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Novo Nordisk hat am 1. Juli 2015 bekannt gegeben, dass das Basalinsulin Tresiba® (Insulin degludec) ab Ende September nicht mehr auf dem deutschen Markt verfügbar sein wird. Dr. Martin Lederle, Arzt für Innere Medizin und Diabetologie, erklärt, warum Tresiba® Vorteile für die Patienten bietet und warum er noch einen Funken Hoffnung hat, dass es vielleicht nicht vom deutschen Markt verschwindet.
Am 01.07.2015 hat Sebastian Wachtarz, Leiter Communications Market Access & Public Affairs per E-Mail mich darüber informiert, dass Novo Nordisk den Vertrieb von Insulin degludec (Tresiba®) Ende September 2015 in Deutschland einstellen wird. Diese völlig unerwartete Nachricht hat mich wie ein Hammer getroffen.
Auslöser für diese Entscheidung sind ausschließlich finanzielle Gründe: Novo Nordisk reagiert damit auf das Ergebnis des AMNOG-Prozesses zu Tresiba®, der jetzt mit der Entscheidung der Schiedsstelle abgeschlossen wurde. Der Spruch der Schiedsstelle, der im Wesentlichen den Forderungen des GKV-Spitzenverbands entspricht und den künftigen Listenpreis auf die Höhe der Kosten einer Therapie mit Humaninsulin festgesetzt hat, hat zu diesem drastischen Schritt geführt. Laut Aussage des Unternehmens wäre es für Novo Nordisk wirtschaftlich nicht tragbar, Tresiba® zu diesem Preis im deutschen Markt weiter zur Verfügung zu stellen.
Seit der letztjährigen Frühjahrstagung der DDG in Berlin haben wir in der Diabetespraxis Ahaus Tresiba® bei Patienten mit Diabetes mellitus eingesetzt und uns dabei auf die mehrfach wiederholte Aussage von Mitarbeiter/innen des Unternehmens Novo Nordisk verlassen: „Tresiba® wird nicht wieder vom deutschen Markt verschwinden.“
Im gerade abgelaufenen 2. Quartal 2015 erhielten in der Diabetespraxis Ahaus 164 Patienten Tresiba®. Die meisten davon sind Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1, die schon seit Jahren eine Insulintherapie durchführen (müssen) und die mit den bisher verfügbaren Verzögerungsinsulinen (meist Insulin glargin – Lantus® – oder Insulin detemir – Levemir® -, seltener protaminverzögertes Insulin) ihre Probleme hatten.
Tresiba® ist natürlich kein Wunderinsulin, aber viele dieser Patienten, die zum Teil Tresiba® jetzt schon ein Jahr verwenden, haben davon profitiert: die Schwankungen der Blutglukose (BG)waren geringer ausgeprägt, der Nüchtern–BG–Wert war stabiler, es sind weniger Hypoglykämien aufgetreten, insbesondere in der Nacht. Viele dieser Patienten haben beim Routinebesuch in der Diabetespraxis Ahaus spontan gesagt: „Mit diesem Insulin hat sich endlich mehr ‘Ruhe’ und ‘Gleichmäßigkeit’ eingestellt. Ich kann wieder ruhiger schlafen, da ich keine Angst mehr vor nächtlichen Hypoglykämien haben muss. Ich fühle mich viel besser. Meine Lebensqualität hat sich mit diesem Insulin deutlich verbessert.“
Mir ist natürlich bewusst: Der Gewinn an Lebensqualität ist ein eher „weicher“ Faktor, der mit „harten“ Zahlen nicht so einfach zu belegen ist. Ich bin ein großer Freund der evidenzbasierten Medizin (EBM), die aus dem folgenden, gleichberechtigten „Dreiklang“ besteht:
1. „harte Daten“ aus gut gemachten Studien,
2. Erfahrung des Behandlers,
3. Wünsche, Erwartungen und Bedürfnisse des Patienten.
Wenn ich diese EBM-Prinzipien auf Tresiba® anwende, komme ich zu folgendem Ergebnis: Die Daten der vorgelegten Studien haben laut IQWiG vom 30.07.2014 einen Zusatznutzen von Tresiba® in Bezug auf die zweckmäßige Vergleichstherapie nicht belegt. Als Arzt habe ich die Erfahrung gemacht, dass einige Patienten von diesem Insulin profitieren, z.B. im Hinblick auf das Auftreten von schweren Hypoglykämien. Viele Patienten, die seit einigen Monaten dieses Insulin täglich anwenden und die aus eigener Erfahrung einen Vergleich mit anderen Verzögerungsinsulinen ziehen können, sagen: Das ist das beste Verzögerungsinsulin, das wir bisher zur Verfügung hatten. Dies ergibt für mich unter dem „EBM-Strich“: Es gibt Patienten, die wirklich von diesem Insulin profitieren.
Und nun diese Nachricht vom 01.07.2015! Was kann ich diesen Patienten, die mit Tresiba® in den letzten Monaten deutlich besser in ihrem Alltag zurechtgekommen sind, anbieten: Eine Rückumstellung auf ein Verzögerungsinsulin, das sie schon aus eigener Erfahrung kennen und mit dem sie schlechter gefahren sind? Eine Umstellung auf eine Insulinpumpentherapie?
Ich werde natürlich die in der Diabetespraxis Ahaus betroffenen Patienten über diese neue Situation informieren müssen. Das wird viele „schwierige“ Gespräche geben. Viele Patienten werden über diese Entscheidung sehr enttäuscht und wahrscheinlich auch geschockt sein. Wie werden sie auf die Nachricht reagieren, dass das Insulin, mit dem sie in den zurückliegenden Monaten im Alltag gute Erfahrungen gemacht haben und das ihre Lebensqualität verbessert hat, ab Ende September in Deutschland nicht mehr verfügbar sein wird? Und das ausschließlich aus finanziellen Gründen? Welche Gefühle wird das erzeugen? Auch gegenüber uns Behandlern?
Viele Patienten werden vielleicht pragmatisch an die Sache herangehen und fragen, ob sie Tresiba® über ein anderes europäisches Land beziehen und möglicherweise die Differenz zum „Standardinsulinpreis“ in Deutschland aus eigener Tasche bezahlen können. Mit dieser Frage werde ich die Patienten an die Geschäftsstelle ihrer Krankenkasse verweisen.
Zu den Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband äußerte sich Krisja Vermeylen, Corporate Vice President und General Manager Germany von Novo Nordisk, wie folgt: „Wir haben Lösungsvorschläge unterbreitet, die völlig im Einklang mit den Vorgaben des AMNOG stehen. Es ist sehr schwer zu verstehen, warum der GKV-Spitzenverband unsere Angebote abgelehnt hat, durch die er Millionen von Euro gespart und – noch wichtiger – verhindert hätte, dass eine wichtige Behandlungsoption für Menschen mit Diabetes nicht länger in Deutschland verfügbar sein wird. Dies ist eine überaus beunruhigende Entwicklung – sowohl für Menschen, die auf eine Insulintherapie angewiesen sind, als auch für ihre behandelnden Ärzte.“ Ich bin gespannt, wie der GKV-Spitzenverband diese Aussage und diesen für den deutschen Insulinmarkt bisher einmaligen Vorgang kommentieren wird.
Ich persönlich habe noch einen ganz kleinen Funken Hoffnung, dass – wenn die beteiligten Parteien dies auch wirklich wollen – für die Patienten, die bisher von Tresiba® profitiert haben, doch noch ein gangbarer Weg gefunden wird, damit sie auch in Deutschland weiter mit diesem Insulin versorgt werden können.
Dr. Martin Lederle ist Arzt für Innere Medizin, Diabetologie, und führt eine Diabetespraxis in Ahaus, Wüllener Straße 101, 48683 Ahaus,
E-Mail: lederle@mvz-ahaus-vreden.de
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