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Menschen mit Typ-1-Diabetes leben zumeist viele Jahrzehnte mit ihrer Erkrankung und können im hohen Alter von ihren Erfahrungen profitieren. Dennoch kann es hin und wieder notwendig sein, bestimmte Themen aufzufrischen, wenn beispielsweise ein Vereinfachen der Therapie angestrebt wird oder Details in Vergessenheit geraten sind. Im Rahmen von strukturierten Diabetes-Schulungsprogrammen ist dies möglich.
Menschen mit Typ-1-Diabetes lernen in strukturierten Diabetes-Schulungsprogrammen, mit ihrer Erkrankung im Alltag umzugehen. In Kleingruppen oder Einzelberatungen werden theoretische Inhalte vermittelt – z. B. welche Lebensmittel den Blutzucker erhöhen – und praktische Fertigkeiten geübt – z. B. das Insulinspritzen oder Blutzuckermessen. Dies spielt eine besonders große Rolle zu Beginn der Erkrankung. Wiederholte Teilnahmen im Laufe des Lebens können jedoch dazu beitragen, das Wissen aufzufrischen und Neuigkeiten, beispielsweise auf dem Gebiet der Diabetes-Technologie mit Insulinpumpen, Smart-Pens oder Sensoren zum kontinuierlichen Glukose-Montoring (CGM), zu erfahren.
Für Menschen mit Typ-1-Diabetes stehen in Deutschland zwei Schulungsprogramme zur Verfügung, welche beide zwölf Schulungseinheiten mit jeweils 90 bis 120 Minuten umfassen: das “Behandlungs- und Schulungsprogramm für intensivierte Insulintherapie (ICT)” vom Deutschen Ärzteverlag und “PRIMAS” vom Forschungsinstitut Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM).
Da die Gedächtnis-Leistung mit zunehmendem Alter abnimmt und das Erlernen von neuem Wissen immer schwerer wird, ist es wichtig, die Inhalte einer Diabetes-Schulung auf das Wesentliche zu reduzieren und sich viel Zeit zu nehmen. Häufiges Wiederholen der Themen soll dazu beitragen, dass daraus Routine wird. Das schulende Personal ist speziell dafür ausgebildet.
Durch den Austausch mit anderen Betroffenen innerhalb einer Gruppenschulung können die an der Schulung Teilnehmenden voneinander lernen, was maßgeblich zum Lernerfolg beiträgt. Das Einbeziehen von Angehörigen oder von Pflegepersonal kann ebenfalls von großer Bedeutung sein, wenn beispielsweise andere Erkrankungen, wie Demenz oder motorische Einschränkungen, hinzukommen.
Viele ältere Menschen fragen sich, warum sie in ihrem Alter nach so einer langen Krankheitsdauer noch an einer Schulung teilnehmen sollen. Dass die Teilnahme an einer Diabetes-Schulung aber zu verbesserten Blutzuckerwerten und weniger Unterzuckerungen führt, haben bereits zahlreiche Studien zeigen können.
Dabei geht es nicht um das Erreichen perfekter Blutzuckerwerte, wie es bei jungen Menschen meist anzustreben ist, sondern vielmehr darum, Beschwerden durch stark erhöhte Zuckerwerte wie häufiges Wasserlassen, viel Durst, Antriebslosigkeit und Müdigkeit oder durch Unterzuckerungen zu verhindern. Kommt es durch eine Unterzuckerung zum Beispiel zu einem Sturz, könnte dies ein Grund sein, an einer Schulung teilzunehmen – um zu verhindern, dass eine solche Situation noch einmal auftritt.
Aber auch der Wunsch nach einer Verbesserung der Lebensqualität könnte ein Grund für eine erneute Diabetes-Schulung sein. Wenn man das Gefühl hat, dass einem alles über den Kopf wächst und man überfordert mit der Erkrankung und deren Therapie ist, kann eine Teilnahme sinnvoll sein. Auch wenn die Erkrankung bereits seit dem Kindesalter den Alltag der Betroffenen bestimmt, können die verschiedensten Fragen auch noch im hohen Alter auftreten.
Dies könnte zum Beispiel sein:
Innerhalb einer Diabetes-Schulung können diese und weitere Fragen beantwortet werden.
Typ-1-Diabetes tritt meist erstmalig in jungen Jahren auf. Die Erkrankung kann sich aber auch erst in hohem Alter manifestieren. So erhielt zum Beispiel Renate N. mit 71 Jahren die Diagnose “Diabetes mellitus Typ 1”. Ihr Nachteil ist, dass sie nicht von jahrzehntelangen Erfahrungen profitieren konnte, sondern sich von jetzt auf gleich viel Wissen und praktische Fähigkeiten aneignen musste. Dass dies aber möglich ist, hat Renate N. bewiesen.
Nachdem die Patientin mit häufigem Wasserlassen, viel Durst sowie einem deutlich zu hohen Blutzuckerwert von 414 mg/dl bzw. 23,0 mmol/l von der Hausarztpraxis stationär eingewiesen worden war, wurde ihr im Krankenhaus gesagt, dass sie nicht Diabetes Typ 2 – wie ihr Mann – habe, sondern die seltenere Form “Diabetes Typ 1”. Ihr Langzeit-Blutzuckerwert (HbA1c) lag bei 11,2 %.
Ab sofort hieß es für sie, mehrfach täglich Insulin zu spritzen, den Blutzucker zu messen, die Kohlenhydrate im Essen abzuschätzen, daraus die Insulindosis zu berechnen, Unterzuckerungen zu erkennen und so weiter. Außerdem musste sie sich die Frage stellen, ob für sie eine Therapie mit einer Insulinpumpe oder ein CGM-System in Frage kommt. Renate N. war überfordert, für sie brach eine Welt zusammen. Dachte sie doch, dass sie ihren Lebensabend gemeinsam mit ihrem Ehemann sorgenfrei verbringen könne.
Renate N. war stark verunsichert, ob sie mit ihren 71 Jahren so viel neues Wissen erlernen und dies eigenständig im Alltag umsetzen könne. In ein Pflegeheim wollte sie deswegen keinesfalls. Sie war hoch motiviert, sich das Wissen anzueignen, um weiterhin in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben. Ihr Mann versuchte, sie dabei zu unterstützen, und nahm an allen Schulungs-Einheiten teil. Für ihn waren die meisten Themen auch neu, da er nur die Diabetes-Tablette “Metformin” einnahm. Insulinspritzen, Blutzuckermessen und Abschätzen der Kohlenhydratmenge waren für ihn nicht nötig, sodass er dies bis dahin nicht gelernt hatte.
Das Schulungs-Personal auf Station gab sich sehr große Mühe. Sie unterstützten die Patientin täglich beim Insulinspritzen, Blutzuckermessen sowie Schätzen der Kohlenhydratmenge und dem damit verbundenen Errechnen der Insulindosis. Alle Inhalte wurden so lange wiederholt, bis Renate N. die notwendige Sicherheit im Umgang mit der Erkrankung erlangt hatte. Nach Entlassung stellte sich die Patientin in einer Diabetes-Schwerpunktpraxis vor. Dort wurde sie weiterhin von Diabetesberaterinnen unterstützt.
Nach drei Monaten kam Renate N. wieder in die Hausarztpraxis. Sie berichtete, wie schwierig die letzten Wochen für sie waren, aber auch, wie glücklich sie nun war. Sie hätte nie gedacht, in ihrem Alter noch einmal “wie in der Schule so viel Wissen zu pauken”. Der HbA1c-Wert lag nun bei 7,8 %. Unterzuckerungen traten zwar hin und wieder auf – wenn sie sich beispielsweise bei der Kohlenhydratmenge verschätzt hatte –, Renate N. hatte aber gelernt, damit umzugehen. Es hatte sich gezeigt: Schulung lohnt sich … auch im hohen Alter!
von Dr. Nadine Kuniß
Erschienen in: Diabetes-Anker, 2024; 72 (6) Seite 27-29
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