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Seit vielen Jahren begleitet Jan Kinder mit Diabetes in Form eines Schulungsprogramms. Autorin Karin Lange fasst zusammen, was sich seit der Erstauflage für junge Menschen mit Diabetes verändert hat. Auch die neue Auflage soll helfen, gut mit dem Diabetes aufzuwachsen.
Wie die Zeit vergeht!” – das wird allen Eltern deutlich, wenn aus dem kleinen Sohn, der gerade seinen ersten Tag im Kindergarten hinter sich gebracht hat, plötzlich ein junger Mann geworden ist, der sein Studium an einer Uni weit weg vom Heimatort aufnimmt.
Und als einer der Autorinnen der ersten Auflage des „Jan-Buchs“ war es ein besonderes Gefühl, von einem angehenden jungen Arzt zu hören, dass er bei der Manifestation seines Diabetes im Alter von sieben Jahren das „Jan-Buch“ mit seinen Diabetesberaterinnen durchgearbeitet hat. Es war der Anstoß dafür, später einmal Arzt werden zu wollen.
Seit der ersten Auflage des Kinderschulungsprogramms im Jahr 1989 ist die Hauptfigur Jan, ein zehnjährige Junge, bei dem im Alter von sechs Jahren ein Typ-1-Diabetes festgestellt worden war, zumindest in den vielen Abbildungen der Gleiche geblieben. Die Aquarellzeichnungen, die Jan und seine Freunde im Alltag mit ihrem Diabetes darstellten, wurden über die folgenden Auflagen beibehalten, obwohl viele Details nicht mehr dem aktuellen Stand entsprachen. Die Texte wurden dagegen mehrfach überarbeitet und neue Entwicklungen aufgenommen.
Ein glücklicher Umstand und das Engagement des Kirchheim-Verlags machte es nun für die vierte Auflage des „Jan-Buchs“ möglich, dass Steffi Krohmann (siehe Interview auf Seite 2), eine Grafikdesignerin aus Köln, den neuen Jan, Laura und deren Freunde zeitgemäß und farbenfroh gestalten konnte. Alle Beteiligten sind nun gespannt darauf, ob dieser Jan den jungen Lesern gefällt und ihnen helfen kann, möglichst gut mit dem Diabetes aufzuwachsen.
Bei der Rückschau auf die ersten drei Auflagen des Diabetesprogramms für Kinder wurde uns Autoren bewusst, wie viel sich für Jungen und Mädchen mit Typ-1-Diabetes seit 1989 zum Positiven gewandelt hat.
Davon möchten wir Ihnen hier berichten und damit zeigen, dass viele kleine Schritte zu eindrucksvollen Erfolgen geführt haben und sicher auch in Zukunft führen werden. Mitte der 80er-Jahre gab Prof. Dr. Peter Hürter den Anstoß, überhaupt über ein Schulungsprogramm für Kinder mit Diabetes und ausführliche Informationen für deren Eltern nachzudenken. Das war zur damaligen Zeit in Deutschland noch nicht üblich, und es gab kritische Stimmen, die fürchteten, dass Eltern und Kinder durch zu viel Diabeteswissen nur verunsichert würden.
Kinderdiabetologen aus verschiedenen Regionen Deutschlands (Dr. Toeller, Prof. Dr. Burger, Prof. Dr. Hürter, Dr. Jastram, Dr. Regling und Prof. Dr. Weber), ein Pädagoge (Dr. Haller) und eine Psychologin setzten dem entgegen, dass mehr Kenntnisse zu einem besseren Leben mit Diabetes beitragen und Ängste, z. B. vor Hypoglykämien, abbauen könnten. Sie setzten auf das, was man heute “Empowerment” nennt, d. h. die Befähigung, selbstverantwortlich für sich zu handeln.
Aber auch in der Autorengruppe gab es noch Ende der 80er-Jahre engagierte Auseinandersetzungen um die richtige Behandlung des Typ-1-Diabetes bei Kindern. Einige Autoren vertraten die Ansicht, dass die damals neu entwickelten Blutzuckermessungen für Eltern und Kindern nicht zumutbar seien. Die Methode sollte im Kinderschulungsprogramm deshalb nicht genannt werden.
Andere Autoren setzten sich dagegen vehement dafür ein, dass Kinder und Eltern selbst das Recht hätten, die eigenen Blutzuckerwerte zu kennen und diese für eine bessere Stoffwechseleinstellung zu nutzen.
Ebenso heftig wurde darüber diskutiert, ob es zumutbar sei, mehr als zweimal am Tag Insulin zu injizieren. Die eigenständige Berechnung der Insulindosis durch die Eltern wurde von einigen Fachleuten noch kritischer gesehen. Am Ende setzten sich die Befürworter der Blutzuckerselbstmessungen und der mehrfach täglichen Insulininjektionen durch.
Jan durfte seinen Blutzuckerwert selbst bestimmen und lernen, wie die Insulindosis an seinen Alltag angepasst werden kann. Aus heutiger Sicht ist kaum zu verstehen, wie es damals zu dieser ablehnenden Haltung gegenüber fortschrittlichen Technologien gekommen ist.
Andererseits stehen wir heute an dem Punkt, dass wir wieder für neue Techniken, z. B. die kontinuierliche Glukosemessung (CGM), kämpfen müssen, ohne dass immer gleich ausreichend Studien zur Effektivität vorliegen. Das war Anfang der 80er-Jahre beim ersten Einsatz der Blutzuckermessungen ähnlich. Ein wichtiger Unterschied war aber, dass die Blutzuckermessungen – anders als heute die CGM – für alle Patienten erstattet wurden.
In der vierten Auflage des „Jan-Buchs“ haben wir die CGM nach einigen Diskussionen noch nicht aufgenommen, weil sie leider nur extrem wenigen Kindern im Grundschulalter zur Verfügung steht. Wir hoffen aber, dass die gemeinsamen Bemühungen aller kinderdiabetologischen Teams dazu führen, dass Jan und viele andere Kinder diese Technologie bald nutzen dürfen. Dann wird sie selbstverständlich in der fünften Auflage besprochen werden.
Nächste Seite: Was es damals noch nicht gab und was es heute nicht mehr gibt. Und: Interview mit der llustratorin des „Jan-Buches“
Viele Hilfsmittel und Medikamente, die für Kinder mit Diabetes und ihre Familien heute selbstverständlich sind, standen Ende der 80er-Jahre noch nicht zur Verfügung. Beispielweise gab es noch keine Blutzuckermessgeräte, die zu Hause eingesetzt werden konnten. Stattdessen wurde ein recht großer Blutstropfen auf einen Teststreifen gesetzt, nach einer Minute abgewischt und dann nach einer weiteren Minute die Farbveränderung eingeschätzt. Das Ganze dauerte mehrere Minuten und war recht ungenau.
Sehr schnelle und auch sehr lang wirkende Analoginsuline waren noch nicht auf dem Markt. Und den allerersten Pen gab es nur für Normalinsulin. An der Entwicklung von Insulinpumpen wurde zwar schon gearbeitet, sie waren für Kinder aber noch in weiter Ferne.
In der zweiten Auflage (1997) hatte Jan ein Gerät zur Blutzuckerbestimmung, er konnte sich verschiedene Insuline mit unterschiedlichen Pens injizieren und er lernte, wie er sogar Süßigkeiten mit echtem Zucker genießen und passend Insulin spritzen konnte. Außerdem kam Laura (12) hinzu, die älteren Kindern erklärte, wie sie ihre Insulindosis selbst berechnen konnten. Damit war die intensivierte Insulintherapie mit mehreren Injektionen täglich zum Standard geworden. In der dritten Auflage (2005) kam noch die Insulinpumpe dazu.
Das Handy, mit dem Kinder und Eltern sich rasch über die passende Insulindosis verständigen können, gab es Anfang des Jahrtausends noch längst nicht in allen Familien.
Vor allem in der Ernährung gab es seit 1989 weitreichende Erleichterungen: Feste Diätpläne waren durch die flexible Berechnung der Insulindosen nicht mehr erforderlich. Schnellwirkende Analoginsuline führten dazu, dass Kinder nach der Insulininjektion nicht mehr eine halbe Stunde warten müssen, bis sie endlich etwas essen dürfen.
Das strenge Verbot zuckerhaltiger Nahrungsmittel gibt es längst nicht mehr, und Diabetiker-Produkte gehören der Vergangenheit an. Auch spezielle “Diabetiker-Kuchenrezepte” mit ganz wenigen Kohlenhydraten werden heute niemanden mehr begeistern.
Aus psychologischer Sicht haben sich Grundschulkinder in den letzten drei Jahrzehnten insgesamt nicht viel verändert. Ihr Verständnis ist noch immer geprägt davon, was sie sehen, anfassen und ausprobieren können. Abstrakte Zusammenhänge, beispielsweise die Insulinwirkung in ihrem Körper, können sie noch nicht so verstehen wie Erwachsene. Sie sind hier weiter auf die verlässliche Hilfe ihrer Eltern und anderer Betreuer angewiesen.
Ebenso sind sie noch überfordert, wenn sie immer an alles denken sollen, was ihren Diabetes betrifft. Auch hier sind die Eltern gefordert. Schließlich können Kinder im Grundschulalter Zeit und damit auch das Risiko von Folgeerkrankungen noch nicht verstehen. Sie benötigen Erwachsene, die sie einfühlsam und altersgemäß zur Behandlung ihres Diabetes positiv motivieren, statt mit schlimmen Konsequenzen in ferner Zukunft zu drohen.
Hier soll der neue wie der alte Jan – zusammen mit erfahrenen Schulungskräften – Kindern mit Typ-1-Diabetes und ihren Eltern helfen, selbstbewusst und hoffnungsvoll in die Zukunft zu schauen.
Hatten Sie, bevor Sie das „Jan-Buchs“ illustriert haben, schon einen Bezug zu Diabetes?
Für meine Abschlussarbeit habe ich zum Thema Autoimmunkrankheiten speziell bei Kindern recherchiert. Dabei habe ich im Gespräch mit Ärzten, Schulungspersonal und erkrankten Kindern recht viel Wissen zusammengetragen und in meinem Diplom zu Lernmaterialien umgesetzt. Ich habe auch eine Freundin mit Typ-1-Diabetes.
Für welche anderen Projekte arbeiten Sie?
Die meisten meiner Aufträge sind Illustrationen. Da zeichne ich beispielsweise für Kinderbücher, Puzzles und für Trickfilme, beispielsweise für die “Sendung mit der Maus” beim WDR. Für Agenturen gestalte ich Werbematerialien und mache Zeichnungen.
Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit?
Dass ich die Möglichkeit habe, in viele verschiedene Bereiche hineinzuschauen. Dabei kann ich immer neue Sachen entdecken, ausprobieren und lernen.
Kontakt: Leiterin Medizinische Psychologie, Medizinische Hochschule Hannover, E-Mail: Lange.Karin@Mh-Hannover.de
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2014; 7 (1) Seite 16-18
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