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Über sexuelle Funktionsstörungen als Diabetesfolge wird selten gesprochen. Es ist ein Tabuthema und wird aus Scham oft verschwiegen – von Patienten, die darunter leiden, und auch von Diabetologen und ihren Behandlungsteams. Meist sind Urologen die ersten Ansprechpartner, wenn Männer unter Erektionsstörungen leiden. Bei Frauen erfahren oft die Gynäkologen zuerst, wenn Schmerzen beim Geschlechtsverkehr auftreten oder nachlassende Lust den Liebesakt erschwert. Doch es gibt Möglichkeiten, die Probleme bei Männern und Frauen zu behandeln.
Die Wahrscheinlichkeit für Männer, von einer Erektionsstörung (auch Impotenz und erektile Dysfunktion, kurz: ED, genannt) betroffen zu sein, steigt mit dem Lebensalter. Von einer ED wird gesprochen, wenn für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten die dauerhafte Unfähigkeit besteht, eine ausreichende Erektion aufzubauen oder zu erhalten, um befriedigenden Geschlechtsverkehr zu haben.
Bei Männern mit Diabetes tritt die Erektionsstörung etwa 10 bis 15 Jahre früher als in der Allgemeinbevölkerung auf. Schätzungsweise bis zu 60 Prozent aller Männer mit Diabetes entwickeln im Laufe ihres Lebens eine ED, was psychische und organische Gründe haben kann.
Häufig ist eine Kombination von mehreren Ursachen gleichzeitig für eine Erektionsstörung verantwortlich: Testosteronmangel, erhöhtes Prolaktin oder Medikamente wie Blutdrucksenker, Fettsenker, Psychopharmaka, Schmerzmittel, Antiallergika gehören dazu. Psychogene Komponenten wie eine manifeste Depression oder Angststörung begünstigen eine erektile Dysfunktion. Viele Patienten mit koronarer Herzkrankheit berichten, dass bei ihnen zuvor eine ED auftrat.
Die männliche Erektion ist ein komplexer Vorgang, dem eine Interaktion von Psyche, Nervensystem, Hormonen und Blutgefäßen zugrunde liegt. Durchblutungsstörungen in den kleinen Arterien (zum Beispiel bei diabetischer Mikroangiopathie, Arteriosklerose) können zu mangelnder Blutzufuhr in den Penis führen. Venös fließt zu viel Blut aus den Schwellkörpern ab. Neurogen verursachte Schäden entstehen beispielsweise durch Verletzungen der Nerven oder durch diabetische Neuropathie.
Hohe Glukosewerte sorgen dafür, dass die für eine Erektion erforderliche Bildung von Stickstoffmonoxid (NO) vermindert ist. Stickstoffmonoxid gilt als zentral, damit sich die Gefäße im Penis entspannen. Eine optimale Blutzuckereinstellung muss deshalb immer das Ziel sein, um Folgen zu reduzieren. Ergänzend sollten Blutdruck- und Cholesterinwerte im Zielbereich eingestellt und Risikofaktoren wie Übergewicht, Alkohol und Rauchen vermieden werden.
Das gilt nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen mit Diabetes, die über Libidoverlust und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr klagen. Davon ist vermutlich ein Drittel der Diabetikerinnen betroffen.
Zur Häufigkeit der eingeschränkten Sexualfunktion beim weiblichen Geschlecht gibt es keine verlässlichen Zahlen. Anders als bei Männern, bei denen zur Klärung der Diagnose spontane nächtliche Erektionen aufgezeichnet, der Testosteronspiegel bestimmt und die Gefäße im Penis per Ultraschall kontrolliert werden, gibt es für Frauen bis auf den Hormonstatus nur wenige Möglichkeiten der körperlichen Untersuchung.
Patientinnen mit Diabetes berichten, dass ihr sexuelles Verlangen nachlässt, sie seltener zum Orgasmus kommen, der Geschlechtsverkehr schmerzhaft ist und die Vaginalschleimhaut trockener wird. Die Vaginalschleimhaut bei Frauen mit Diabetes ist weniger durchblutet, neigt zur früheren Alterung und zu Trockenheit.
Bei Frauen mit Diabetes ist die Anfälligkeit für Infekte erhöht. Besonders wiederholt auftretende Harnwegsinfekte sind ein Problem. Die Haut im Genital- und Analbereich sollte deshalb gut eingefettet werden, um vorzubeugen. Schmerzen beim Geschlechtsverkehr können durch Behandlung der Vaginalschleimhaut mit einer Östriolsalbe oder einem östriolhaltigen Vaginalzäpfchen gelindert werden.
Eine Hormonersatztherapie in der Postmenopause wird unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt. Gleiches gilt für die Substitution bei Männern mit Testosteronmangel. Ein Beckenbodentraining zur Stärkung von Muskeln und Durchblutung im Beckenboden kann grundsätzlich bei Orgasmus- und Inkontinenzproblemen helfen.
Zur Behandlung der männlichen Erektionsstörung gibt es verschiedene therapeutische Optionen, die abhängig von Ursachen und Schweregrad der ED sowie begleitenden Erkrankungen infrage kommen. Bei überwiegend nicht organischer Ursache reicht oft eine psychologische Behandlung, gegebenenfalls um Medikamente ergänzt. Medikamentös stehen mehrere Substanzen zur Hemmung des Enzyms Phosphodiesterase-5 zur Verfügung – die PDE-5-Hemmer, die sich vor allem hinsichtlich Dosierung, Wirkbeginn und Wirkdauer unterscheiden.
Unterschiede bei Dosierung, Beginn und Dauer der Wirkung
Sildenafil (Viagra u. a.)
Tadalafil (Cialis)
Vardenafil (Levitra)
Avanafil (Stendra)
Sildenafil (z. B. Viagra), Tadalafil (Cialis), Vardenafil (Levitra) und Avanafil (Stendra) gehören dazu. Das Prinzip ist: PDE-5-Inhibitoren hemmen den Abbau von zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP) und verstärken über den Anstieg der Konzentration von Stickstoffmonoxid die Gefäßerweiterung. Dadurch kommt es zur verbesserten Erektion, allerdings muss dieser eine sexuelle Stimulation vorausgehen.
PDE-5-Inhibitoren dürfen nur einmal täglich eingenommen werden. Die Nebenwirkungen sind mild: Nur bei wenigen Patienten treten Kopfschmerzen, Hautrötung, Sodbrennen, verstopfte Nase, Farbsehstörungen oder Rückenschmerzen auf. Wichtig ist: Bei nitrathaltigen Medikamenten (z. B. Nitro-Spray) und Substanzen, die Stickstoffmonoxid bereitstellen können (NO-Donatoren), sollten PDE-5-Inhibitoren nicht angewendet werden.
Bei Vorerkrankungen am Herzen und am Augenhintergrund ist die Schwere des Krankheitsbildes für den Aus- bzw. Einschluss und die Dosierung entscheidend. Berücksichtigt werden muss auch, dass der Blutdruck durch PDE-5-Hemmer leicht sinken kann.
Vakuumpumpen, Schwellkörper-Autoinjektionstherapie (SKAT) und eingesetzte Penis-Implantate sind weitere Möglichkeiten, um eine erektile Dysfunktion zu behandeln. Bei Vakuumpumpen wird ein Plexiglaszylinder über den Penis gestülpt und mittels Hand- oder Elektropumpe ein Vakuum erzeugt. Durch Abstreifen eines Gummirings vom Zylinder auf die Penisbasis bei maximaler Steifheit wird der Abstrom des Blutes verhindert. Das Vakuum wird abgelassen und der Plexiglaszylinder entfernt.
Die Schwellkörper-Autoinjektionstherapie kann eine Option bei mittelschwerer bis schwerer Erektionsstörung, bei geringem Ansprechen auf Medikamente oder bestehenden Kontraindikationen sein. Bei der SKAT tritt etwa 5 bis 15 Minuten nach Injektion des Gewebehormons Prostaglandin E1 (Alprostadil), das die Blutgefäße erweitert und die Muskeln entspannt, die Wirkung ein.
Der Zeitraum der Erektion hängt von der injizierten Dosis ab. Die SKAT ist aufgrund lokaler Schmerzen bis zum Problem der Dauererektion wenig beliebt. Bei über vier Stunden anhaltender Erektion müssen die Anwender unmittelbar ärztlich behandelt werden.
Operativ können halbsteife oder hydraulische Penis-Implantate für Patienten in Betracht kommen, bei denen eine medikamentöse Therapie nicht hilft oder die sich eine permanente Lösung wünschen. Die Implantate sind mit einem Antibiotikum bzw. einer wasserlöslichen Oberfläche beschichtet, sodass die Infektionsrate mit unter 1 Prozent niedrig ist. Anders als bei der Therapie mit PDE-5-Hemmern, deren Kosten im Regelfall vom Patienten selbst getragen werden müssen, ist die Penis-Implantation eine Leistung der Krankenkassen, wenn sie medizinisch begründet ist.
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Erschienen in: Diabetes-Journal, 2021; 70 (3) Seite 32-35
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