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Vor meiner Diabetes-Diagnose mit Anfang zwanzig hatte ich eine fast pathetische Vorstellung von einer Schwangerschaft. Ich verstand eine Schwangerschaft alleine als die Krönung der Liebe.
Alles, was ich von Schwangerschaften als Jungspund im Grunde mitbekam, war, dass Frauen sich verliebt monatelang die Bäuche streichelten und dann zu (temporären) Hausfrauen und Muttertieren mutierten.
Natürlich war ich aufgeklärt, aber im Grunde wusste ich nur, wie Kinder entstehen und wie man verhütet. Damals hatte ich noch keine Ahnung, dass es bei über 34 Prozent der kinderlosen Paare mit dem „Schwangerwerden“ nicht klappt und diese „Krönung der Liebe“ sich zu einer wahren Tortur und einem „Liebestöter“ entwickeln kann. (Quelle: Institut für Demoskopie Allensbach)
Wie wir wissen, können Komplikationen in Schwangerschaften auch mit dem Lebensalter der Mutter korrelieren. Dennoch sind die wenigsten unter uns im „biologisch idealen Schwangerschafts-Alter“ von 20 bereit, Kinder zu bekommen.
Als ich mit 30 Jahren das „durchschnittliche gebärfähige Alter“ durchbrach, wurde ich offen von meiner Diabetologin auf mögliche Schwangerschaftspläne angesprochen.
Das Gespräch mit meiner Diabetologin war sehr eindringlich. Meine Diabetologin rief mich zur Schwangerschaftsplanung auf. Mein HbA1c lag damals bei ~8%. Bei einer Schwangerschaft mit Diabetes solle das HbA1c über mindestens ein Quartal hinweg stabil bei ~7% liegen.
Bereits während der aktiven Schwangerschaftsplanung würde meine Diabetologin beginnen, eine Insulinpumpe und einen Glukose-Sensor für mich zu beantragen. Damit die Genehmigung sich nicht verzögere, solle ich im Vorfeld über mindestens drei Monate hinweg ordentlich Tagebuch führen.
Ich war damals ein ausgemachter Pumpengegner und von Glukose-Sensoren hatte ich überhaupt keine Ahnung. Die Vorstellung, über die Schwangerschaft und Stillzeit hinweg mit Kathetern etc. behaftet zu sein, machte mir Angst.
Ich hatte noch keine Ahnung, wie dringend ich die Gerätschaften in meiner Schwangerschaft benötigen würde. Ich ahnte nicht, wie vielen Blutzuckerschwankungen ich während der Schwangerschaft tatsächlich von Beginn an ausgesetzt wäre, und vor allem, wie exorbitant mein Insulinbedarf im Schwangerschaftsverlauf ansteigen sollte.
Außerdem sollte es mir unbeschreiblich viel Kummer bereiten, dass alle gesunden Menschen um mich herum – inklusive des Kindesvaters – mich als „Typ-1-Mutter“ für jede mögliche Komplikation verantwortlich machen würden.
Um Ostern 2014 herum – ich war mittlerweile 32 Jahre alt –, wurde ich von meinem Freund offensiv gefragt, wo sich unsere Beziehung hin entwickelt und ob ich mit meinem Diabetes gesunde Kinder bekommen könnte?
Es gab Zeiten, da hatte ich die klassische Wunschvorstellung von einem romantischen Heiratsantrag, bevor ich mit einer solchen Frage „liebestrunken“ konfrontiert werden würde. Stattdessen erklärte meine große Liebe mir, dass er unbedingt Kinder haben wollte, aber keinesfalls eine „Katze im Sack“ heiratet.
Jahrelang versteckte ich meinen Diabetes im Berufsleben und jetzt stieß ich auch noch privat auf Vorurteile. Mein Gefühlschaos und der Stich ins Herz waren unbeschreiblich.
Ich wollte auch Kinder, nur wann, wusste ich damals eigentlich noch nicht. Nun verspürte ich den Druck zu beweisen, dass ich sehr wohl gesunde Kinder gebären kann wie jede andere Frau auch. Die Vorstellung, jemanden, den ich liebe, zu verlieren, nur weil ich Diabetes habe, versetzte mich in Panik.
Heute weiß ich, wie irrsinnig das alles klingt. Doch manchmal ist man so in seiner Gefühlswelt gefangen, dass man es nicht schafft, über den „Tellerrand“ hinauszuschauen.
Ich machte sofort einen Termin bei meiner Diabetologin aus und diese unterzog mich erstmal verschiedenen Tests, die Diabetikerinnen vor Schwangerschaftsbeginn machen sollten. Dabei wurden meine Nieren und meine Netzhaut auf bereits bestehende Folgeschäden untersucht. Auch die Schilddrüse wurde auf eine mögliche Über- oder Unterfunktion getestet.
Anscheinend können sich diese Folgekrankheiten – genauso wie Bluthochdruck – in der Schwangerschaft noch verschlechtern. Solche Problematiken können Fehl- und Frühgeburten verursachen, weshalb zuckerkranke Frauen hier besonders gut aufpassen müssen.
Wie viele andere Frauen, die schwanger werden wollen, begann ich vorab mit der Einnahme von Tabletten mit Folsäure und Jod. Eine gute Versorgung mit Folsäure bis zum Abschluss des dritten Schwangerschaftsmonats soll das Risiko für einen „offenen Rücken“ beim Kind reduzieren.
Am schwersten fiel es mir, mein Blutzuckertagebuch rückwirkend auf drei Monate bei der Krankenkasse einzureichen, um die Insulinpumpe und den Glukose-Sensor zu beantragen.
Ich sollte später mit Schwangerschaftsbeginn innerhalb von drei Tagen nach „Kundtuung“ alle Gerätschaften von den entsprechenden Außendienstmitarbeitern ausgehändigt bekommen.
Meine Diabetologin leitete das damals alles für mich mit Nachdruck in die Wege. Obwohl ich nie dauerhaft schlechte Werte hatte, war ich von Beginn an tief beeindruckt, wie stark die Blutzuckerwerte sich durch die Pumpe verbessern ließen. Bis heute frage ich mich, warum das nicht einfach jedem Diabetiker angeboten wird.
In Teil 2 von Vivis Reihe „Das Privileg Schwangerschaft“ geht es um die erste Zeit mit Insulinpumpe und Glukose-Sensor und Blutzuckerschwankungen während der Schwangerschaft: Das Privileg Schwangerschaft – Teil 2
In Teil 3 von Vivis Reihe „Das Privileg Schwangerschaft“ geht es um die ersten Monate nach der Geburt und ihre Teilnahme an verschiedenen Studien zur Diabetes-Früherkennung: Das Privileg Schwangerschaft – Teil 3
Im 4. und letzten Teil von Vivis Reihe „Das Privileg Schwangerschaft“ geht es um ihre Erfahrungen beim Stillen und sie zieht ein Fazit ihrer beiden Schwangerschaften mit den 10 wichtigsten Fakten: Das Privileg Schwangerschaft – Teil 4
Auch in Friederikes Artikel „Diabetische Lebensphasen“ geht es um Gedanken über eine mögliche Schwangerschaft mit Typ-1-Diabetes.
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