Schon frühe Hominiden aßen Süßes und entwickelten Adipositas

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Schon frühe Hominiden aßen Süßes und entwickelten Adipositas

Die Wurzel heutiger Zivilisationskrankheiten wie Typ-2-Diabetes und Fettleibigkeit liegt möglicherweise in einer genetischen Mutation bei unseren Vorfahren vor etlichen Millionen von Jahren, verbunden mit hohem Zuckerkonsum und der Anlage größerer Fettreserven. Dies vermuten Tübinger und Dresdner Forscher anhand der Analyse von Fossilienfunden.

Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Fettleibigkeit und Gicht sind Krankheiten, welche nicht nur jährlich laut der Weltgesundheitsorganisation WHO Millionen von Menschenleben fordern, sondern auch bei unseren nächsten lebenden Verwandten Orang-Utan, Gorilla und Schimpansen auftreten. Seit etwa zehn Jahren vermuten Wissenschaftler, dass die menschliche Veranlagung für diese Zivilisationskrankheiten in der gemeinsamen Evolutionsgeschichte von Mensch und Menschenaffen begründet sei.

Unseren Verwandten und uns Menschen fehlt, im Gegensatz zu anderen Affen, das Enzym Uricase im Stoffwechsel. Dadurch kommt es zur Anreicherung von Harnsäure im Blut und in der Folge auch zur Anreicherung von Körperfett. Fruchtzucker (Fruktose) ist, im Gegensatz zum Traubenzucker (Glukose), in der Lage, diese Effekte zusätzlich zu verstärken. Gemäß der Uricase-Theorie trat die genetische Mutation, die zum Verlust der Uricase führte, bei den letzten gemeinsamen Vorfahren von Menschenaffen und Menschen vor 15 Millionen Jahren in Europa auf.

Überraschender Befund: Karies an 12,5 Mio. Jahre alten Zähnen

Tübinger und Dresdener Forscher haben nun erstmals einen paläontologischen Beleg für diese Theorie entdeckt. Zu dem Team gehören Professorin Madelaine Böhme und Jochen Fuß von der Universität Tübingen und dem Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment sowie Gregor Uhlig vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf. An 12,5 Millionen Jahre alten Zähnen des Dryopithecus carinthiacus, des mutmaßlich ältesten Vertreters der afrikanischen Menschenaffen und des Menschen, fand das Forscherteam Zahnkaries im fortgeschrittenen Stadium. Die Zähne waren 1953 in Kärnten, Österreich, geborgen worden.

„Dieser Befund war für uns sehr überraschend, da das Entstehen des Krankheitsbildes Karies bisher stets mit der Erfindung des Ackerbaus – der Neolithischen Revolution – vor etwa zehntausend Jahren in Zusammenhang gebracht wurde. Seit dieser Zeit wurde mehr gekochte Stärke verzehrt“, erklärt Madelaine Böhme, die Leiterin der Studie. Eine umfangreiche vergleichende Untersuchung des Zahnstatus von 365 Schimpansen aus der freien Wildbahn von Liberia in Westafrika erbrachte, dass nur 0,17 Prozent von deren Zähnen kariös waren. „Die beobachtete Karies bei den Schimpansen ist zudem deutlich schwächer ausgeprägt als beim fossilen Menschenaffen“, ergänzt Jochen Fuß.

Forscher belegen hohen Fruchtzuckerkonsum der frühen Menschenaffen

Im Gegensatz zur archäologisch häufig belegten Zahnfäule bei frühen Bauern ist die Karies bei Dryopithecus carinthiacus jedoch auf einen hohen Zuckerkonsum zurückzuführen. Um dies zu belegen, nutzen die Forscher fossile Pollen von Bäumen, Sträuchern und Lianen, die sich in den Kärntner Ablagerungen am Fundort des 12,5 Millionen Jahre alten Unterkiefers fanden. Sie stießen dabei auf mindestens neun Arten, deren Früchte stark zuckerhaltig sind wie unter anderem Wein, Maulbeere, Erdbeerbaum, Esskastanie, Ölweide sowie Vertreter von Kirsche und Pflaume. Außerdem fanden sie 46 honigtragende Pflanzen, wodurch Honig als zusätzlicher Zuckerlieferant in Frage kommt.

Gemäß ihrer Studie war daher Zucker in neun bis zehn Monaten des Jahres, von März bis Dezember, im Miozän in der Landschaft Kärntens verfügbar. Während heutige Menschenaffen in Phasen von Fruchtknappheit junge Blätter als Notnahrung nutzen, war dies den europäischen Menschenaffen nicht möglich. „Aufgrund der geringen Lichteinstrahlung beziehungsweise der kurzen Tageslänge im Januar und Februar gab es trotz nahezu tropischer Temperaturen in den nördlichen Mittelbreiten im Spätwinter keinen Blattaustrieb“, erklärt Böhme. Der Chemiker Gregor Uhlig setzt hinzu: „Um diese Hungerperiode zu überstehen, mussten unsere Vorfahren Fettreserven anlegen.“

Vermehrte Bildung von Körperfett durch fehlendes Enzym

Tatsächlich stellten die Forscher fest, dass die von Dryopithecus vermutlich konsumierten Früchte am Ende der Wachstumsperiode im frühen Winter von November bis Dezember einen erhöhten Gehalt an Fruchtzucker besitzen. Dieser führte aufgrund der ihnen fehlenden Uricase unmittelbar zur vermehrten Bildung von Körperfett.

Die daraus ableitbare Vermutung, dass europäische Menschenaffen eine substanzielle Fettreserve besaßen, konnten die Forscher am bisher einzigen kompletten Skelett eines Menschenaffen aus Europa bestätigen: dem acht Millionen Jahre alten Oreopithecus bamboli aus der Toskana. In seinem bis heute erhaltenen Weichgewebe fanden sich dicht gepackte Fettzellen, die in Größe und Form an weißes Fettgewebe heutiger Menschen erinnern.

Evolutionärer Vorteil ist für uns heutzutage zum Handicap geworden

„Viele klinische Studien der Vergangenheit haben gezeigt, dass ein erhöhter Harnsäuregehalt des Blutes zu erhöhtem Blutdruck führt“, sagt Böhme. Gemäß der Uricase-Theorie könnte neben den Fettreserven ein stabil hoher Blutdruck während der Hungerphasen ein wichtiger selektiver Vorteil der Menschenaffen im Miozän Europas gewesen sein. Denn diese Voraussetzungen erlauben körperliche Aktivität auch bei Nahrungsknappheit.

„Eine vor Millionen von Jahren aufgetretene Mutation war maßgeblich dafür, dass frühe Menschenaffen Eurasien besiedeln und eine enorme Artenvielfalt hervorbringen konnten“, resümiert Böhme. „Wir tragen noch heute ihr Erbe in uns. Dieser Vorteil ist jedoch in einer Welt industriell gefertigter Nahrungsmittel in ein Handicap umgeschlagen.“


Quelle: Pressemitteilung der Eberhard Karls Universität Tübingen | Redaktion

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