Die Zeit vor der Diagnose

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Die Zeit vor der Diagnose

Wie schön wäre eine Welt ohne Typ-1-Diabetes? Diabetes-Journal-Lesende stimmen sicher sofort zu. Die Erkrankung sehr früh zu entdecken, hätte schon enorme Vorteile – und in der klinischen Forschung wird intensiv daran gearbeitet, sie hinauszuzögern oder gar zu verhindern.

Es bleibt bislang eine der kritischsten Phasen für Menschen mit Typ-1-Diabetes: die Zeit vor der Diagnose. Die gängigen Symptome wie häufiger Harndrang, starker Durst oder Gewichtsverlust sind nicht leicht zuzuordnen und werden daher oft nicht sofort erkannt oder fälschlicherweise als harmlos eingeschätzt.

Immer wieder erleiden auch junge Patientinnen und Patienten deshalb lebensgefährliche Stoffwechselentgleisungen: „Ketoazidosen“. Diese schwere Komplikation entsteht, wenn die Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse bereits weit vorangeschritten ist und ein starker Insulinmangel besteht. Die betroffenen Kinder können sogar in ein diabetisches Koma fallen. Die Diagnose Diabetes mellitus Typ 1 erfolgt so in der Notaufnahme, das Leben der Familien ändert sich schlagartig auf dramatische Weise.

Diagnose im Frühstadium

Doch eine solche „Schockdiagnose“ muss heute nicht mehr sein. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München haben in der bayernweit angelegten Bevölkerungsstudie „Fr1da“ weltweit erstmalig einen Früherkennungstest für Typ-1-Diabetes bei allen Kindern im Alter von 2 bis 5 Jahren eingesetzt und die Auswirkungen untersucht. Mit dem Screening auf „Insel-Autoantikörper“ ist es möglich, Typ-1-Diabetes bereits im Frühstadium zu diagnostizieren. Denn Insel-Autoantikörper sind Zeichen für eine Entzündung der insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse.

Die Diagnose eines Frühstadiums von Typ-1-Diabetes – vor dem Auftreten der ersten Krankheitssymptome – kann deshalb die Rate an schweren Stoffwechselentgleisungen deutlich reduzieren. Das ist besonders wichtig, da die diabetische Ketoazidose neben akuten Konsequenzen auch langfristige negative Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf hat.

Ergebnisse der Fr1da-Studie in Bayern

An der Studie beteiligten sich 682 Kinderarztpraxen in ganz Bayern, indem sie den Fr1da-Bluttest als für die Familien freiwillige Zusatzleistung in ihre routinemäßigen Früherkennungsuntersuchungen aufnahmen. Die Untersuchung von insgesamt 90 632 Kindern ergab bei 280 von ihnen (0,31 Prozent) ein Frühstadium der Autoimmunerkrankung. Von diesen 280 Kindern entwickelte bis Oktober 2019 bereits ein Viertel einen klinischen Typ-1-Diabetes, doch nur bei zwei von ihnen kam es zu einer diabetischen Ketoazidose.

Die Studienleiterin Prof. Anette-Gabriele Ziegler, Direktorin des Instituts für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum München, sieht darin einen Wegweiser für die Diabetesvorsorge: „Aktuell erleiden noch mehr als 20 Prozent der nicht getesteten Kinder in Deutschland eine Stoffwechselentgleisung, in den USA sind es sogar über 40 Prozent. Rechtzeitige Früherkennungsuntersuchungen tragen offensichtlich dazu bei, dass wir Kinder vor diesem lebensbedrohlichen Zustand schützen können. Deshalb finde ich es angemessen, dass wir auch darüber sprechen, derartige Screenings in den Leistungskatalog der Regelvorsorge aufzunehmen.“

Früherkennungstest: wenige Tropfen Blut reichen schon

Der Früherkennungstest wird mithilfe weniger Tropfen Blut aus dem Finger, die dann auf Insel-Autoantikörper untersucht werden, durchgeführt. Werden mindestens zwei dieser Antikörper nachgewiesen, ist das ein Zeichen dafür, dass das Immunsystem die insulinproduzierenden Betazellen angreift – die Ursache für Typ-1-Diabetes.

Die Kinder, die Antikörper im Blut aufwiesen, wurden von der Fr1da-Forschungsgruppe in einem neuartigen Ansatz in drei Stadien unterteilt: In Stadium 1 ist der Blutzucker noch im Normbereich (Normoglykämie), in Stadium 2 ist der Glukosestoffwechsel bereits gestört, und in Stadium 3 ist der klinische Typ-1-Diabetes bereits eingetreten. Diese Einstufung soll laut den Forschern eine individuelle Verlaufskontrolle und damit eine bestmögliche Behandlung der Kinder ermöglichen.

„Wir arbeiten an einer Welt ohne Typ-1-Diabetes“

Doch Ziegler und ihrem Team geht es um mehr als darum, Typ-1-Diabetes frühzeitig zu erkennen. „Wir arbeiten an einer Welt ohne Typ-1-Diabetes“, erklärt die Wissenschaftlerin und Ärztin, die sich seit Jahrzehnten mit der Autoimmunerkrankung beschäftigt. „Deshalb bieten wir betroffenen Familien die Möglichkeit, mit ihrem Kind an einer Studie teilzunehmen, die darauf abzielt, das klinische Stadium der Erkrankung hinauszuzögern oder im besten Fall sogar zu verhindern.“ Dazu erhalten die jungen Probandinnen und Probanden in einer „Doppelblind-Studie“ täglich Insulinpulver oder ein Placebo mit der Nahrung.

Die Idee dahinter: Ähnlich wie bei einer Hyposensibilisierung bei Allergien soll das Immunsystem trainiert werden, eine Immuntoleranz aufzubauen. Konkret bedeutet das, dass die Entwicklung schützender Immunzellen angeregt werden soll, um die Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen zu verhindern. Vorangehende Studien zeigten bereits Anzeichen dieses Effekts und machen somit Hoffnung auf einen Erfolg der Therapie.

Früherkennung für alle?

In einem nächsten Schritt werden die Forscherinnen und Forscher eine Kosten-Nutzen-Analyse des Screenings durchführen. Sie könnte die Aufnahme der Früherkennungsuntersuchung in die Regelvorsorge und den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen weiter unterstützen. „Die flächendeckende frühzeitige Diagnose würde uns den Weg hin zu einer Welt ohne Typ-1-Diabetes deutlich erleichtern“, betont Ziegler.

Gegenwärtig ist der kostenfreie Test in Bayern für alle Kinder im Alter von 2 bis 10 Jahren zugänglich und deutschlandweit für alle nahen Verwandten von Menschen mit Typ-1-Diabetes bis zum Alter von 21 Jahren. In Niedersachsen gibt es zudem durch die Studie „Fr1dolin“ die Möglichkeit der Früherkennung für alle Kinder zwischen 2 und 6 Jahren.


von Mona Walter
Referentin Kommunikation GPPAD
Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Zentrum München und
Forschergruppe Diabetes, Klinikum rechts der Isar, TU München
Ingolstädter Landstraße 1, 85764 Neuherberg
E-Mail: mona.walter@helmholtz-muenchen.de

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (7) Seite 42-43

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

  • gingergirl postete ein Update vor 1 Woche, 5 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 1 Woche, 6 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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