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Mit der Entdeckung des “Inkretinprinzips” und den daraus entwickelten Medikamenten hat sich die Behandlung des Typ-2-Diabetes grundlegend gewandelt. Warum das so ist, erfahren Sie im Diabetes-Kurs.
Die bisherigen Medikamente für Menschen mit Typ-2-Diabetes haben sich in der langfristigen Therapie als “nicht ideal” herausgestellt – mit Ausnahme vielleicht von Metformin. Denn manche Medikamente wie Sulfonylharnstoffe führen durch Dauerstimulation der insulinproduzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse zu Unterzuckerungen, wenn keine Zwischenmahlzeiten gegessen werden; durch Zwischenmahlzeiten wiederum nehmen die Betroffenen nicht ab, sondern meist stetig zu.
Der Behandlungsansatz war also nicht besonders sinnvoll, denn meist konnten weder Unterzuckerungen noch eine Gewichtszunahme vermieden werden. Gerade diese beiden Faktoren sind aber entscheidend für eine langfristig gute Therapie – um so mehr, als schwere Unterzuckerungen bei älteren Typ-2-Diabetikern, die meist noch mehr Krankheiten haben, verheerende Folgen haben können (u. a. nimmt die Herzinfarkthäufigkeit zu), wie in den letzten Jahren Studien wie ADVANCE und ACCORD gezeigt haben.
Bereits 1906 wurden Substanzen beschrieben, die im menschlichen Darm aktiv werden, wenn Kohlenhydrate gegessen werden: Es sind die beiden Darmhormone (Inkretine) GLP-1 und GIP. Sie veranlassen zum einen die Betazellen der Bauchspeicheldrüse, Insulin auszuschütten, und unterdrücken zum anderen die Ausschüttung von Glukagon aus den Alphazellen.
Diese Wirkung von GLP-1 und GIP nennt man Inkretineffekt. Das Wichtigere der beiden Eiweißhormone aus dem Darm ist das GLP-1 (glukagon-like peptide-1), das in den L-Zellen des Dünndarms produziert wird.
Bei Typ-2-Diabetikern ist aus bisher noch ungeklärten Gründen die Wirkung von GIP fast vollständig aufgehoben. Außerdem ist die Abgabe von GLP-1 aus dem Darm vermindert, so dass seine zahlreichen positiven Wirkungen nur noch abgeschwächt oder fast gar nicht mehr vorhanden sind – je nach Diabetesdauer: Für die gegessenen Kohlenhydrate wird bei Typ-2-Diabetikern im Vergleich zu Nichtdiabetikern weniger Insulin ausgeschüttet. Außerdem wird die Produktion von Glukagon nicht unterdrückt, so dass von der Leber beim Essen nicht weniger Zucker ausgeschüttet wird.
Die Folge: Der Blutzucker ist zu hoch. So kommt es auch zu einem hohen Nüchternblutzucker. Das GLP-1 verlangsamt außerdem die Magenentleerung, erkennbar an vermehrtem Völlegefühl. Zusätzlich steigert GLP-1 im Gehirn das Sättigungsgefühl.
Das GLP-1 spielt also eine entscheidende Rolle. Und dass Typ-2-Diabetiker nicht mehr von den positiven Effekten des GLP-1 profitieren, ist einer der Gründe dafür, weshalb bei ihnen die Blutzuckerwerte nach dem Essen oft zu hoch sind, obwohl sie wenig gegessen haben, weshalb die Nüchternwerte zu hoch sind – und weshalb viele Typ-2-Diabetiker nicht satt werden.
Nachdem sich gezeigt hatte, dass sich durch das Spritzen von GLP-1 alle seine Wirkungen wie beim Nichtdiabetiker normalisierten, war es nur eine Frage der Zeit, bis ein Medikament entwickelt wurde, das das “fehlende” Darmhormon ersetzen kann, um so eine gute Blutzuckereinstellung ohne Gewichtszunahme zu erreichen.
Auch Unterzuckerungen können so vermieden werden, denn das GLP-1 wirkt auch bei Diabetikern nur dann, wenn die Blutzuckerwerte erhöht sind. Das ist ein riesiger Vorteil, z. B. gegenüber Sulfonylharnstoffen wie Glibenclamid oder Glimepirid.
Seit etwa fünf Jahren stehen diese neuen Medikamente auf der Basis der Darmhormone zur Verfügung (inkretinbasierte Therapien). Die GLP-1-Analoga und -Mimetika ahmen die Wirkung der körpereigenen Darmhormone nach. Sie müssen gespritzt werden, denn es sind Eiweiße, die im Magen zerstört würden.
Die DPP-4-Hemmer (Dipeptidylpeptidase-4-Hemmer) hingegen gibt es in Tablettenform. Sie sorgen dafür, dass das Enzym Dipeptidylpeptidase-4, das GLP-1 abbaut, nicht so stark wirkt und so GLP-1 seine positiven Wirkungen länger entfalten kann.
Nächste Seite: Die bisher hierzulande verfügbaren GLP-1-Analoga/-Mimetika und DPP-4-Hemmer und das wichtigste über die neuen Medikamente in Kürze.
GLP-1 wird bei jedem Menschen innerhalb weniger Minuten durch das Enzym DPP-4 zerstört. Mehr oder weniger durch Zufall hat man beim Gila-Monster, einer Echse, ein dem GLP-1 ähnliches Eiweiß entdeckt (Exendin-4), das zwar Betazellen genauso zur Insulinsekretion stimuliert wie GLP-1, aber nicht von DPP-4 zerstört wird.
Exenatide (Medikamentenname Byetta), eine dem GLP-1 ähnliche Substanz, hat deshalb eine deutlich längere Wirkzeit von 5 bis 7 Stunden. Es muss zweimal täglich unter die Haut gespritzt werden. Die Substanz wurde bereits 2005 in den USA zugelassen und seitdem bei ca. 1,5 Millionen Menschen erfolgreich angewendet.
Byetta ist seit 2007 in Deutschland für die Behandlung des Typ-2-Diabetes zugelassen, in Kombination mit Metformin oder auch Sulfonylharnstoffen. Mittlerweile darf es auch mit Insulin kombiniert werden. Je nach Ausgangswert ist durch Byetta die Senkung des HbA1c-Wertes um 1 bis 1,5 Prozent zu erwarten, außerdem eine deutliche Gewichtsreduktion.
Liraglutide, ein GLP-1-Analogon, ist dem menschlichen GLP-1 deutlich ähnlicher in der Eiweißstruktur als Exenatide und muss nur einmal täglich unter die Haut gespritzt werden. Dadurch sind Nebenwirkungen wie Übelkeit manchmal deutlich geringer – die Senkung des HbA1c-Wertes und die Gewichtsabnahme sind jedoch vergleichbar. Auch Victoza kann mit Metformin und Sulfonylharnstoffen und jetzt auch mit Insulin kombiniert werden.
Seit einigen Monaten gibt es nun auch Exenatide, das bisher zweimal täglich gespritzt werden muss, in einer verzögerten Form – der Arzneistoff wird also verlangsamt freigesetzt und wirkt so länger. Dieses Exenatide LAR (Bydureon) muss deshalb nur noch einmal in der Woche injiziert werden. Zum Vergleich: Byetta muss in derselben Zeit 14-mal gespritzt werden, Victoza 7-mal.
Bydureon kann kombiniert werden mit Metformin und/oder einem Sulfonylharnstoff. Die HbA1c-Senkung beträgt etwa 1,3 bis 1,9 Prozent, und die meisten Diabetiker nehmen an Gewicht ab. Die Verträglichkeit ist ähnlich gut wie die von Victoza, eventuell sogar noch besser. Manche Patienten entwickeln leichten Juckreiz und/oder eine Rötung an der Injektionsstelle – meist jedoch wird Bydureon gut vertragen.
Den Inkretineffekt kann man auch nutzen, ohne sich das Medikament spritzen zu müssen: mit der Einnahme von DPP-4-Hemmern in Tablettenform, die verhindern, dass das GLP-1 vom Enzym DPP-4 zerstört wird. Der Wirkstoff hemmt den Abbau von DPP-4 um bis zu 80 Prozent und erhöht so die GLP-1-Konzentration um das Zwei- bis Dreifache.
Sitagliptin, Vildagliptin und Saxagliptin sind die gegenwärtig verfügbaren DPP-4-Hemmer. Mittlerweile sind alle Substanzen auch bei mittlerer bis starker Niereninsuffizienz zugelassen, in Kombination mit Metformin, Sulfonylharnstoffen oder Glitazonen, aber auch in der Einzeltherapie. Sitagliptin und
Saxagliptin sind auch für den Einsatz mit Insulin zugelassen.
DDP-4-Hemmer führen nicht zu Unterzuckerungen, diese Gefahr besteht aber, wenn sie mit Sulfonylharnstoffen und/oder Insulin kombiniert werden.
Die meisten inkretinbasierten Therapien bringen entscheidende Vorteile: keine Unterzuckerungsgefahr, keine Gewichtszunahme – es kommt durch GLP-1-Analoga/-Mimetika sogar eher zu einer Gewichtsabnahme, so dass ihr Einsatz insbesondere bei übergewichtigen Typ-2-Diabetikern sehr sinnvoll ist.
Außerdem konnte in Tierexperimenten durch GLP-1 der fortschreitende Untergang der Betazellmasse verzögert und sogar eine Neubildung von Betazellen ausgelöst werden – das ist möglicherweise eine neue Hoffnung für Menschen mit Typ-2-Diabetes. Die “neuen” Therapien sollten wegen ihrer enormen Vorteile gegenüber den bisherigen Therapien also so früh wie möglich begonnen werden.
Regelmäßige Bewegung, vernünftige Ernährung und Metformin (wenn immer möglich) sind jedoch immer noch die Grundlage einer erfolgreichen Therapie des Typ-2-Diabetes! Lassen Sie sich von Ihrem Arzt bzw. Ihrer Diabetesberaterin ausführlich beraten, und besprechen Sie die notwendige Therapie gemeinsam.
Kontakt:
Internist/Angiologe/Diabetologe, Chefarzt Deegenbergklinik, Burgstraße 21, 97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71 / 8 21-0
sowie Chefarzt Diabetologie Klinik Saale (DRV-Bund), Pfaffstraße 10, 97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71 /8 5-01
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2012; 61 (8) Seite 38-41
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