunsystems auf Betazellen vermindert. Der Hersteller, ProventionBio, bemüht sich in den USA um die Zulassung. Man wird sehr genau die Nebenwirkungen solcher Mittel beobachten müssen. Alte Diabetologen erinnern sich an das Scheitern der Versuche, den Immunprozess bei Typ-1-Diabetes mit Ciclosporin aufzuhalten.

Minkowski-Preis für Prof. Dr. Martin Heni

1888 entdeckte Oskar Minkowski, dass nach Entfernung der Bauchspeicheldrüse Diabetes entsteht. Nach ihm benannte die EASD den Minkowski-Preis. In diesem Jahr erhielt ihn Prof. Dr. Martin Heni. Seine Arbeiten entstanden an der Universität Tübingen, seit 2022 leitet er die Sektion Endokrinologie und Diabetologie an der Universitätsklinik Ulm. Heni untersucht die Bedeutung des Gehirns für die Regulation des Stoffwechsels. Früher meinte man, dass Insulin keine Wirkung im Gehirn habe. Modernste Technik macht es jetzt möglich, Wirkungen des Insulins im Gehirn auch bei Menschen zu untersuchen. Besonders erfolgreich war dabei ein Trick, den Heni anwandte: Er führte Insulin als Spray über die Nase zu. So konnte er direkt messen, was ein Erhöhen der Insulinspiegel im Gehirn bewirkt.

Morgagni-Preis ging nach Potsdam

Den vom Unternehmen Servier gestifteten Morgagni-Preis erhielt PD Dr. Olga Ramich vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam. Sie berichtete über die mit dem Preis geförderte Forschung. An Stoffwechsel-Gesunden konnte sie zeigen, dass es einen Unterschied macht, ob man seine Kalorien am Vormittag oder am Nachmittag zu sich nimmt. Die Glukosetoleranz verbessert sich, wenn man nur von 8 bis 16 Uhr statt von 13 bis 21 Uhr isst: Das alte Sprichwort “Morgens wie ein König und abends wie ein Bettler essen” hat also eine wissenschaftliche Grundlage.

Albert-Renold-Preis für Prof. Dr. Maike Sander

Der Albert-Renold-Preis, benannt nach dem Gründer der EASD, Prof. Dr. Albert Renold, ehrt besondere Verdienste um die Erforschung der Langerhans-Inseln. Als man sie für diesen Preis nominierte, arbeitete Maike Sander noch in San Diego. Im Juni 2022 wurde sie als Vorstandsvorsitzende an das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin berufen. Sander untersucht, wie man Stammzellen dazu bringen kann, sich zu Betazellen zu entwickeln. Es ist faszinierend, welche Fortschritte in diesem Bereich in den letzten Jahren gemacht wurden. Es gelingt bereits, Betazellen herzustellen, die zumindest schon den Betazellen ungeborener Babys entsprechen, aber der Schritt bis zu ausgewachsenen Betazellen ist noch nicht gelungen.

Insulin für eine ganze Woche?

Neue Techniken machen es möglich, Insuline herzustellen, die eine Woche lang wirken. Bei dem von Novo Nordisk entwickelten Insulin icodec wird die Insulinwirkung durch einen angehängten Fettsäure-Rest erheblich verzögert. In einer Studie mit Menschen mit Typ-2-Diabetes verglich man Insulin icodec mit täglich gespritztem Verzögerungsinsulin. Die Wirkung war vergleichbar, erst nach ca. 18 Wochen zeigte sich ein, allerdings geringer, Vorteil für Insulin icodec. Allerdings kann man verständlicherweise solche Studien nicht “verblinden”, denn wer nur einmal pro Woche spritzt, weiß natürlich, welches Präparat benutzt wird. Eli Lilly erreicht mit seinem Basalinsulin Fc (BIF) eine Verlängerung der Insulinwirkung durch ein angehängtes Eiweiß. Auch andere Unternehmen arbeiten an Methoden der Wirkverzögerung. Ob derart lang wirkende Insuline wirklich hilfreich sind, müssen künftige Studien zeigen.

Was essen bei Diabetes, um länger zu leben?

Dr. Janett Barbaresko aus Düsseldorf berichtete über eine Auswertung aller Studien zur Frage, welche Ernährungsweisen bei Typ-2-Diabetes das Leben verlängern könnten. In den Studien lebten Menschen länger, die mehr Fisch, Ballaststoffe und mehrfach ungesättigte Fettsäuren zu sich nahmen. Das Problem solcher Studien ist aber: Es sind nur Beobachtungsstudien und eine Verblindung ist bei dieser Art von Studien verständlicherweise unmöglich.

Schluss mit dem BMI? Hüfte und Taille messen!

Viel hat man sich gemüht, den Body-Mass-Index (BMI) populär zu machen, aber niemand kann im Kopf sein Gewicht durch die ins Quadrat erhobene Körpergröße in cm teilen. Dr. Imran Khan von der Universität Cork in Irland wertete Daten von 50 594 Personen aus. Eine deutlichere Beziehung zur Lebenserwartung als der BMI bestand für die Bestimmung des Taillen- und Hüftumfangs. Fett am Bauch ist viel schlimmer als ein Fettpolster an den Hüften. Besonders bei Männern war der BMI deutlich weniger aussagekräftig. Also besser das Maßband benutzen statt der Waage!

Vorträge des EASD-Meetings sind unter www.easd.org frei verfügbar. Vom 3. bis 6. Oktober 2023 trifft sich die Diabetesforschung aus aller Welt in Hamburg.

Autor:
© EASD
Dr. Viktor Jörgens

E-Mail: Dr-Viktor-Joergens@t-online.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2022; 71 (12) Seite 12-15

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