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Moderne Diabetes-Technologie spielt in der Therapie und im Selbstmanagement des Typ-1-Diabetes eine immer wichtigere Rolle. Wer jung ist, wächst quasi in diese Technologien hinein und nutzt sie. Aber auch Menschen, die mit Typ-1-Diabetes älter werden, profitieren stark von den Möglichkeiten, die kontinuierliches Glukose-Monitoring, Insulinpens und Insulinpumpen sowie viele weitere technische Angebote auch außerhalb des Diabetes-Managements bieten.
Bis 1922 gab es bekanntermaßen wenige Chancen für Menschen mit Typ-1-Diabetes, überhaupt das Erwachsenen-Alter zu erreichen, geschweige denn, alt zu werden. Erst mit der Entdeckung des Insulins durch Frederick Banting und Charles Best und der Verfügbarkeit für die Behandlung von Menschen mit Typ-1-Diabetes erhielten auch diese Menschen die Möglichkeit, älter, ja auch wirklich alt zu werden. Und dabei in vielen Fällen auch fit und leistungsfähig bis ins hohe Alter zu bleiben.
Durch Folge- und Begleiterkrankungen gelingt dies aber nicht immer so wie bei Menschen ohne Diabetes, Und natürlich können sich auch mit dem Alter zusammenhängende Erkrankungen und Funktionsstörungen unabhängig vom Diabetes einstellen.
Das Fallbeispiel: Martha Müller, 82, ICT |
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Martha Müller ist 82 Jahre alt, seit Jahrzehnten hat sie einen Typ-1-Diabetes, der mit Insulin behandelt werden muss. Sie spritzt vor den Mahlzeiten kurzwirksames Insulin, zusätzlich ein langwirksames Basalinsulin. Sie lebt mit ihrem Ehemann zu Hause, ist mit Rollator mobil und versorgt sich selbst. In letzter Zeit klagt sie, dass sie öfter Dinge vergesse. Sie vergesse auch ab und zu, das Insulin zu spritzen. Erst, wenn der Blutzucker vor dem Essen sehr hoch sei, falle ihr ein, dass sie eine Insulin-Injektion vergessen habe. Einmal habe sie versehentlich die Insulindosis doppelt gespritzt und musste wegen einer schweren Unterzuckerung ins Krankenhaus. Manchmal habe sie einfach keinen Appetit und esse weniger als früher. Ihr Ehemann hat von einem Glukosesensor und Diabetes-spezifischen Hilfsmitteln erfahren und fragt sich, ob diese ihr helfen würden, die Insulin-Therapie sicherer durchzuführen. Welche Hilfsmittel sind im höheren Lebensalter wirklich sinnvoll? |
Menschen mit Typ-1-Diabetes tragen nach der Diagnose meist sehr früh und sehr stark dazu bei, ihre Therapie durchzuführen. Hierfür ist wesentlich, dass sie geistig dazu in der Lage sind. Mit dem Älterwerden schränken manchmal Erkrankungen wie Demenz oder eine eingeschränkte Feinmotorik Fertigkeiten zum Selbstmanagement dauerhaft ein. Der Alltag älterer Menschen mit Typ-1-Diabetes ist deshalb manchmal herausfordernd.
Von der regelmäßigen Blutzuckerkontrolle, dem Vorliegen sonstiger Erkrankungen des Alters bis zum Erhalt der Lebensqualität erfordert das Selbstmanagement des Typ-1-Diabetes Aufmerksamkeit und Sorgfalt. Glücklicherweise bieten moderne technische Hilfsmittel sowohl spezifische Unterstützung für die Diabetes-Selbstbehandlung als auch allgemeine Unterstützung im Alltag. Dies ermöglicht, die Gesundheit besser zu überwachen, den Diabetes zu managen und die Lebensqualität zu verbessern.
Systeme zum kontinuierlichen Glukose-Monitoring (CGM): CGM-Systeme überwachen die Glukosewerte rund um die Uhr und bieten Echtzeit-Feedback. Das ermöglicht älteren Menschen mit Diabetes, ihre Glukosewerte ohne häufiges Fingerstechen zu überwachen. Alarme warnen vor hohen oder niedrigen Werten, was besonders nachts für Sicherheit sorgt. Besonders günstig sind Systeme, die nicht kalibriert werden müssen und somit einfacher zu bedienen sind.
Insulinpumpen: Insulinpumpen liefern kontinuierlich Insulin, wodurch die Notwendigkeit für mehrfache Injektionen am Tag entfällt. Moderne Insulinpumpen können mit CGM-Systemen gekoppelt werden, um automatische Anpassungen der Insulindosis zu ermöglichen, basierend auf dem aktuellen Glukosewert. Letzteres sind Systeme zur automatisierten Insulin-Dosierung (AID-Systeme). Die Kopplung zwischen Insulinpumpe und CGM-System erlaubt auch, mit wenigen Klicks einen für die Nahrung angemessenen Bolus abzugeben.
Digitale Tagebücher und Apps: Viele Smartphone-Apps helfen heute auch älteren Menschen mit Diabetes bei der Selbstbehandlung. Die Apps ermöglichen, Blutzuckerwerte, Nahrungsaufnahme, Insulindosen und körperliche Aktivität zu protokollieren und dadurch die Behandlung zu optimieren. Diese Daten können auf Wunsch auch mit Gesundheitsdienstleistern wie dem Diabetesteam geteilt werden, um die Behandlung anzupassen.
Fallbeispiel: Umstellung der Insulin-Therapie |
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Martha Müller isst nicht mehr so regelmäßig, da ihr Appetit unterschiedlich ist. Die Blutzuckerwerte schwanken daher zwischen 40 und 350 mg/dl bzw. 2,2 und 19,4 mmol/l. Sie ist in der Vergangenheit mehrfach gestürzt. Ihr Ehemann kann sie zu Hause in der Therapie unterstützen. Er ist allerdings besorgt, dass die Unterzuckerungen Ursache der Stürze sein könnten. Eine erneute Einweisung ins Krankenhaus aufgrund einer erneuten schweren Unterzuckerung möchte er auf jeden Fall verhindern. Nach Beratung mit einem Diabetologen bekommt Martha Müller einen Glukosesensor, der kontinuierlich die Glukosewerte misst (CGM). Bei zu tiefen Glukosewerten wird ein Alarmsignal gesendet und gibt somit die Möglichkeit, rechtzeitig Kohlenhydrate zu essen. Martha Müller ist erleichtert, da ihre Fingerkuppen durch die jahrzehntelangen Blutzuckerkontrollen vernarbt sind und sie diese Schmerzen nicht mehr ertragen muss. Tatsächlich wird ihr jetzt seltener schwindelig und sie hat durch den Sensor weniger Angst, zu stürzen. Aufgrund des unregelmäßigen Essens empfiehlt ihr Diabetologe Folgendes: Bei alt gewordenen Menschen mit Typ-1-Diabetes und wechselnder Nahrungsaufnahme wird das Insulin erst nach dem Essen gespritzt, und zwar in Abhängigkeit von der gegessenen Menge (korrekter Ablauf: siehe Auflistung im folgenden Kasten). |
Smarte Assistenten: Systeme wie Amazon Echo oder Google Home können älteren Menschen im Alltag helfen, indem sie an die Einnahme von Medikamenten und an Termine erinnern, einfache Fragen beantworten oder sogar bei der Steuerung des Smart Home helfen.
Wearables: Tragbare Geräte wie Smartwatches können nicht nur Schritt-Zahlen und körperliche Aktivität überwachen, sondern auch an Medikamente erinnern, die Herzfrequenz messen oder Rhythmusstörungen des Herzens feststellen und im Notfall Hilfe rufen.
Telemedizin und Online-Beratung: Die Möglichkeit, medizinische Beratung und Betreuung über das Internet zu erhalten, ist besonders für ältere Menschen, die schlecht zu Fuß sind oder in ländlichen Gebieten leben, von großem Vorteil. Regelmäßige Kontrollen und Beratungen können so bequem von zu Hause aus erfolgen.
Die Möglichkeiten, die Computer-Programme und Apps zur Daten-Analyse, zum Verbessern der Therapietreue, zum Daten-Management, zum Glukose-Steuern sowie zum Erinnern an die Einnahme von Medikamenten oder an Insulin-Injektionen bieten, werden von einigen Patientengruppen bereits sehr selbstverständlich genutzt. In der Praxis der Anwendung für ältere Menschen, die Unterstützung benötigen, ist elementar, dass sie alltagsgerecht in das soziale Umfeld der Menschen integriert werden.
In diesem Sinne ist darauf zu achten, die Eingabe- bzw. Endgeräte kontinuierlich im Verfügungsbereich der Betroffenen zu halten, sie mit Sprechfunktion oder sehr gut sichtbarem Display auszustatten und idealerweise mit alltagstypischen Gegenständen wie Uhr, Smartphone, bereits vorhandenen Hilfssystemen wie einem Hausnotrufsystem usw. zu verbinden. Sehr hilfreich ist, wenn die erforderlichen Erläuterungen auch über ein Sprach-System zur Verfügung gestellt werden.
Smartphones und Tablets: Diese Geräte ermöglichen es älteren Menschen, mit Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben, soziale Medien zu nutzen und Zugang zu Nachrichten und Unterhaltung zu haben. Spezielle Apps und Einstellungen können die Bedienung vereinfachen.
Videokonferenz-Systeme: Programme wie Skype, Zoom oder FaceTime erlauben es, von Angesicht zu Angesicht mit Angehörigen zu kommunizieren. Dies ist besonders für die Menschen wichtig, die entfernt von ihrer Familie leben.
Telemedizin-Plattformen: Plattformen für Telemedizin ermöglichen virtuelle Arztbesuche und Gesundheitsberatung direkt von zu Hause aus. Das vereinfacht den Zugang zu medizinischer Versorgung.
Notruf-Systeme: Tragbare Notrufknöpfe oder -uhren sichern im Notfall schnelle Hilfe. Viele Systeme verfügen über ein automatisches Erkennen von Stürzen.
Smart-Home-Technologien: Intelligente Beleuchtung, Thermostate und Sicherheitssysteme können per Sprachbefehl oder Smartphone-App gesteuert werden, was die Handhabung dieser Technologien erleichtert.
Roboter-Assistenz-Systeme: Obwohl noch in den Kinderschuhen, versprechen Hilfen durch Roboter Unterstützung bei Tätigkeiten im Haushalt. Sie könnten zukünftig beim Selbstmanagement helfen oder einfach Gesellschaft bieten, um Einsamkeit zu reduzieren.
Elektrische Mobilitäts-Hilfen: Elektrische Rollstühle oder Scooter verbessern die Mobilität und Selbstständigkeit außerhalb des Hauses.
Online-Kurse und Bildungs-Plattformen: Durch Online-Kurse und Bildungs-Plattformen bekommen ältere Menschen die Möglichkeit, neue Fähigkeiten zu erlernen, Schulungen online mitzumachen oder Hobbys von zu Hause aus zu verfolgen.
Digitale Bibliotheken und Lesegeräte: Mit digitalen Bibliotheken und Lesegeräten erhalten Menschen Zugang zu einer breiten Palette von Büchern und Zeitschriften in verschiedenen Formaten, auch in Großdruck oder als Hörbücher für Menschen mit Einschränkung des Sehens.
Fallbeispiel: weitere Hilfsmittel für den Alltag |
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Zusätzlich zur Therapie-Anpassung installiert Georg Müller für seine Frau einen Hausnotruf, damit schnelle Hilfe vor Ort sein kann, wenn er mal einkaufen ist. Um nächtliche Stürze zu verhindern, kauft er eine Beleuchtung, die sich durch einen Bewegungssensor automatisch einschaltet. Eine über Bewegungssensoren gesteuerte Beleuchtung zum Verhindern von Stürzen ist sehr einfach zu installieren. Er hat sie einfach im Baumarkt erworben. Auch überlegt er, durch Sensormatten die Sicherheit für seine Frau zu erhöhen. Als Nächstes informiert er sich über einen Insulinpen mit Erinnerungs-Funktion, damit seine Frau möglichst lange und sicher ihre Insulintherapie selbstständig durchführen kann. |
von PD Dr. Andrej Zeyfang und PD Dr. Anke Bahrmann
Erschienen in: Diabetes-Anker, 2024; 72 (6) Seite 14-17
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