Macht Prävention krank?

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Macht Prävention krank?

Ausgerechnet der Chef der Berliner Charité behauptet, dass sich Vorsorge nicht lohnt, da sie nur Platz für neue Krankheiten schafft. Stimmt diese provokante Aussage? Unser Kolumnist Hans Lauber hat dazu Ärzte befragt.

Rumms, das sitzt! Der Neurologe Max Einhäupl leitete über zehn Jahre lang die größte deutsche Klinik mit 18 000 Beschäftigten – und zertrümmert jetzt zum Abschied in einem Interview einen Grundpfeiler der medizinischen Versorgung: Nämlich Prävention ist gut. Das war auch die letzten 20 Jahre mein Credo, als ich in vielen Publikationen und Vorträgen erläuterte, wie sich etwa der Lifestyle-(Typ2) Diabetes durch einen vernünftigen Lebenswandel besiegen lässt. Eine Ansicht, für die ich auch von vielen Ärzten engagiert unterstützt wurde – und der Düsseldorfer Diabetologe Prof. Stephan Martin lobte meinen Ansatz sogar als den „Königsweg der Diabetes-Therapie“.

Und das soll nun alles nicht mehr gewesen sein? Jedenfalls nicht nach Ansicht des 72-jährigen Professors, der in der Sonntags-FAZ vom 25. August ganz locker behauptet: „Jetzt rufen alle nach Prävention. Aber klar ist doch: Wenn sie durch Prävention eine Krankheit verhindern, dann machen sie damit nur Platz für eine andere Krankheit, die später kommt und die Kasse dann genau so viel Geld kosten wird. Das ist super, doch es spart nichts“.

Stimmt das? Also in meinem Fall schon mal sicher einmal nicht. Bei mir wurde 1999 ein manifester Typ-2-Diabetes diagnostiziert, mir wurden Medikamente verschrieben, die ich aber bald nicht mehr brauchte, weil ich meinen Lebensstil radikal verändert habe: Gesund gegessen, abgenommen, bewegt – und seit 20 Jahren habe ich die Stoffwechselstörung ohne Pillen im Griff, habe beste Werte. Die Prävention hat sich also bezahlt gemacht – und das doppelt: Denn hätte ich so schludrig weiter gelebt wie damals, wären sicher kostspielige Krankheiten gekommen, allein schon als Folge des permanenten Übergewichts. Die Prävention hat also Krankheiten verhindert – und nicht neue geschaffen, wie vom Professor behauptet.

Was für mich gilt, gilt natürlich auch für unendlich viel andere Menschen, denen die Prävention ein glücklicheres und längeres Leben schenkt. Sicher kein Ewiges, denn wie sagte schon der legendäre britische Ökonom John Maynard Keynes: „In the long run we all are dead“. Ganz überrascht haben mich die provokanten Äußerungen des gebürtigen Münchners allerdings nicht. Denn die Prävention hatte es in der primär auf Reparatur von Schäden ausgerichteten Medizin schon immer schwer. Zwei Einschätzungen aus meinem Buch „Zucker zähmen“ belegen diesen Standpunkt:

Prävention hat keine Lobby, weil sie nur langfristig wirkt. Politik und Krankenkassen denken aber kurzfristig, schieben die Verantwortung dem Einzelnen zu. Die Kassen geben eine verschwindend kleine Summe für Prävention aus“, so Prof. Rüdiger Landgraf von der Deutschen DiabetesStiftung. Auch der führende Ernährungsmediziner Prof. Hans Hauner sieht in den falschen Anreizsystemen der Kassen einen wesentlichen Grund für das geringe Interesse an der Vorsorge: „Das liegt ganz stark auch an den Vergütungsstrukturen. Für die Einleitung einer Insulin-Therapie wird der Arzt vergütet. Für die Erziehung zur Änderung des Lebensstils erhält er kein Honorar“.

Gesunde stören Auch ganz praktische Erwägungen lassen Prof. Max Einhäupl so argumentieren. Schließlich leitete er mit der Charité ein Großkrankenhaus – und es ist ihm gelungen, daraus eine funktionierende Einheit zu formen, wobei mich besonders seine Ansichten zu den Fähigkeiten der Ärzte aus der Ex-DDR beeindruckt haben. Aber das ist in der Gesundheitsindustrie eine Randnotiz, bezahlt wurde er dafür, die 3000 Betten profitabel zu füllen – und das geht nun mal am Besten mit Kranken, Gesunde stören da eher.

So nachvollziehbar das alles ist, so traurig finde ich es, wenn ein führender Arzt, dessen Wort als ehemaliger Vorsitzender des Wissenschaftsrats ein besonderes Gewicht hat, jegliche präventive Arbeit so bayerisch-derb vom Tisch wischt. Ich finde das nicht in Ordnung – oder habe ich als alter weißer Mann einen Trend verpasst, bin aus den Diskursstrukturen gefallen?

Die Antwort wissen die Winde und von mir konsultierten Ärzte, deren Statements Sie im Anschluss finden:

Dr. med. Meinolf Behrens, Diabeteszentrum Minden

»Laut „Deutschem Gesundheitsbericht Diabetes 2019“ wird jeder 10. Euro der deutschen Gesundheitsausgaben für direkte medizinische Kosten des Typ-2-Diabetes verwendet.

„Jetzt reicht´s, ändere dein Leben“, hat sich Hans Lauber gesagt als 1999 der Typ-2-Diabetes bei ihm festgestellt wurde. Seine Lebensstiländerung funktioniert: Auch 20 Jahre später braucht Hans Lauber weiter keine Diabetesmedikamente, es finden sich auch keine diabetischen Folgeerkrankungen und gekostet hat der Diabetes seiner Krankenkasse praktisch nichts. Hans Lauber – der Zuckerzähmer – ist gelebte Prävention.

Ein gesunder Lebensstil lässt uns besser und länger leben. Wer möchte das nicht? Opfern wir also auch nicht noch die Gesundheitsprävention einer ökonomischen Logik, die unsere Medizin heute schon in vielen Bereichen krank macht. «

Prof. Dr. med. Hans Hauner ist Ärztlicher Direktor des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin der TU München

»Die Aussage von Herrn Einhäupl zeigt natürlich, dass er sich mit dem Thema nicht wirklich beschäftigt hat. Er argumentiert vor allem ökonomisch und selbst dabei liegt er falsch, wie sich durch viele Einzelargumente leicht widerlegen ließe.

Ziel der Prävention ist es, Gesundheit und Lebensqualität so lange wie möglich zu erhalten und möglichst weit hinauszuschieben, bevor das Leben endet, wodurch auch immer. In der Fachsprache heißt das „Morbidity compression“, was das Ziel jedes Menschen sein dürfte.«

Prof. Dr. med. Stephan Martin, Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums in Düsseldorf

»Ihren Ausführungen, lieber Herr Lauber, kann man nur zustimmen. Gerade Ihr Beispiel zeigt, dass allein bei Ihnen über die 20 Jahre Ihrer Diabetesdauer – die Sie Medikamenten-frei geschafft haben – immense Kosten gespart wurden. Bei Kosten für eine Diabetestherapie mit steigenden Insulindosierungen von ca. 2000 € pro Jahr (Blutzuckerstreifen, Lanzetten und Nadeln eingerechnet) sind das 40.000 €. Die steigenden Zahlen an fettsüchtigen Menschen weltweit mit den sich daraus entwickelnden Gesundheitskosten kann unsere Gesellschaft bald nicht mehr tragen.

Wer die Wirkung von Prävention so plakativ und undifferenziert in Zweifel stellt, ist gut beraten den wohl verdienten Ruhestand anzutreten.«

Prof. Dr. med. Morten Schütt leitet in Lübeck eine Diabetologische Schwerpunktpraxis

»Der Text liest sich in der Tat kurzsichtig und ignorant. Im Wesentlichen bezieht sich Prävention doch auf einen nachhaltig bewussten gesunden Lebensstil. Die herausragende Bedeutung dieses Instruments bezieht sich eben nicht auf die Verzögerung der Entstehung oder bestmöglich Verhinderung EINER Erkrankung, sondern vielmehr auf eine VIELZAHL verschiedener höchst relevanter Erkrankungen, die miteinander verzahnt sind. Auch wenn es individuelle Unterschiede bezüglich der Erfolge von Lebensstil-Interventionen gibt, so finden wir in der Summe der Wirkung solcher Maßnahmen immer wieder positive Auswirkungen auf ein breites Spektrum an Erkrankungen wie etwa Diabetes, Herzinfarkte, Krebs und Demenz.

Es wäre fatal, dieses höchst potente Instrument Lebensstil in Frage zu stellen, da damit eine in der Medizin einzigartige Chance auf eine mögliche Risikoreduktion diverser schwerwiegender Erkrankungen leichtfertig aufgegeben wird.«

Prof. Dr. med. Kristian Rett, Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie, Diabetologie. MVZ Endokrinologikum München

Macht Prävention krank?
»Nein – das hat der langjährige Direktor einer neurologischen Universitätsklinik und spätere Vorstandsvorsitzende der gleichen Universitätsklinik auch gar nicht gesagt. Max Einhäupl hat vielmehr die langfristige Finanzierbarkeit unseres solidarisch organisierten Gesundheitssystems angesichts kürzer werdender Innovationszyklen und länger werdender Lebenszeit in Frage gestellt. Und er hat aus der Sicht des Krankenhausarztes der universitären Maximalversorgung argumentiert, und als solcher ist er gar nicht zuständig.

Das wird bei der Lektüre des Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz – PrävG) deutlich. Dort findet man neben medizinisch relevantem wie Diabetes, Brustkrebs, Depression, sowie Alkohol- und Nikotinkonsum in erster Linie Floskeln wie Lebenskompetenz, Lebenswelten und Steigerung gesundheitlicher Kompetenz, Stärkung der Patientensouveränität und gesundes Älterwerden. Und bereits im §6 des Artikel 1 erscheint folgende Formulierung:

„Die Ausgaben der Krankenkassen für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben sollen insgesamt im Jahr 2015 für jeden ihrer Versicherten einen Betrag in Höhe von 3,17 Euro und ab dem Jahr 2016 einen Betrag in Höhe von 7 Euro umfassen. Damit ist klar, dass der Gesetzgeber gar keine Vorsorge im ärztlichen Sinne will.“

Wen er für zuständig hält, wird aus der Zusammensetzung der Nationalen Präventionskonferenz klar. Dort erstellen Sozialversicherungsträger, die private Kranken- und Pflegeversicherung, staatliche Akteure, Sozialpartner und Akteure der Zivilgesellschaft regelmäßig Berichte. Sie werden dabei von einem Gremium beraten, in dem von 17 Sitzen (Bund, Länder, Kommunale Spitzenverbände auf Bundesebene, Bundesagentur für Arbeit, Sozialpartner, Präventionsforum) gerade 2 auf Vertretungen der Patientinnen und Patienten entfallen. Im sechsköpfigen wissenschaftlichen Beirat sucht man gar vergeblich nach einem ärztlichen Vertreter.

Die Aussage, dass die Prävention einer Krankheit Platz für eine andere macht und sich daher nicht lohnt, ist in dem Kontext, in dem sie gefallen ist, völlig korrekt. Wir werden schon lange nicht mehr in jungen Jahren von der Tuberkulose dahingerafft und in den westlichen Industrienationen hat die erfolgreiche kardiovaskuläre Prävention dazu geführt, dass Tumorerkrankungen soeben die Herz-Kreislauf-Erkrankungen als häufigste Todesursache abgelöst haben.

Die zentrale Frage bei der Prävention ist nicht etwa der finanzielle Mehrwert für den Kostenträger, das Krankenhaus, oder den ambulanten Erbringer medizinischer Leistungen sondern der Mehrwert für jeden einzelnen Patienten.

Gesundheitspolitik schafft Fehlanreize und Fehlallokation

Bezogen auf die klinische und praktische Diabetologie ist Prävention geradezu der Markenkern und umfasst dort eine ganze Reihe von Erfolgsgeschichten (Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenversagen, Erblindung). Das hat in unserem Verständnis in aller Regel etwas mit kompetenter Schulung, kompetenter Ernährungsberatung, Verhaltensmodifikation, Alltagsertüchtigung, und kontinuierlicher medizinischer und psychologischer Betreuung zu tun. Dieses Konzept passt allerdings nicht in die von Fehlanreizen und Fehlallokation von Ressourcen geprägte Gesundheitspolitik und wird logischerweise nicht adäquat vergütet.

Vielmehr stehen gerade in der Diabetologie die Grundübel der sektoralen Trennung, der Budgetierung ärztlicher Leistung und das überkommene Finanzierungskonzept der Diagnosis Related Groups (DRG) einer sinnvollen medizinischen Versorgung unter Einschluss einer vernünftigen Prävention entgegen.

Im Sinne des Mehrwerts für jeden einzelnen Patienten müsste

  1. das bisherige Disease Management Programm (DMP) Diabetes abgeschafft werden. Es nutzt in der bisherigen Form nur Kostenträgern und Leistungserbringern, bleibt aber ohne messbaren Mehrwert für den Patienten.
  2. ein risikoadjustiertes DMP eingeführt werden, das eine sinnvolle Ressourcenallokation ermöglichen würde.
  3. endlich eine elektronische Gesundheitskarte eingeführt werden – und zwar kein selbstentwickeltes deutsches Bürokratiemonster, sondern ein funktionierendes System wie in Estland.

Präventivmedizinisch sinnvoll wäre zudem ein DMP Prädiabetes auf der Basis des individuellen Erkrankungs- und Ereignisrisikos für Adipöse, körperlich Inaktive und andere Risikogruppen.

Schließlich müsste die aktive Übernahme von Verantwortung durch den Patienten dadurch gefördert werden, dass Verhaltensmodifikation und ökonomischer Umgang mit Heil- und Hilfsmitteln im Rahmen von Bonussystemen gezielt honoriert werden, also eine bonuswirksame Nutzerbeteiligung“.

«

Hans Lauber: „Danke!“

Herzlich danken möchte ich den Ärzten, die meiner Bitte gefolgt sind – und meine Kolumne kommentiert haben. Zwei Schlussfolgerungen ziehe ich aus Kommentaren: Prävention hat einen hohen Stellenwert, ist gerade beim Typ-2-Diabetes eine der wichtigsten Therapien. Und: Unser Gesundheitssystem ist leider nicht darauf ausgelegt, Prävention systematisch zu fördern. Im Gegenteil: Gerade Krankenkassen halten wenig von Prävention, weil sie sich nicht „lohnt“. Dass sich das ändert, dafür werde ich in den nächsten Monaten mit Ärzten sprechen – und dann ein Konzept vorlegen.


von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de

Internet: www.lauber-methode.de

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