„Es ist ein dickflüssiges Gefühl im Gehirn“ – Wie fühlt sich hoher Zucker bei euch an?

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„Es ist ein dickflüssiges Gefühl im Gehirn“ – Wie fühlt sich hoher Zucker bei euch an?

Im Diabetesmonat November geht es unter anderem darum, Mitmenschen begreiflich zu machen, wie es sich anfühlt, mit Diabetes zu leben. In einem Symposium bei der Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) ging es um die Gefahren von Blutzuckerspitzen nach dem Essen – und wie es sich anfühlt, wenn der Glukosewert in ungesunde Höhen schießt.

Als ich den Titel des Symposiums des Unternehmens Novo Nordisk las, erwartete ich keine sonderlich emotional ansprechenden Vorträge: „Postprandiale Hyperglykämie – der vernachlässigte Zwilling der Diabeteseinstellung?“ Das klang für mich nach fachmedizinischen Referaten über die Bedeutung kurzwirksamer Analoginsuline, die  heftige Blutzuckerspitzen nach dem Essen vermeiden helfen, oder eben über entsprechende Diabetesmedikamente, die bei Typ-2-Diabetes den Blutzuckeranstieg nach dem Essen in Schach halten.

Wie beschreiben Diabetiker ihre Wahrnehmung hoher Blutzuckerwerte?

Doch dann betrat die Psychodiabetologin Susan Clever das Podium und erzählte aus ihrer Beratungspraxis und aus Internetrecherchen, wie Diabetiker ihre Wahrnehmung von hohen Blutzuckerwerten beschreiben, ganz subjektiv und ohne wissenschaftliches Vokabular. Und auf einmal war die Sitzung für mich ein sehr persönliches und greifbares Erlebnis. Denn natürlich habe auch ich gelegentlich unangenehm hohe Blutzuckerwerte, und in der einen oder anderen Beschreibung, die Susan Clever vortrug, konnte ich mich auch sehr gut wiederfinden. Hier einmal ein paar der Gefühlsbeschreibungen, die sie in ihrem Vortrag zitierte:

„Es ist ein dickflüssiges Gefühl im unteren Gehirn, so wie wenn jemand deinen Kopf aufgeknackt hat und deine grauen Zellen durch klebrige Marmelade ersetzt hat. Ich merke, wie ich abschalte und Dinge anstarre, und meine Augäpfel fühlen sich trocken an, als wären sie mit zerschlissenen Seilen an meinen Kopf gebunden statt mit optischen Nerven. Alles ist langsam und schwer, wie schwere geschlagene Sahne.“

Honig

„Da ist etwas am hohen Blutzucker, das meinen Körper beschwert, als würde ich eine mittelalterliche Rüstung tragen. Oder als würde ich mit schweren Stiefeln Sport machen. (…) Wenn man sich mit hohen Zuckerwerten durch ein Workout quält, fühlt es sich an wie Laufen durch taillenhohe Schneeverwehungen.“

Ritter

 Ich sitze dann da, starre die Wand an und fühle mich wie in Watte gepackt

Wow, das sind ziemlich starke Bilder. Ich würde die Empfindungen nicht exakt genauso beschreiben, doch ich kann sie trotzdem sehr gut nachfühlen. Auch ich fühle mich extrem träge und antriebslos, wenn mein Glukosewert zu hoch ist, könnte auf der Stelle einschlafen oder untätig vor mich hindämmern. Komische tumbe Kopfschmerzen und Augäpfel, die sich eine Nummer zu groß anfühlen. Alles ist schwer, selbst das Aufraffen zum Zuckermessen ist eine riesige Anstrengung. Ich hocke dann da, starre die Wand an, weiß eigentlich, dass ich nun meinen Zucker messen und Insulin spritzen sollte, aber ich fühle mich wie in Watte gepackt und kriege kaum etwas mit.

lichter

Doch zurück zu den Zitaten beim Kongress: Die Psychodiabetologin hatte auch Aussagen von Schulkindern, die ihr Empfinden beschreiben, wenn sie in der Schule hohe Zuckerwerte haben:

„Hausaufgaben dauern ewig, wenn man hoch ist.“

„Ich werde weniger enthusiastisch und beteilige mich weniger am Unterricht.“

Kind_Baum

 Schlechte Beteiligung im Schulunterricht wirkt sich auf die Gesamtnote aus

Wie wir alle wissen, wird in den Schulen hierzulande nicht nur das Abschneiden in Arbeiten und Klausuren gewertet, sondern auch die mündliche Beteiligung. Susan Clever meinte dazu: „Wenn ein Kind sich wegen hoher Blutzuckerwerte nicht am Unterricht beteiligen kann, wirkt sich das schnell auch auf seine Gesamtnote aus – das Kind hat also gleich schlechtere Startchancen nur wegen seines Diabetes.“ Am Arbeitsplatz sieht es nicht viel anders aus, wie dieses Zitat zeigt:

 „Es ist wirklich schwierig, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, weil mein Hoch-Gehirn zu träge und zu dickflüssig ist, um die Synapsen feuern zu lassen. Schreiben ist unmöglich, Sitzen am Schreibtisch für länger als 20 Minuten ist unmöglich, weil ich immer Pausen machen muss, um Wasser zu holen und zu pinkeln. Mein ganzer Körper fühlt sich an, als wäre er in Wackelpudding getaucht, durch den ich den ganzen Vormittag versuche zu schwimmen. Statt Haus- und Büroarbeit möchte ich ins Bett klettern und den Blutzuckerkater abschlafen, aber das ist nicht möglich. Das Leben wartet nicht auf den Diabetes.“

Das ist dann nicht der erste, an den der Chef bei einer Beförderung denkt

Susan Clever berichtete, dass Umfragen unter Diabetikern zufolge rund 70 Prozent der Diabetiker am Arbeitsplatz häufig aufgrund hoher Zuckerwerte Probleme mit ihrer Produktivität haben. Doch nur zehn Prozent von ihnen geben an, dass sie deswegen Meetings ausfallen lassen oder sich zu Terminen verspäten. Das Leben wartet halt tatsächlich nicht auf den Diabetes. Wer sich allerdings mit hohen Zuckerwerten an den Schreibtisch quält, dem passieren leichter Fehler, denn er ist schneller müde und unkonzentriert. „So ein Arbeitnehmer ist dann nicht der erste, an den der Chef denkt, wenn es um die nächste Beförderung geht“, meinte die Psychodiabetologin.

Schlafen

Wer im Angestelltenverhältnis arbeitet, hat nicht dieselben Freiheiten wie ich

Ich persönlich habe diese Probleme zum Glück nicht in diesem Ausmaß – als Freiberuflerin kann ich mich auch mal zwischendurch ausruhen, wenn der Zucker verrücktspielt. Oder einen Spaziergang bzw. eine Sporteinheit dazwischenschieben, was in der Regel Wunder bewirkt. Ich arbeite dann eben konzentriert weiter, wenn der Glukosewert wieder auf einem konzentrationstauglichen Level angelangt ist. Und einen Chef, der mich bei einer Beförderung übergehen könnte, habe ich ohnehin nicht. Doch wer in einem Angestelltenverhältnis arbeitet, hat diese Freiheiten nicht immer und muss eben zu den vereinbarten Arbeitszeiten funktionieren.

Computer

Appell an Lehrerinnen und Lehrer, an Chefs sowie Kolleginnen und Kollegen

Deshalb an dieser Stelle ein Appell an alle Lehrerinnen und Lehrer von Kindern mit Diabetes, Chefs sowie Kolleginnen und Kollegen von Menschen mit Diabetes: Wenn euer Gegenüber ungewöhnlich träge und apathisch wirkt, nicht so recht bei der Sache zu sein scheint, dann muss das nicht mangelnde Motivation, Intelligenz, Kompetenz oder Leistungsbereitschaft sein. Es könnte auch schlicht an einem zu hohen Zuckerspiegel liegen. Und den kann man korrigieren.

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • moira antwortete vor 1 Woche

      Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 1 Tag

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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