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Vor 100 Jahren, am 17. Mai 1921: Dr. Frederick Banting und sein Assistent Charles Best beginnen mit ihrer Forschungsarbeit an Bauchspeicheldrüsen – die letztlich recht schnell zur Insulin-Entdeckung sowie zum Nobelpreis für Banting führen sollte. Doch zuerst musste ein lange unbenutztes Labor geputzt werden. Haarsträubende Story über Glück, Unglück und saftigen Streit.
Der junge Chirurg Dr. Frederick Banting hatte den Professor für Physiologie John James Rickard Macleod in Toronto von seiner Idee überzeugen können, aus Bauchspeicheldrüsen etwas zu gewinnen, womit man Diabetes behandeln könnte. Prof. Macleod hatte Banting ein Labor direkt unter dem Dach seines Instituts zur Verfügung gestellt. Es war sehr lange nicht benutzt worden.
Die erste Arbeit von Banting und seinem Assistenten, dem Studenten Charles Best, bestand darin, das ziemlich verschmutzte Labor zu säubern. Als nicht gerade professionelle Reinigungskräfte vergossen sie so viel Wasser, dass es in die daruntergelegene Etage durchregnete. So begann der Weg zum Nobelpreis für Banting als unbezahlte Putzkraft. Der Student der Physiologie Charles Best, der ihm bei der Arbeit assistierte, bekam immerhin weiter sein kleines Gehalt als studentische Hilfskraft …
Prof. Macleod hatte Banting einen Studenten zur Unterstützung versprochen. Er bot den Job zwei Studenten an, von denen er wusste, dass sie Erfahrung mit physiologischer Forschung hatten und vor allem die für die Versuche nötigen Laboruntersuchungen wie Azeton- und Blutzuckermessung beherrschten. Es waren die sehr guten Freunde Clarke Noble und Charles Best. Die beiden beschlossen, sich den Job zu teilen.
Das Glück sollte entscheiden, wer anfing: Sie warfen eine Münze. Gewinner war Charles Best, der also mit Banting die Arbeit begann. Als dann Noble die zweite Hälfte übernehmen sollte, schlug Banting vor, Best solle weiterarbeiten, weil er schon viel Erfahrung gesammelt hatte. Clarke Noble war gar nicht unglücklich darüber, er konnte so Sommerferien machen. Er konnte nicht wissen, dass er es knapp verpasst hatte, in die Medizingeschichte einzugehen.
Ein Jahr später half Noble noch Prof. Macleod dabei, aus Fischen Insulin herzustellen. Das Projekt war ein Misserfolg: Die riesigen amerikanischen Schlachthöfe lieferten dem Unternehmen Eli Lilly viel mehr Bauchspeicheldrüsen, als die kanadischen Fischer je fischen konnten.
Charles Best war von allen, die an der Entdeckung des Insulins beteiligt waren, auf die Dauer der mit Abstand Glücklichste, obwohl er den Nobelpreis nicht bekommen hatte: Der ging 1923 an Banting und Macleod. Bantings übereilte erste Ehe gleich nach dem Nobelpreis scheiterte mit einem Skandal, zeitweise hatte er ein Alkoholproblem, und er kam als Professor und Forschungsleiter später gar nicht zurecht: Ihm fehlte die Grundlage einer wissenschaftlichen Ausbildung, er schrieb auch sehr ungern Veröffentlichungen.
Banting starb schon 1941 im Alter von 49 Jahren nach einem Flugzeugabsturz. Macleod verließ nach viel Streit mit Banting 1928 Toronto und starb nach jahrelangem, immer schlimmerem Rheumaleiden nur 58 Jahre alt in seiner Heimat Schottland.
Charles Best hatte viel mehr Glück: Er leitete zunächst die Insulinherstellung in Toronto, beendete erfolgreich ein Medizinstudium und ging 1925 nach London zum späteren Nobelpreisträger Prof. Sir Henry Dale, um gründlich physiologische Forschung zu lernen. Von dort kehrte er als Nachfolger von Prof. Macleod nach Toronto zurück. Prof. Best wurde ein erfolgreicher, mit Ehrungen überhäufter Forscher.
In Düsseldorf sprach er 1958 auf dem 3. Kongress der International Diabetes Federation (IDF). Anlässlich des 50. Jahrestages der Insulinentdeckung bereiste er mit seiner Frau die halbe Welt, um Vorträge zu halten. Am Ende seines Lebens bekam der Mitentdecker des Insulins selbst Diabetes. Prof. Charles Best verstarb nach 54 glücklichen Ehejahren 1978 im Alter von 79 Jahren.
Am 17. Mai 1921 war es so weit: Der junge Chirurg Frederick Banting und der Student Charles Best begannen im physiologischen Institut der Universität Toronto mit ihrer Arbeit. Mit dabei war der Chef des Instituts, Prof. Macleod. Er wollte den beiden bei der schwierigen Operation helfen, die sie noch nie durchgeführt hatten: Einem Hund sollte die Bauchspeicheldrüse entfernt werden, dadurch würde er dann Diabetes bekommen. Bei weiteren Hunden wollten die Forscher dann den Ausführungsgang der Bauchspeicheldrüse unterbinden und warten, bis von der dann eingeschrumpften
Bauchspeicheldrüse nur noch die insulinbildenden Inseln übrigblieben. Aus denen wollten sie dann Insulin gewinnen und damit den Blutzucker bei diabetischen Hunden senken. Noch nie hatte Banting so eine Operation durchgeführt, sehr viele Gefäße müssen unterbunden werden, leicht kann man umliegende Organe verletzen.
Die Operation gelang zunächst, aber schon am nächsten Morgen war der Hund tot. Häufig wird erwähnt, Macleod sei gleich nach diesem ersten Versuch in Urlaub gefahren. Das ist eines der vielen Märchen um die Entdeckung des Insulins. Die Wahrheit ist, dass er noch den ganzen Monat in Toronto war, Banting und Best mehrfach Ratschläge gab und vor seiner Abreise genaue Anweisungen zum weiteren Vorgehen hinterließ.
Die ersten vier Hunde überlebten den Eingriff nicht: Sie starben durch die Anästhesie, durch eine Bauchfellentzündung oder verbluteten. Auch die Operationen bei anderen Hunden mit dem Ziel, den Ausführungsgang der Bauchspeicheldrüse zu unterbinden, waren selten erfolgreich: Bei den ersten 5 von 7 überlebenden Hunden stellte sich heraus, dass die Unterbindung nicht funktioniert hatte. Viel mehr Hunde waren für die Versuche nötig als geplant: Best suchte in den Straßen von Toronto Hunde, er zahlte Besitzern 1 bis 3 Dollar pro Tier.
Operiert wurde in der Sommerhitze in ihrem Labor unterm Dach, es gab keinen Tierpfleger für die operierten Hunde; kein Wunder, dass es den Tieren nach den Operationen miserabel ging. Anfang Juli drohte das Projekt völlig zu scheitern: Banting und Best hatten entsprechend Bantings Idee 19 Hunde operiert, 14 waren tot. Bei 2 von 5 Überlebenden war die Unterbindung des Ausführungsgangs der Bauchspeicheldrüse gelungen: Jetzt setzten sie alles auf eine Karte.
Banting und Best beschlossen, jetzt den entscheidenden Test zu wagen. Am 30. Juli entnahmen sie einem der nur zwei Hunde, bei denen die Unterbindung des Ausführungsgangs gelungen war, die Bauchspeicheldrüse und stellten entsprechend den Anweisungen von Prof. Macleod einen Extrakt her. Den spritzten sie einem weißen Terrier: Sein Blutzuckerspiegel sank in einer Stunde um 40 Prozent. Man muss sich aber die heute noch in Toronto erhaltene Seite von Bantings recht unübersichtlichem Laborprotokoll sehr genau ansehen, um zu verstehen, was abgelaufen ist.
Der Hund war allerdings am nächsten Morgen tot. Ein weiterer Hund bekam den Extrakt gespritzt, er erwachte aus dem diabetischen Koma, stand auf und lief ein wenig herum, starb dann aber kurz darauf. Auch bei einem dritten Hund sank der Blutzucker deutlich nach der Injektion – er starb dann alsbald an einer Bauchfellentzündung. Der Nachweis für die Wirkung des Insulins war erbracht.
Aber diese und viele der weiteren Hundeversuche waren eigentlich unnötig. Wenn Banting vor Beginn der Experimente ordentlich die gesamte Literatur zum Thema studiert hätte, wie es sich für einen Wissenschaftler gehört, hätte er erfahren, dass man auch direkt aus Bauchspeicheldrüsen Insulin gewinnen kann. Viele Hunde wären am Leben geblieben. Erst im August begannen Banting und Best mit teils erfolgreichen Versuchen, Insulin direkt aus Bauchspeicheldrüsen zu gewinnen.
Anfang September 1921 war Banting völlig davon überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein. Er setzte alles auf eine Karte. Obwohl er in Toronto keinerlei Gehalt bekam, verkaufte er sein Haus in London/Ontario und so ziemlich alles, was darin war. Banting war sich sicher, dass er mit seiner Idee zur Entdeckung des Insulins Erfolg haben würde. Aus Schottland hatte ihn ein am 23.8.1921 abgeschickter Brief von Prof. Macleod erreicht, dem er Berichte über seine Ergebnisse geschickt hatte.
Macleod beurteilte die Resultate als „definitiv positiv, aber nicht absolut sicher“ und empfahl, weitere Versuche zu machen, um die Ergebnisse vor einer Veröffentlichung sicher zu bestätigen. Weiter schrieb Macleod: „Ich bin glücklich, dass Sie in Toronto bleiben möchten, und ich versichere Ihnen, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um Ihnen zu helfen.“ Banting sah also dem nächsten Treffen mit Macleod mit großer Erwartung entgegen.
Am 21. September war Macleod aus Schottland zurück in Toronto. Bald darauf kam es zum Treffen mit Banting und dabei zu einer heftigen Auseinandersetzung: Banting verlangte vehement ein Gehalt, eine bessere Laborausstattung und einen Tierpfleger für die Hunde …
Macleod erklärte, eine Renovierung von Bantings Labor käme nicht in Frage, weil ein ganz neues Gebäude in Planung sei. Er monierte, dass Banting sehr viel mehr Material und Hunde verbraucht hätte als geplant, das sei sehr teuer gewesen. Er sei nicht bereit, Ressourcen von anderen Projekten abzuziehen, um Banting mehr Geld zur Verfügung zu stellen.
Banting explodierte förmlich: Wenn Macleod ihm nicht bessere Bedingungen böte, würde er einen anderen in der Universität Toronto suchen, der ihn fördere. Macleod soll darauf erwidert haben: „Für Sie bin ich die Universität Toronto.“ Schließlich drohte Banting sogar damit, in die USA zu gehen, er erwähnte die Mayo-Klinik und das Rockefeller-Institut in New York. Zum Schluss wurde Macleod etwas freundlicher und sagte, er wolle versuchen, etwas für Banting zu tun.
Dennoch war Banting nach dem Gespräch auf gut deutsch stinksauer. Er soll zu Best gesagt haben: I’ll show this son of a bitch that he is not the University of Toronto. Aber der „son of a bitch“ kümmerte sich dann doch um Bantings Situation: Banting bekam rückwirkend ein nicht gerade fürstliches Gehalt von 150 Dollar pro Monat. Best erhielt als wissenschaftliche Hilfskraft 170 Dollar pro Monat.
Eine Assistentenstelle hatte Macleod nicht frei, aber er arrangierte sich mit dem Lehrstuhlinhaber für Pharmakologie Prof. Velyien Henderson, dass dieser Banting für 250 Dollar im Monat für ein Semester anstellte, ohne dass er dafür nennenswerte Arbeit in dessen Institut leisten musste. So viel hatte Banting noch nie verdient.
Bantings Hundeversuche waren eigentlich unnötig. Die Amerikaner Ernest Lyman Scott und Isaak Kleiner, der Berliner Prof. Georg Ludwig Zülzer und der Rumäne Prof. Nicolae Paulescu hatten schon veröffentlicht, wie man direkt aus Bauchspeicheldrüsen Insulin gewinnen kann. Zülzer und Paulescu hatten sogar Patente für ihre Ideen bekommen. Die Ergebnisse waren veröffentlicht. Diese Arbeiten hatte Banting nicht gelesen.
Zum Glück gibt es heute Ethik-Komitees, die unnötige Tierversuche verbieten. Was Banting damals in Unkenntnis der Literatur machte, würde heute keine Universität erlauben. Banting hätte sich die Versuche an Hunden im Sommer 1921 sparen können, hätte er die wissenschaftliche Literatur zum Thema genau studiert.
Aber ganz umsonst sind die vielen Hunde nicht gestorben: Prof. Macleod begann jetzt, angeregt durch die Ergebnisse, sich für Bantings Arbeit wirklich zu interessieren und sein ganzes Institut immer mehr mit dem Thema zu beschäftigen. Und so sollten nur noch wenige Monate vergehen, bis am 23. Januar 1922 erstmals einem Menschen mit Diabetes durch Insulin das Leben gerettet werden konnte.
Die Einführung der Insulintherapie war ein Teamwork, an dem Banting, Best, Macleod, der Chemiker James Collip und später auch das Team von Eli Lilly beteiligt waren.
Dennoch werden meist nur die Namen Banting und Best erwähnt, wenn es um die Entdeckung des Insulins geht – vielleicht auch, weil Best jahrzehntelang als einziger Überlebender so viele Vorträge über die „Banting and Best Story“ gehalten hat.
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (5) Seite 36-39
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