Hypoglykämien: Was können Angehörige tun?

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Hypoglykämien: Was können Angehörige tun?

Nutzen Menschen mit Diabetes Insulin oder bestimmte Medikamente, kommen Unterzuckerungen vor. Auch Angehörige sollten Bescheid wissen über die Symptome einer Unterzuckerung (Hypoglykämie) – und darüber, wie sie bei einer schweren Unterzuckerung reagieren sollten. Dr. Martin Lederle stellt die beiden Alternativen vor: Glukagon zum Spritzen und als Nasenpulver.

Unter einer Therapie mit Insulin kann immer einmal eine Unterzuckerung auftreten. Auch andere Medikamente, die zur Behandlung eines Typ-2-Diabetes eingesetzt werden (z. B. die Sulfonylharnstoffe wie Glibenclamid oder Glimepirid) können Hypoglykämien verursachen.

Wenn mithilfe einer Insulintherapie eine nahezu normale Glukoseeinstellung erreicht werden soll – dafür sollten viele Glukosewerte im Bereich zwischen 70 und 180 mg/dl (3,9 und 10,0 mmol/l) liegen – dann werden bei den derzeit verfügbaren Insulinen immer wieder Hypoglykämien auftreten. Das Ziel einer guten Insulintherapie ist somit: HbA1c-Wert so gut wie möglich mit so wenigen Hypoglykämien wie möglich.

„Leichte“ und „schwere“ Hypoglykämien

Hypoglykämien werden nach ihrer Ausprägung unterschieden: Es gibt „leichte“ Hypoglykämien, bei denen der/die Betroffene die Zeichen des niedrigen Glukosewertes wahrnimmt und durch eine sofortige Zufuhr von Glukose (am besten in flüssiger Form; konkret z. B. 200 ml Saft, diese Menge enthält in der Regel 20 bis 30 g Glukose) selbstständig beheben kann. Bei einer „schweren“ Hypoglykämie kann der Patient sich nicht mehr selbst helfen und ist somit auf Fremdhilfe angewiesen.

Manche Patienten mit Diabetes spüren Hypoglykämien sehr spät, also erst dann, wenn der Glukosewert schon deutlich unter 50 mg/dl (2,8 mmol/l) liegt, oder haben möglicherweise auch eine Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung. Sie haben so natürlich ein höheres Risiko, eine schwere Hypoglykämie zu entwickeln.

Wichtig: Angehörige müssen wissen, was zu tun ist

Die nächsten Angehörigen von Menschen mit Diabetes, die eine Insulintherapie durchführen, müssen wissen, ob und wie sich Hypoglykämien zeigen. Viele, die mit insulinbedürftigen Menschen eng zusammenleben, erkennen meist schon eher als der/die Betroffene selbst, wenn der Glukosewert abfällt, und fordern ihn/sie zu einer Messung auf. Angehörige sollten auch wissen, ob der Mensch mit Diabetes die Unterzuckerungssymptome grundsätzlich noch rechtzeitig erkennt und sich somit noch selbst helfen kann.

Wenn in der Vergangenheit schon schwere Hypoglykämien aufgetreten sind, muss sich der Betroffene zusammen mit seinen nächsten Angehörigen darauf vorbereiten, dass ein solcher gefährlicher Zustand wieder auftreten kann. Für diese Situation muss ein „Notfallplan“ existieren, damit die Angehörigen umgehend in der Notlage helfen können.

Schwere Hypoglykämie: Was ist zu tun?

Eine schwere Unterzuckerung kann durch einen raschen Anstieg des Blutglukosespiegels behoben werden. Aber wie geht das? Wenn der/die Betroffene in dieser Situation auf Ansprache nicht mehr angemessen reagiert, ist es nicht sinnvoll, Glukose über den Mund zuführen zu wollen.

Wenn der Patient/die Patientin bewusstseinsgestört ist, sollte er von den Angehörigen in eine stabile Seitenlage gebracht werden. Der Rettungsdienst bzw. der Notarzt sollten umgehend informiert werden. Wenn die „Notfallspritze“ (GlucaGen Hypokit) zur Hand ist, sollte sie verabreicht werden.

Handhabung des GlucaGen Hypokits

Das GlucaGen Hypokit besteht aus einer Glasflasche, die das Hormon Glukagon in Pulverform enthält, und einer Spritze mit Lösungsmittel. Glukagon wirkt auf die Leber und sorgt dafür, dass die Leber die als Glykogen gespeicherte Glukose rasch an das Blut abgibt und so der Glukosespiegel ansteigt.

Um eine gebrauchsfertige Lösung zu erhalten, muss das Lösungsmittel zuerst in die Glasflasche mit dem Glukagon-Pulver gespritzt werden. Durch vorsichtiges Schütteln wird das Pulver aufgelöst. Dann wird die Glukagonlösung in die Spritze aufgezogen und in einen Muskel gespritzt, am besten an der Vorderseite des Oberschenkels. Die Kanüle wird in die Oberschenkelmuskulatur eingestochen, und das Medikament wird vollständig eingespritzt.

Hypokit: Übung macht den Meister

Dieser gesamte Vorgang dauert einige Sekunden. Es kommt immer wieder vor, dass Angehörige in dieser Stresssituation nach der Notfallspritze greifen und in der Hektik nur das Lösungsmittel spritzen. Damit dies nicht passiert, muss der beschriebene Vorgang in Ruhe mehrfach gedanklich „durchgespielt“ werden oder – noch besser – mit einem GlucaGen Hypokit, dessen Verfallsdatum überschritten ist, praktisch durchgeführt werden, wobei das Medikament zum Üben z. B. in eine Apfelsine gespritzt wird.

Nur wenn die Angehörigen bei einer schweren Unterzuckerung „ruhig Blut“ bewahren, wird das wirksame Medikament korrekt verabreicht und kann seine Wirkung entfalten.

Neu: Glukagon-Nasenpulver

Seit einigen Monaten gibt es in Deutschland für das GlucaGen Hypokit eine gleich wirksame Alternative, die viel einfacher von Angehörigen angewendet werden kann: das Glukagon-Nasenpulver Baqsimi. Das Behältnis enthält eine Dosis Glukagon.

Handhabung des Glukagon-Nasenpulvers

(Auszug aus der Fachinformation von Baqsimi)

  1. Entfernen Sie die geschweißte Folie durch Ziehen am roten Streifen.
  2. Nehmen Sie das Einzeldosisbehältnis aus dem Röhrchen. Drücken Sie nicht den Kolben, bevor Sie bereit sind, die Dosis zu verabreichen.
  3. Halten Sie das Einzeldosisbehältnis zwischen Fingern und Daumen. Da es nur eine Dosis Glukagon beinhaltet und nicht wiederverwendet werden kann, testen Sie es bitte nicht vor der Anwendung.
  4. Schieben Sie die Spitze des Einzeldosisbehältnisses behutsam in eines der Nasenlöcher, bis die Finger die Außenseite der Nase berühren.
  5. Drücken Sie den Kolben vollständig durch. Die Dosis wurde vollständig verabreicht, wenn der grüne Streifen nicht mehr sichtbar ist.
  6. Falls die Person bewusstlos ist, drehen Sie sie auf die Seite, um ein Ersticken zu verhindern.
  7. Nach Verabreichen der Dosis soll die hilfeleistende Person sofort medizinische Hilfe anfordern.
  8. Wenn der Patient auf die Behandlung angesprochen hat, verabreichen Sie oral Kohlenhydrate, um das Leberglykogen wieder aufzufüllen und eine erneute Hypoglykämie zu verhindern.

Das Nasenpulver ist teurer …

Viele Patienten, denen in der Diabetespraxis Ahaus, in der ich arbeite, das GlucaGen Hypokit verordnet wurde, haben es zum Glück bisher nicht benötigt, und es ist nach 18 Monaten abgelaufen. Da Baqsimi derzeit 3,4-mal mehr kostet als das GlucaGen Hypokit, müssen Patientinnen und Patienten, die ein solches „Notfallmedikament“ benötigen, zusammen mit dem behandelnden Diabetologen überlegen, ob es verordnet werden kann.

Vergleich GlucaGen Hypokit und Baqsimi-Nasenpulver

GlucaGen Hypokit Baqsimi-Nasenpulver
Lagerungmuss bei einer Temperatur von 2 bis 8 °C (im Kühlschrank) gelagert werdenbei Zimmertemperatur nicht über 30 °C lagern Einzeldosisbehältnis muss bis zur Anwendung in dem eingeschweißten Röhrchen aufbewahrt werden, um es vor Feuchtigkeit zu schützen
Haltbarkeitmaximal 18 Monatemaximal 24 Monate
Kosten33,61 Euro115,52 Euro

In der Diabetespraxis Ahaus handhaben wir es derzeit folgendermaßen: Patienten, die in der Vergangenheit schon einmal eine schwere Hypoglykämie hatten, erhalten – sobald das vorhandene GlucaGen Hypokit abgelaufen ist – eine Verordnung für das Baqsimi-Nasenpulver.

Baqsimi-Nasenpulver ist für mich ein deutlicher Fortschritt bei der Behandlung von Patienten mit schwerer Hypoglykämie. Angehörige, die sich mit der Handhabung des Nasenpulvers vertraut gemacht haben, können eine schnelle und wirksame Behandlung einleiten.

Nach der schweren Unterzuckerung: Insulintherapie überprüfen

Wenn unter einer Insulintherapie eine schwere Hypoglykämie aufgetreten ist, muss anschließend unbedingt die bisher durchgeführte Insulintherapie sehr kritisch überprüft werden, um eine schwere Unterzuckerung in Zukunft hoffentlich verhindern zu können.


Autor:

Dr. Martin Lederle
Chefredakteur Diabetes-Forum
Arzt für Innere Medizin, Diabetologie
MVZ Ahaus, Fachbereich Diabetologie
Wüllener Straße 101, 48683 Ahaus

Erschienen in: Diabetes-Journal, 2020; 69 (11) Seite 26-28

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