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Übergewicht ist nicht gleich Übergewicht. Es gibt durchaus Menschen mit hohem Körpergewicht, die sehr fit sind – aber viele sind es eben nicht. Woran das liegt und was man tun kann, lesen Sie hier.
Peter war schon immer etwas korpulent, aber machte regelmäßig Sport: Walking in der Gruppe mit einigen Bekannten, Tischtennisspielen im Verein – so hatte er sein Gewicht ganz gut gehalten und fühlte sich relativ fit. Aktuell aber hatte er schon bei der geringsten Anstrengung Luftnot … und vermehrt Rücken- und Knieprobleme.
Unterstützt durch seinen Hausarzt, der auch Sportmediziner ist, hat er wieder angefangen, mit einer Knöchelbandage leicht zu laufen (walken) und im Thermalbad regelmäßig seine Übungen durchgeführt. Mittlerweile hat er wieder 10 kg abgenommen und fühlt sich deutlich besser – auch mit der Luft beim Laufen ist es wieder besser.
Das Übergewicht und vor allem das krankhafte Übergewicht (Adipositas) betrifft in Deutschland wie auch in anderen westlichen Industrienationen etwa 20 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Tendenz steigend – und mit zunehmendem Alter auch ansteigend!
Die Adipositas ist Vorläufer unserer bedeutendsten Zivilisationskrankheiten:
Auch Erkrankungen wie degenerative Gelenkerkrankungen (Arthrosen), Depressionen und einige Tumorerkrankungen kommen gehäuft dabei vor.
Die Adipositas ist eine der langfristig teuersten Wohlstandserkrankungen, vor allem durch die oft schwerwiegenden Folgeerkrankungen. Die Adipositas wird im deutschen Gesundheitssystem immer noch nicht so eindeutig als Krankheit bezeichnet, obwohl viele Fachgesellschaften diese so verstehen.
Unter Übergewicht versteht man einen übermäßigen Anteil an Fettgewebe; das bedeutet jedoch nicht gleichzeitig auch ein erhöhtes Körpergewicht. Denn es gibt auch schlanke, sehr muskulöse Menschen mit Übergewicht, ohne einen erhöhten Anteil an Fettgewebe (z. B. Bodybuilder). Die medizinisch sinnvolle Unterscheidung zwischen schlank und fett ist deshalb nur angebracht bei Zunahme des Fettanteils (in Zusammenhang mit einer unterschiedlichen Erkrankungshäufigkeit oder Sterblichkeit).
Bisher wurde das Übergewicht mit Hilfe des Body-Mass-Index (BMI) errechnet: Gewicht geteilt durch Körpergröße zum Quadrat (kg/m²).
Eine andere Möglichkeit zur Bestimmung des Anteils an Fettgewebe stellt die Messung der Hautfaltendicke, des Bauchumfanges oder auch die Messung der Körperzusammensetzung mittels Densitometrie, Computertomographie oder Magnetresonanztomographie dar. Weil seine Bestimmung am einfachsten ist, hat sich der BMI weltweit durchgesetzt. Er beträgt für die gemittelte Größe und Gewicht von gesunden Männern und Frauen zwischen 19 und 26 kg/m², bei gleichem BMI haben Frauen häufig ca. 15 Prozent mehr Körperfett als Männer.
Dies liegt entwicklungsgeschichtlich daran, dass die Fruchtbarkeit von Frauen am besten bei normalem Fettanteil ist und deutlich reduziert ist bei zu wenig oder zu viel Fettanteil. Aufgrund weltweiter Daten zur Häufigkeit von Erkrankungen und Übersterblichkeit wird ein BMI von 30 kg/m² meist als Grenze für Übergewicht bei Männern und Frauen angesehen. Einen eigentlichen Schwellenwert gibt es zwar nicht, es scheint aber bereits ab einem BMI von über 25 kg/m² das Risiko für bestimmte Stoffwechsel- sowie Herz- und Krebserkrankungen zu steigen, wie Studien zeigen.
Für uns bedeutet dies aktuell, dass bereits ab einem BMI zwischen 25 und 30 kg/m² ein Anlass besteht, diesen wieder zu senken – vor allem dann, wenn bereits Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und eine krankhafte Zuckerverwertung (Vorstufe des Diabetes) bestehen.
Nach Prof. Stumvoll, Leipzig, wissen wir zwar über das Modell Adipositas bereits recht viel – übertragen auf die individuelle Situation eines jeden Menschen wissen wir aber sehr wenig – außer, dass die Vererbung eine Rolle spielt, denn Übergewicht und Adipositas können verschiedene Ursachen haben. Deshalb wird es nie für alle Adipositas-Patienten dieselbe Therapie geben.
Es gibt zwar Studien, die das Adipositas-Paradoxon belegen sollen, das heißt, dass stark übergewichtige Menschen bessere Überlebenschancen haben als normalgewichtige Menschen – trotz des Risikos, das krankhaftes Übergewicht mit sich bringt. Dies wurde allerdings durch eine aktuelle Studie von Paul A. McAuley widerlegt. Nur, wenn man dick und fit ist, ist alles nicht so schlimm. Anders ist es, wenn man dick ist und unfit: Hier hat man ein deutlich höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Für die Sterblichkeit hat nach aktuellen Daten die Verteilung des Fettgewebes an unterschiedlichen Körperstellen eine entscheidende Bedeutung: Wer viszerales Fett hat, also Fett in der Bauchhöhle und auch Unterhautfett am Bauch, der hat ein höheres Risiko als jemand mit Unterhautfett am Gesäß oder an den Beinen. So ist ein Bauchumfang bei Männern über 102 cm, bei Frauen über 88 cm mit einem extrem hohen Risiko für das Entstehen von Folgeschäden behaftet. Vor allem das Bauchfett scheint dabei eine besonders schlechte Rolle zu spielen!
Dies scheint damit zu tun zu haben, dass das viszerale Bauchfett besonders hormon- und stoffwechselaktiv ist. Es produziert in den Adipozyten zahlreiche Regulations- und Entzündungsfaktoren wie Adipokine oder Zytokine. Viele dieser Faktoren sind im weiteren Verlauf beteiligt am Entstehen und Beschleunigen von Folgeschäden wie Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und bestimmten Tumoren.
Extremes Übergewicht hat immer Konsequenzen, auch für die, die zunächst keinen Diabetes, Bluthochdruck oder keine Fettstoffwechselstörung haben. Nach einer Auswertung von 8 Studien mit über 61.000 Teilnehmern ergab sich: Stoffwechselgesunde (BMI ≥ 30 kg/m²) hatten in einem Zeitraum von mindestens 10 Jahren ein deutlich höheres Risiko, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden, ohne daran zu sterben, im Vergleich zu normalgewichtigen Stoffwechselgesunden.
Mit steigendem Body-Mass-Index erhöhten sich Blutdruck, Taillenumfang und Insulinresistenz, das gute Cholesterin(HDL-Cholesterin) war gefallen, und zwar bei Stoffwechselgesunden, aber auch bei Stoffwechselkranken. In Amerika stehen Adipositas und Übergewicht an zweiter Stelle der Ursachen für einen vermeidbaren Tod – insgesamt etwa 300.000 Todesfälle pro Jahr!
Die Sterblichkeit nimmt gerade dann zu, wenn das Übergewicht durch vermehrtes Bauchfett bedingt ist. Die Lebenserwartung eines gering adipösen Menschen kann so um 2 bis 5 Jahre, die eines 20- bis 30-jährigen Mannes mit einem BMI über 45 kg/m² sogar um 13 Jahre verkürzt sein. Hauptursachen für das Entstehen von Übergewicht sind vererbte Faktoren sowie entsprechende Verhaltensmuster, Lebensgewohnheiten und Umwelteinflüsse – deren Wechselwirkung wir heute noch nicht genau kennen.
Hyperkalorische Ernährung und Bewegungsmangel sind allerdings beeinflussbare Risikofaktoren. Hier besteht also der größtmögliche Ansatz für eine später zu verfolgende Therapie. Zur Adipositas kommt es in der Regel dann, wenn langfristig eine positive Energiebilanz besteht: Das heißt, es wurden zu viele Kalorien aufgenommen, bei Bewegungsmangel und gleichzeitiger vererbter Anlage.
Das Übergewicht, die krankhafte Adipositas, ist auch ein wichtiger treibender Faktor für die Entstehung des Metabolischen Syndroms, welches eng mit der Entstehung sowohl von Typ-2-Diabetes als auch mit der Entstehung von Gefäßschäden mit dem besonderen Risiko eines Herzinfarktes, Schlaganfalles und der großen Amputation verbunden ist. Merke: Fettverbrennung ist nicht gleich Fettabbau! Fettabbau geschieht erst dann, wenn die Energiebilanz pro Tag bzw. Woche negativ ist.
Entscheidend für eine erfolgreiche Behandlung einer Adipositas ist das Verständnis für den Betroffenen und auch das Wissen darüber, dass nicht jedes “krankhafte Übergewicht” heilbar ist. In vielen Fällen ist auch nicht “Heilung” das Ziel, sondern das Vermeiden einer weiteren Gewichtszunahme, eventuell Gewichtsabnahme mit Verbesserung der Lebensqualität und vor allem der Risiken für Folgeschäden.
Es ist nicht sinnvoll, gegenüber den Betroffenen im Zusammenhang mit zunehmendem Übergewicht von Schuld zu sprechen – viel sinnvoller ist eine geduldige, ehrliche Aufklärung und das Aufzeigen von Behandlungs-Möglichkeiten, die der Betroffene auch mittragen kann und will.
Therapeutisch sinnvoll ist häufig eine Kombination von Medikamenten, begleitender Verhaltenstherapie, Ernährungsumstellung, ggf. auch eine Psychotherapie und als Option manchmal auch eine Operation wie Magen-Bypass oder Magenband.
von Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist/Angiologe/Diabetologe, Chefarzt Deegenbergklinik
sowie Chefarzt Diabetologie Klinik Saale (DRV-Bund)
Deegenbergklinik, Burgstraße 21,
97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71/8 21-0, E-Mail: schmeisl@deegenberg.de
Klinik Saale, Pfaffstraße 10,
97688 Bad Kissingen, Tel.: 09 71/8 5-01
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2015; 64 (11) Seite 34-37
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