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Bei der Behandlung eines Diabetes kann es passieren, dass die Zucker-Werte zu tief sinken. Warum das so ist, wie Menschen eine Unterzuckerung spüren und wie man zu niedrige Werte behandelt, erfahren Sie hier im Diabeteskurs.
Ganz einfach ausgedrückt ist bei einer Unterzuckerung zu wenig Zucker (Glukose bzw. Traubenzucker) im Blut. Die Unterzuckerung heißt fachsprachlich Hypoglykämie; hypo ist griechisch und bedeutet unter, glyk kommt ebenfalls aus dem Griechischen und heißt süß, und ämie, auch aus dem Griechischen, heißt Blut.
Die Definition der Unterzuckerung ist weltweit nicht einheitlich. Auch die Anzeichen für eine Hypoglykämie können bei jedem Menschen bei unterschiedlich niedrigen Blutzucker-Werten auftreten. Einige merken z. B. schon Anzeichen bei etwa 70 bis 80 mg/dl (3,9 bis 4,4 mmol/l), andere erst bei 50 mg/dl (2,8 mmol/l). Es kann auch passieren, dass man sich schon bei 90 bis 100 mg/dl (5,0 bis 5,6 mmol/l) unterzuckert fühlt – wenn man über eine lange Zeit sehr hohe Blutzucker-Werte hatte oder wenn der Blutzucker sehr schnell aus großer Höhe absinkt. Es gibt dennoch ein Stufen-Schema für die Definition der Hypoglykämie (siehe Tabelle rechts). Danach beginnt eine leichte Unterzuckerung bei einem Blutzucker-Wert von 70 mg/dl (3,9 mmol/l).
Etwa ab diesem Wert beginnt die Leber eines Menschen, Zucker ins Blut abzugeben – dieser Vorgand wird als “Gegenregulation” bezeichnet. Diese Gegenregulation geschieht bei jedem Menschen automatisch, indem “Notfall-Hormone” wie Glukagon, Adrenalin, Noradrenalin, Kortison und Wachstums-Hormon ins Blut abgegeben werden. Diese Hormone sorgen u. a. dafür, dass die Leber Zucker aus ihren Speichern abgibt.
Die Konzentration der Glukose im Körper wird in der Regel bei Menschen durch ein komplexes System konstant gehalten. Normalerweise befindet sich im menschlichen Blut eine Zucker-Konzentration zwischen etwa 70 und 110 mg/dl (3,9 und 6,1 mmol/l). Um diese Konzentration aufrechtzuerhalten, wird z. B. bei einem Zucker-Anstieg nach dem Essen innerhalb weniger Minuten Insulin aus den Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse ausgeschüttet und die Zucker-Produktion in der Leber wird gedrosselt. Bei einem Abfall des Blutzuckers unter etwa 70 mg/dl (3,9 mmol/l) wird durch die bereits genannte Gegenregulation über Glukagon und Noradrenalin die Zucker-Ausschüttung und die Zucker-Neubildung innerhalb von wenigen Minuten gesteigert. Glukagon kommt ebenfalls aus der Bauchspeicheldrüse, und zwar aus den Alpha-Zellen, die durch einen niedrigen Zucker-Wert stimuliert werden. Das wichtigste Hormon zu Beginn der Unterzuckerung ist das Glukagon – Noradrenalin, das aus den Nebennieren stammt, tritt erst in Aktion, wenn die Glukagon-Reserven in den Alpha-Zellen der Bauchspeicheldrüse erschöpft sind. Glukagon stimuliert in erster Linie die Leber, Zucker aus ihren Speichern (als Glykogen bezeichnet) abzugeben, während Noradrenalin eher den Zucker-Verbrauch hemmt. Die weiteren gegenregulatorisch wirkenden Hormone wie Kortisol und Wachstums-Hormon reagieren mit einer zeitlichen Verzögerung in der Weise, dass sie den Zucker-Verbrauch hemmen und die Zucker-Neubildung in der Leber stimulieren. Unterstützend wirken können hier auch die Nieren, die ebenfalls Zucker neu bilden können.
Sinkt die Zucker-Konzentration im Körper unter die oben genannten kritischen Werte ab, wird das autonome Nervensystem (Eingeweide-Nervensystem) aktiviert, die gegenregulatorischen Hormone werden ausgeschüttet. In der Folge kommt es zu den typischen Symptomen wie Schweiß-Ausbruch, Zittern, schneller, heftiger Herzschlag, Heißhunger, Blässe und Unruhe. Man nennt diese Symptome auch autonome Symptome, weil sie nicht unserem Willen unterliegen.
Bei einem weiteren Abfall der Zucker-Konzentration unter 50 mg/dl (2,8 mmol/l) tritt ein Mangel an Zucker im Gehirn auf. Dadurch können Verwirrtheit, Müdigkeit, Schwindel, Sprach-Störungen, Kopfschmerzen, Bewusstseins-Trübung und im schlimmsten Fall ein Krampfanfall entstehen. Dies nennt man auch neuroglykopenische Symptomatik; dieser Begriff stammt ebenfalls aus dem Griechischen: neuro heißt Nerv, glyksüß und penieMangel.
Die Anzeichen des Beginns einer Hypoglykämie (leichte und mittelschwere Unterzuckerung) durch gegenregulatorische Hormone können sein:
Die Anzeichen eines Zucker-Mangels im Gehirn (schwere Hypoglykämie) können sein:
Für das Auftreten einer Unterzuckerung bei Vorliegen eines Diabetes gibt es verschiedene Ursachen, z. B.:
Eine Hypoglykämie-Wahrnehmungs-Störung ist definiert als eine Störung, bei der die Anzeichen für einen Zucker-Mangel im Gehirn auftreten, bevor die typischen Warn-Symptome durch die Anzeichen einer Gegenregulation zu spüren sind. So fehlt das Zeit-Fenster, in dem man noch reagieren und die Unterzuckerung behandeln kann – sodass man rasch in eine schwere Unterzuckerung, oft mit Bewusstlosigkeit, rutscht, ohne es zu bemerken.
Dies tritt häufig nach vieljähriger Diabetes-Dauer auf, aber auch, wenn man seine Zucker-Werte bewusst ständig in einem sehr niedrigen Bereich hält. Etwa 60 Prozent der Typ-1-Diabetiker haben nach langjähriger Dauer eine solche Wahrnehmungs-Störung, aber auch bei Typ-2-Diabetikern liegt sie in etwa 40 Prozent der Fälle vor, was besonders problematisch ist bei sehr alten Menschen mit Typ-2-Diabetes.
Unterzuckerungen treten nicht nur bei Menschen mit Diabetes auf. Werden bei Menschen ohne bekannten Diabetes Blutzucker-Werte im Bereich von 54 bis 63 mg/dl (3,0 bis 3,5 mmol/l) nachgewiesen und es bestehen entsprechende Symptome, muss die Ursache dieser Werte abgeklärt werden.
Das Insulinom, ein Insulin-produzierender Tumor der Bauchspeicheldrüse, kann Unterzucker verursachen. Es ist aber sehr selten: Nur 4 von 1 Million Menschen haben ein Insulinom. Aber auch bei einem krankhaft verstärkten Ausscheiden von Zucker im Urin (renale Glukosurie) und bei einer speziellen Erkrankung der Nebenniere (Morbus Addison) kann es zu Unterzuckerungen kommen. Unterzuckerungen, die unmittelbar nach dem Essen auftreten, können auch verursacht sein durch eine Leberzirrhose, Krebs-Erkrankungen, einen Mangel an Glukokortikoiden (z. B. Kortisol) und durch eine Blut-Vergiftung (Sepsis).
Nach sehr großen Kohlenhydrat-Mengen, die auf einmal gegessen werden, kann es reaktiv durch vermehrte Insulin-Ausschüttung zu Symptomen einer Unterzuckerung kommen. Auch nach Magen-Darm-Operationen zum Abnehmen (bariatrischen Operationen) kann der Zucker aus der Nahrung sehr schnell aufgenommen werden, sodass reaktiv zu viel Insulin produziert und abgegeben wird.
Man unterscheidet die Behandlung einer leichten, einer mittelschweren und einer schweren Hypoglykämie.
Bei einer leichten Hypoglykämie sollten sofort schnell wirksame Kohlenhydrate wie Traubenzucker, Apfelsaft oder Limonade aufgenommen werden. Anschließend sollten die Zucker-Werte überwacht werden, um sofort zu erkennen, wenn die Werte erneut abfallen – um direkt gegensteuern zu können.
Bei einer mittelschweren Hypoglykämie sollten ebenfalls sofort schnell wirksame Kohlenhydrate aufgenommen werden, aber dann auch sofort noch langsam wirkende Kohlenhydrate. Dies kann z. B. eine Scheibe Brot mit Butter sein, ein Frucht-Joghurt oder Schokolade. Sollte eine Hauptmahlzeit unmittelbar bevorstehen, kann mit dem Essen der Kohlenhydrate der Hauptmahlzeit begonnen werden, statt extra lang wirksame Kohlenhydrate zu essen.
Bei einer schweren Hypoglykämie ist Fremdhilfe erforderlich. Die Betroffenen können nicht mehr selbst Entscheidungen treffen, unter Umständen sind sie sogar bereits bewusstlos. In diesem Fall ist es, wie es von der Ersten Hilfe bekannt ist, wichtig, den Betroffenen in die stabile Seitenlage zu bringen, um ein Verschlucken zu verhindern. Niemals sollte einem Bewusstlosen etwas zu trinken oder zu essen gegeben werden. Wenn vorhanden, kann Glukagon als Nasenpulver wie ein Nasenspray (Baqsimi) oder zum Spritzen (GlucaGen HypoKit) eingesetzt werden. Nach der Behandlung einer Hypoglykämie sollte unbedingt nach der Ursache gesucht werden.
Erschienen in: Diabetes-Journal, 2022; 71 (7) Seite 28-32
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