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Nachdem ich schon 2013 und 2014 beim Hamburger Triathlon in der Sprintdistanz am Start war, sollte man meinen, dass ich bei diesem Wettkampf so langsam ein routinierter alter Hase bin. Fehlanzeige! Auch bei meinem dritten Start gab es eine ganze Menge Überraschungen. Aus sportlicher Sicht war ich recht gut auf die 500 Meter Schwimmen, 22 Kilometer Radfahren und 5 Kilometer Laufen vorbereitet: Ich besitze inzwischen ein Rennrad, mit dem man deutlich fixer als mit einem 8-Gang-Tourenrad unterwegs ist. Und ich habe in einem Kraulkurs meine Abneigung gegen das Ausatmen unter Wasser abgelegt, was meiner Schwimmtechnik auch beim Brustschwimmen zugutekommt. Zumindest hatte mir meine Generalprobe exakt eine Woche vor dem Triathlon die Gewissheit verschafft, dass ich das Ding schon schaukeln würde. So ein kompletter Testlauf hilft mir psychologisch, ist aber auch für meine vierte Disziplin „Diabetesmanagement“ sehr hilfreich, denn im Laufe eines Jahres lässt sich mein Diabetes immer einige Veränderungen einfallen, so dass mir meine Erfahrungen vom letzten Jahr in dieser Saison nur bedingt weiterhelfen.
Bei meiner Generalprobe hatten die Zuckerwerte perfekt mitgespielt: Vor dem Schwimmstart pimpte ich meine 111 mg/dl (6,2 mmol/l) mit 2 KE in Form eines selbstgemachten Erdbeer-Milchshakes, nach 500 Meter Brust in 13 Minuten lag der Wert dann bei 124 mg/dl (6,9 mmol/l), perfekt. Fürs Radfahren füllte ich mir 2 KE Saftschorle und strampelte die 22 Kilometer in 47 Minuten. Danach lag der Zuckerwert nur noch bei 75 mg/dl (4,2 mmol/l), also spülte ich drei Plättchen Traubenzucker mit dem Rest Saftschorle aus meiner Trinkflasche runter und fühlte ich mich fit für die letzte Etappe, nämlich 5 Kilometer Laufen. Das klappte ohne Gehpause und mit einem Tempo von durchschnittlich 6:44 Minuten pro Kilometer. Der Zuckerwert lag am Ende der Generalprobe bei 121 mg/dl (6,7mmol/l) – großartig.
Der erfolgreiche Testlauf machte mich allerdings ein bisschen übermütig, so dass ich tatsächlich am Abend vor dem Triathlon ziemlich ehrgeizige sportliche und Zuckerziele auf meinem Blog veröffentlichte. Ich wollte tatsächlich die Schwimmstrecke (immerhin schaukeliges Freiwasser ohne Beckenrand zum Abstoßen zwischendurch…) in 15 Minuten und die Radstrecke (anders als meine Heimrunden mit einem deutlichen Anstieg an der Hamburger Elbchaussee) in 43 Minuten schaffen. Fürs Laufen peilte ich 33 Minuten an – zusammen mit etwas mehr Disziplin und Konzentration in der Wechselzone wollte ich also den Triathlon in insgesamt 1:45 Stunden schaffen. Auch für meine Zuckerwerte hatte ich ehrgeizige Pläne: Ich wollte morgens mit einem Wert von 120 mg/dl (6,7 mmol/l) aufwachen, etwas weniger Insulin fürs Frühstück spritzen und dann um 10:04 Uhr mit einem Wert von 160 mg/dl (8,9 mmol/l) ins Wasser zum Schwimmstart springen. Dann sollte der Zuckerwert nach dem Schwimmen etwa bei 110 mg/dl (6,1 mmol/l) liegen. Mit 1-2 KE in der Wechselzone und einer Trinkflasche mit Saftschorle (2 KE) für unterwegs wäre ich perfekt fürs Radfahren gerüstet. Danach sollte sich mein Zuckerwert irgendwo zwischen 140 und 150 mg/dl (7,8 und 8,3 mmol/l) bewegen, mit denen ich dann für die letzte Etappe einfach würde loslaufen können. Wegen meines Schlusssprints rechnete ich mit einem Zuckerwert von etwa 180 mg/dl (10,0 mmol/l) im Zielbereich.
Es kam ganz anders als geplant. Zum einen lag mein Nüchternzuckerwert ausnahmsweise bei leicht erhöhten 163 mg/dl (9,1 mmol/l). Na gut, nicht so tragisch, ich reduzierte mein Frühstücksinsulin also nicht ganz so drastisch wie gedacht. Die erste richtige Panne war organisatorischer Art: Mein Mann und ich hatten schon den größten Teil der 30 Kilometer von Elmshorn nach Hamburg zurückgelegt, als er mich ganz nebenbei fragte, wo ich denn meinen Transponder habe. Das sind kleine elektronische Chips, die man mit einem Klettband am Fußgelenk befestigt und mit denen am Start, an den Wechselzonen, an den Wendepunkten und im Ziel die Zeiten genommen werden. Ohne Transponder kein Start. Leider lag mein Transponder zu Hause auf dem Wohnzimmerteppich – versteckt unter einem Haufen von Werbeflyern, die ich ebenfalls im Starterbeutel gefunden hatte. Wir drehten um und holten den Transponder – und auch die obligatorische Badekappe, die ich ebenfalls nicht mit eingepackt hatte. Ich war meinem Mann unendlich dankbar, dass er immer so großen Wert auf ausreichenden Zeitpuffer legt, und schwor mir, mich nie wieder über ihn lustig zu machen, wenn er mal wieder eine halbe Stunde früher losfahren möchte, als ich es selbst nach sehr großzügiger Kalkulation tun würde. Wir kamen zum Glück rechtzeitig in Hamburg an, und ich hatte ausreichend Zeit, mit meinem Fahrrad, meinem Helm, meinen Schuhen, meinem Diabetes-Täschchen (mit Libre-Lesegerät sowie Insulinpen und Blutzuckermessgerät für den Notfall), meinen Kohlenhydrat-Reserven und meinen Trinkflaschen in die Wechselzone einzuchecken.
Eine Stunde vor dem Schwimmstart lag mein Zuckerwert bei 113 mg/dl (6,3 mmol/l), so dass ich vorsorglich einen Müsliriegel (1 KE) futterte, um auf sichere 160 mg/dl (8,9 mmol/l) zu gelangen. Allerdings waren zu dem Zeitpunkt offenbar noch nicht alle verzögerten Kohlenhydrate meines Frühstücks im Blut angekommen (Quark mit Chiasamen und Obst ist in diesem Punkt ein ziemlicher Spätzünder). Oder die Aufregung und der damit verbundene Adrenalinspiegel ließen den Zuckerwert ansteigen. Oder oder oder, wer weiß das schon immer so genau? Jedenfalls ging ich anders als geplant letztlich mit 214 mg/dl (11,9 mmol/l) an den Start – ein ungemütlicher Wert, den ich aber angesichts der anstehenden sportlichen Herausforderung nicht korrigieren wollte, um nicht zu unterzuckern. Die Alster hatte mit knapp 22 Grad eine angenehme Temperatur, doch ich brauchte tatsächlich ein gutes Drittel der Strecke, um in einen guten Schwimm- und Atemrhythmus hineinzufinden. Ich war zwar mit 15:48 Minuten nicht so schnell, wie ich es mir leichtsinnigerweise vorgenommen hatte, aber doch etwas schneller als in den beiden Vorjahren.
Beim Schwimmausstieg kam es dann zu Panne Nummer 2. Denn leider rutschte ich auf den glitschigen Steintreppen aus, die hinauf zum Rathausmarkt führen. Und zwar, weil ein Sportfotograf direkt am Ausstieg regelrecht auf die Athleten lauerte und mir aus nächster Entfernung direkt ins Gesicht blitzte. Genau in dieser Schrecksekunde geriet ich ins Straucheln und stieß mir ein paar Zehen des linken Fußes an der Stufenkante. Das tat weh, fühlte sich zum Glück aber nicht nach einer ernsten Verletzung an. In der Wechselzone warteten mein Helm, Socken und Schuhe, meine Startnummer und mein Libre-Lesegerät auf mich. Der Wechsel klappte ohne irgendein Malheur – anders als 2014, als ich beinahe vergessen hätte, meinen Helm aufzusetzen und ihn mir dann erst verkehrt herum auf den Kopf gestülpt hatte, um mich eine ganze Weile lang zu wundern, warum sich der Verschluss nicht einklicken lässt. Immerhin.
Allerdings hatte sich an meinem hohen Zuckerwert nichts getan, er lag immer noch bei 207 mg/dl (11,5 mmol/l). Ich nahm daher keine Kohlenhydrate zu mir und klemmte statt der Trinkflasche mit Saftschorle lieber die zweite Trinkflasche mit schlichtem Wasser in den Halter an meinem Rennrad. Das Libre-Lesegerät steckte ich in die Rückentasche meines Triathlon-Trikots, damit ich ab jetzt auch unterwegs meinen Zucker im Blick haben konnte. Der ließ sich allerdings auch von der zweiten sportlichen Belastung überhaupt nicht beeindrucken und dümpelte beinahe bis zum Ende der 22 Kilometer langen Radstrecke knapp unter 200 mg/dl (11,1 mmol/l) herum. Auf 22 Radkilometern hat man ein wenig Zeit, über die Gründe für so einen seltsam hohen Zuckerwert nachzudenken. In meinem Fall genau 48:37 Minuten lang. Meine Zehen schmerzten ein wenig, und prompt meldete sich mein Schweinehund zu Wort: „Bestimmt sind die Zehen gebrochen! Wegen der Schmerzen wird jetzt Adrenalin ausgeschüttet, das deinen Zucker ansteigen lässt! Anders lässt sich der konstant hohe Zucker nicht erklären! Und mit gebrochenen Zehen kannst du auf keinen Fall 5 Kilometer laufen! Melde dich in der Wechselzone lieber gleich bei den Sanitätern!“ (Mein Tipp an alle Sportler: Lasst euch nicht von eurem Schweinehund über die Schulter schauen, wenn ihr euch in Sachen Diabetes weiterbildet. Er sammelt nur wissenschaftlich fundierte Argumente, mit denen er euch auf die Couch locken kann!)
Es gelang mir schließlich, mit meinem Schweinehund einen Kompromiss auszuhandeln: Nach dem Ende der Radstrecke musste ich noch etliche hundert Meter in der Wechselzone mit dem Fahrrad an der Hand laufen, bevor ich das Fahrrad an meiner Wechselbox einhängen und in Richtung Laufstrecke würde starten können. „Also, lieber Schweinehund, ich weiß deine Fürsorge zu schätzen. Doch wenn ich die paar hundert Meter in der Wechselzone ordentlich laufen und meine Zehen normal abrollen kann, dann sind sie ganz sicher nicht gebrochen. Und dann wird gelaufen, basta.“ Und tatsächlich, das Laufen bereitete mir keine ernsthaften Probleme. Auch der Zuckerwert bewegte sich mit 169 mg/dl (9,4 mmol/l) (bei sinkender Tendenz) endlich wieder in verträglicheren Regionen. Auf der 5 Kilometer langen Laufstrecke spürte ich meine geprellten Zehen zwar ein wenig, doch ich konnte die Strecke ohne Gehpause laufen und am Ende beim Zieleinlauf auf dem Hamburger Rathausmarkt noch einen phänomenalen Schlusssprint hinlegen. Der pushte meinen Zuckerwert zwar wieder hoch auf über 200 mg/dl (11,1 mmol/l), doch er bescherte mir auch ein geniales Finisher-Foto. Insgesamt hatte ich 1 Stunde 49:22 Minuten für den Triathlon gebraucht. Knapp 7 Minuten weniger als noch im Vorjahr. In sportlicher Hinsicht also durchaus erfolgreich – auch wenn ich an meine etwas aberwitzigen Erwartungen vom Vorabend des Wettkampfes nicht heranreichen konnte.
Was den Zucker angeht, war der Wettkampf dieses Jahr allerdings gänzlich anders verlaufen: Ich hatte tatsächlich den gesamten Triathlon bestritten, ohne irgendwelche zusätzlichen Kohlenhydrate zu mir zu nehmen. Offenbar hatte sich mein Körper während der gesamten sportlichen Belastung aus seinen Reserven bedient. Die wollten dann erst knapp 3 Stunden nach dem Zieleinlauf wieder aufgefüllt werden: Da sank der Zuckerwert dann auf unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l), und ich futterte bis zur Schlafenszeit noch insgesamt 6 KE, ohne auch nur einen Tropfen Insulin dafür zu spritzen. Es bleibt also dabei: So ein Triathlon zieht mächtig Zucker – doch wann er sich ihn zieht, scheint jedes Jahr aufs Neue ein kleines Glücksspiel zu sein.
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