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Bis ihr eine Einladung ins Trainingslager des Team Novo Nordisk ins Haus flatterte – dem weltweit ersten und einzigen Radprofi-Team, dem nur Typ-1-Diabetiker angehören.
Meine Reise zu den Radprofis führt mich von Hamburg via Barcelona nach Alicante, erst kurz vor Mitternacht kann ich im Hotel einchecken. Am nächsten Morgen geht es bereits um 7 Uhr morgens los: Gemeinsam mit anderen Journalisten aus Großbritannien und Italien werde ich zu einem anderen Hotel gefahren, dem Dreh- und Angelpunkt des Trainingslagers des Teams Novo Nordisk. Auf uns wartete ein ereignisreicher Tag mit einem genau getakteten Zeitplan.
Während der Novo-Nordisk-Manager Carl Bilbo (er trägt übrigens den schönen englischen Titel „Corporate Vice President Commercial Planning“, den man nur schwer ins Deutsche übersetzen kann) uns über die Kampagne „Changing Diabetes“ seines Unternehmens berichtet, schielen alle Beteiligten immer wieder durch die Fenster nach draußen. Anders als in Alicante zu dieser Jahreszeit üblich, regnet es ohne Unterlass. Auch als Phil Southerland, einer der Gründer des Radprofi-Teams aus lauter Typ-1-Diabetikern, uns erzählt, wie es zur Kooperation mit Novo Nordisk kam, bleibt es mit Regen und 7 Grad Celsius kalt und ungemütlich. Doch weder für uns Journalisten noch für die Radprofis zählt das als Ausrede: Wenn auf dem Trainingsplan „lockere zweistündige Ausfahrt“ steht, dann schwingen sich die Jungs eben auf ihre Räder, was auch immer Petrus für Pläne hat.
Die Radprofis bereiten sich also im Teambus auf ihre Ausfahrt vor und beantworten dort ganz ohne Worte meine erste Frage: „Trinken Rennradprofis tatsächlich so viel Espresso?“ Es ist tatsächlich mehr als nur ein Klischee: Bevor die Radsportler zu ihrer Tour starten, läuft die Espresso-Maschine zur Höchstform auf, und jeder der Fahrer kippt mindestens einen der kleinen Becher mit schwarzer Koffeinspritze. Dann endlich verlassen wir das Hotelgelände: die Radprofis auf ihren Supergeschossen, wir Journalisten in zwei Teamwagen, die per Funk miteinander in Kontakt sind und die Radsportler bei jeder Ausfahrt begleiten. Sie fahren im Pulk, werden immer wieder von Autos überholt. Die etwa 65 Kilometer lange Strecke bietet Aussicht auf zerklüftete Steilhänge, malerische kleine Bergdörfer, viele Steigungen und Kurven. Ob sie das Panorama bei ihrem Tempo überhaupt wahrnehmen? Auf flacher Strecke erreichen sie immerhin 35 bis 40 km/h, selbst an den Steigungen zeigt der Tacho noch immer 20 bis 25 Stundenkilometer an.
Ich frage unseren Fahrer Vassili Davidenko, seines Zeichens „Senior Vice President of Athletics & GM“ im Team Novo Nordisk, warum manche vorneweg radeln, andere im Pulk bleiben und wieder andere sich zurückfallen lassen. Vassili erklärt: „Jeder Fahrer hat einen ganz individuellen Trainingsplan und weiß, zu welchem Zeitpunkt der Ausfahrt er was trainieren soll.“ Auch sonst ist der Tagesablauf bis ins kleinste Detail geregelt: neben individuellen Trainingszielen auch die genaue Uhrzeit, wann abends das Licht ausgeschaltet und die Beine hochgelegt werden oder welche Ernährung die Athleten zu sich nehmen sollen – an Ruhe-, Trainings- oder Renntagen. Damit beim Berechnen der Kohlenhydrate und der erforderlichen Insulindosis für die Typ-1-Diabetiker so wenig wie möglich schiefgeht, findet man am Buffet der Radprofis vor jeder Warmhaltewanne eine digitale Küchenwaage: Die Athleten sind angehalten, alle Mahlzeiten genau abzuwiegen, um unnötige Glukoseschwankungen zu vermeiden. Und es sind immer Experten in Rufweite, die den Athleten bei Bedarf ganz genau sagen können, wie viele Kohlenhydrate in einer Portion Putencurry oder Milchreis enthalten sind, die heute am Buffet zur Auswahl stehen.
Im Profisport ist Diskriminierung leider immer noch an der Tagesordnung
Einem Freizeitsportler mag ein derart durchgeplanter Alltag als Tortur erscheinen. Doch für die Radprofis im Team Novo Nordisk ist er die Erfüllung eines Lebenstraums. Dass sie ihren Lebenstraum auch mit Typ-1-Diabetes weiterverfolgen können, haben sie dem Teamgründer Phil Southerland zu verdanken. Der Amerikaner war in seiner Collegezeit selbst eine Zeitlang Radprofi und begegnete dabei viel Unverständnis. Er erzählt mir: „Im Profisport ist Diskriminierung leider immer noch an der Tagesordnung. Viele talentierte Amateure bekommen gesagt, sie könnten aufgrund ihres Diabetes kein Profi werden.“ Genau diesen jungen Talenten will er mit dem Team Novo Nordisk Mut machen. „Bei unseren Trainingslagern für den Nachwuchs erleben wir viele Jugendliche, die sich lange für ihren Diabetes geschämt haben. Wenn sie im Trainingslager mit unserem Team zusammentreffen, dann haben sie zum ersten Mal Hoffnung und sind sogar ein bisschen stolz, Diabetes zu haben.“ Das nächste große Ziel des Teams Novo Nordisk heißt Tour de France 2021. Zum hundertsten Geburtstag des Insulins wollen die Radprofis sich für das bekannteste aller Radrennen qualifizieren. Phil Southerland weiß, dass dies ein ehrgeiziges Vorhaben ist: „Vor uns liegt eine Menge harter Arbeit, aber es ist trotzdem ein realistisches Ziel.“
Harte Arbeit, das bedeutet für einen Radprofi zum Beispiel, mehr als 250 Tage im Jahr nicht zu Hause zu sein. Denn bei 140 Renntagen in 25 Ländern sitzt man immer entweder irgendwo auf der Welt im Sattel – oder im Flugzeug, um das nächste Rennen zu erreichen und sich vor Ort ein paar Tage zu akklimatisieren. Drei- bis viermal im Jahr trifft sich das Team Novo Nordisk für jeweils zehntägige Trainingslager. Im Januar steht vor Saisonbeginn immer ein Trainingslager in der spanischen Region Alicante an der Costa Blanca auf dem Programm. Touristen meiden den Urlaubsort um diese Jahreszeit, die Radprofis haben das Hotel beinahe komplett für sich. Über 100 Menschen schwirren hier herum, denn neben den 18 Fahrern des Profiteams sind auch 19 Nachwuchsfahrer („Development Team“) und 12 Junioren zum Training nach Alicante gekommen. Dazu Ärzte, Trainer, Diabetesassistentinnen, Ernährungsexperten, Physiotherapeuten, Fahrradmechaniker, Mitarbeiter des Serviceteams und Manager. In beinahe jeder Ecke der Hotel-Lobby sieht man kleine Grüppchen zusammensitzen, die Trainings- und Ernährungspläne für die kommenden Tage durchsprechen.
Die Ausrüstung des Teams füllt zwei Konferenzräume und einen Teil der Garage
Die vielen Helfer im Hintergrund sorgen zum Beispiel dafür, dass die Rennräder der Fahrer samt Ersatzteilen und mobiler Reparaturwerkstatt immer rechtzeitig dort eintreffen, wo sie gebraucht werden. Das Serviceteam packt große Kartons mit lang- und kurzärmeligen Radtrikots, Fahrradhandschuhen, Helmen, gepolsterten und ungepolsterten Radhosen, Funktionsunterwäsche, Regenjacken, Fußgaloschen und mindestens ebenso viel Freizeitkleidung in unterschiedlichster Ausführung zusammen – alle Teile versehen mit dem Team-Logo und in verschiedenen Größen vorrätig. Die Ausrüstung des Teams für das Trainingslager füllt zwei große Konferenzräume des Hotels, die Fahrräder nehmen einen separaten Raum in der Tiefgarage in Beschlag. Im Hotelflur gibt es für die Athleten etwas, das mein Mann Christoph begeistert „Magic Box“ nennen würde: einen Behälter, in den man einfach seine Schmutzwäsche fallen lässt, die dann eine Weile später sauber, gefaltet und sortiert wieder im eigenen Zimmer liegt.
Paradiesische Zustände für Talente, deren Leidenschaft dem Sport gehört
Nach den Interviews, dem Rundgang durch das Trainingslager und der Trainingsfahrt schwirrt mir der Kopf. Ich hatte vorher nicht die geringste Ahnung, wie viel Aufwand im Profisport getrieben wird. Es muss toll sein, sich als Sportler weder um seine Ausrüstung noch um seine Unterbringung und schnöde Dinge wie Wäschewaschen Gedanken machen zu müssen. Für Ausnahmetalente, deren ganze Leidenschaft dem Sport gehört, sicherlich paradiesische Zustände. Umso besser, dass die Athleten im Team Novo Nordisk ihr Talent auch mit ihrem Typ-1-Diabetes vereinbaren können.
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