Diabetes-Dialog über „Typ F“: So wichtig sind Familie und Freunde beim Diabetes-Management

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Diabetes-Dialog über „Typ F“: Die enorm wichtige Rolle von Familie und Freunden | Foto: MedTriX
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Diabetes-Dialog über „Typ F“: So wichtig sind Familie und Freunde beim Diabetes-Management

Familie und Freunde spielen als „Typ F“ bei Typ-1-Diabetes eine Schlüsselrolle und stehen daher auch beim aktuellen Diabetes-Dialog im Mittelpunkt. Denn wie Eltern, Geschwister und das weitere Umfeld Alltag, Teilhabe und Sicherheit ermöglichen und gestalten können, zeigt, dass mit Teamplay nahezu alles möglich ist.

Anlässlich des Weltkindertags rückte der Diabetes-Dialog am 20. September 2025 eine oft unterschätzte Größe beim Diabetes-Management – insbesondere für Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes – in den Mittelpunkt: den „Typ F – Family & Friends“. Gemeint ist damit das direkte soziale Umfeld von Menschen Diabetes.

Was bedeutet die Diagnose für Eltern, Geschwister, Freundeskreis und Schule? Ist eine Früherkennung möglich, damit es nicht zu Notfällen kommt? Und wie gelingt ein Alltag, in dem Teilhabe selbstverständlich bleibt? Darüber sprach Moderator Markus Appelmann mit der Autorin und Mutter Maren Sturny sowie mit Dr. Felix Reschke vom Kinder- und Jugendkrankenhaus auf der Bult in Hannover in der am Samstagvormittag ausgestrahlten Sendung, die auch nun noch als Auszeichnung jederzeit abrufbar ist.

Eine starke Initiative seit 20 Jahren: „Wissen was bei Diabetes zählt: Gesünder unter 7 PLUS“ und das Format „Diabetes-Dialog“

Seit 2005 setzt sich „Wissen was bei Diabetes zählt: Gesünder unter 7 PLUS“ dafür ein, Menschen mit Diabetes zu informieren, zu ermutigen und zu vernetzen. Das Unternehmen Sanofi als Initiator der Aufklärungsaktion fördert den Austausch zwischen Patientinnen und Patienten, Fachleuten und der Gesellschaft mit dem Ziel, gesundheitliche Chancengleichheit zu stärken.

Seit einigen Jahren wird im Rahmen der Initiative der „Diabetes-Dialog“ ausgestrahlt – ein Video-Cast, der zusammen mit dem Diabetes-Anker produziert wird und bei dem die Diabetes-Community durch Fragen während der Sendung aktiv mitwirken kann.

Die Aufzeichnung der gesamten Sendung sowie weitere Informationen zur Initiative und zum Thema Diabetes finden sich unter: www.gesuender-unter-7.de.

Diabetes kann in jedem Alter auftreten und kündigt sich an

Die Annahme, Diabetes betreffe nur ältere Menschen oder habe etwas mit „zu viel Süßigkeiten gegessen“ zu tun, ist ein noch immer verbreiteter Irrglaube. Die Autoimmunerkrankung Typ-1-Diabetes kann bereits ab dem ersten Lebensjahr auftreten. In Deutschland liegt das Durchschnittsalter bei der Erstdiagnose bei Mitte 20.

Häufig geht der manifesten Erkrankung eine stille Phase voraus: Das Immunsystem richtet sich gegen die insulin-bildenden Zellen der Bauchspeicheldrüse, ohne dass zunächst merkbare Symptome auftreten. Wenn diese Autoimmunreaktion weiter fortgeschritten ist und Beschwerden einsetzen, sind die Signale jedoch recht typisch: starker Durst, häufiges Wasserlassen, Müdigkeit, Gewichtsverlust. Unbehandelt kann es zur diabetischen Ketoazidose kommen – einer gefährlichen Stoffwechselentgleisung.

Diabetes-Dialog zum Thema „Typ F – Family & Friends“ hier direkt anschauen 

Eine dramatische Diagnose-Geschichte und ihre Folgen

Wie dramatisch der Verlauf sein kann, schildert Maren Sturny am Beispiel ihrer Tochter: Im Sommer 2019 wirkte das damalige Vorschulkind zunehmend schlapp, trank auffallend viel, musste ständig auf die Toilette und erbrach sich. In der Klinik folgte die Schockdiagnose: Typ-1-Diabetes mit schwerer Ketoazidose mit einem Blutzuckerwert über 900 mg/dl (50 mmol/l). „Bei uns wäre es zwölf Stunden später laut der Ärzte zu spät gewesen. Dann hätte man unsere Tochter nicht mehr retten können.“

Die Familie war gänzlich unvorbereitet – verstärkt durch den Irrtum, Typ-1-Diabetes sei eine reine Erbkrankheit und könne sie daher nicht betreffen. Tatsächlich haben nur etwa zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes Angehörige mit derselben Erkrankung. Für Sturny folgten eine Phase der Überforderung mit Schlafmangel und auch depressiver Verstimmung – ein Erfahrungshorizont, den viele betroffene Familien teilen.

Typ-1-Diabetes früher erkennen, damit es nicht zum Notfall kommt

Eine zentrale Botschaft des Gesprächs war daher: Typ-1-Diabetes lässt sich heute bereits in Vorstadien erkennen. Möglich sind genetische Risikoabschätzungen bereits im Neugeborenenalter sowie vor allem Antikörper-Screenings im Kindesalter.

In Deutschland erfolgt dies derzeit über Studienangebote wie das Fr1da-Netzwerk: In Bayern, Niedersachsen, Hamburg und Sachsen können Kinder zwischen knapp zwei und zehn Jahren per Fingerstich getestet werden. Ziel ist es, schwere Notfälle zu verhindern, Familien früh zu schulen und Zeit für das Erlernen sicherer Routinen zu gewinnen. Früherkennung ersetzt nicht die folgende Diabetes-Therapie – sie verschafft aber wertvolle Vorbereitungszeit.

Zurück ins Leben: Teilhabe ist kein Bonus, sondern selbstverständlich

Die Akuteinstellung der Stoffwechsellage erfolgt meist stationär, betreut von multidisziplinären Teams aus Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal, Diabetes- und Ernährungsberatung, Psychologie sowie Physio- und Sporttherapie. Anschließend geht es darum, die Behandlung in den individuellen Alltag zu integrieren.

Dr. Felix Reschke betont, dass Kinder mit Typ-1 ins Fußballtraining, ins Schwimmbad und mit auf Klassenfahrt gehören. Trotzdem berichten Familien immer wieder von Hürden: fehlende Schulassistenz, Unsicherheiten im Lehrer-Kollegium, pauschale Verbote für Aktivitäten und Klassenfahrten. „Das ist natürlich absolut falsch“, so Dr. Reschke, „wir möchten unbedingt, dass Kinder und Jugendliche mit Diabetes genauso integriert sind wie Kinder, die ohne Diabetes leben und genau die gleiche Teilhabe-Chance haben“, unterstreicht der Kinderdiabetologe.

Pubertät, „Dia-Müdigkeit“ und die Kunst des Loslassens

Wenn Kinder dann zu Teenagern werden, prallen häufig der für die Pubertät typische Drang zur Selbstständigkeit und die komplexe Therapie im Alltag aufeinander. Moderne Technologien wie Glukosesensoren liefern Werte in Echtzeit und per „Follower“-Funktion von Apps können Eltern diese live mitverfolgen. Das ist zwar praktisch, aber auch konfliktträchtig. Dr. Reschkes rät daher, eine Balance aus Vertrauen und Absprache zu finden und altersgerecht zu beraten.

Sturny plädiert für Pragmatismus: Unterstützen, wenn den jungen Patientinnen und Patienten mal die Kraft fürs Diabetes-Management fehlt; ohne Vorwürfe und erhobene Zeigefinger. Recht typisch sind zudem „Dia-müde“ Phasen, wie auch die Fragen der Zuschauenden aus der Diabetes-Anker-Community zeigten. Dann könne Hilfe aktiv angeboten werden („Ich ziehe das Insulin auf“, „Ich wechsele den Katheter“), damit Jugendliche die Verantwortung schrittweise übernehmen können. Und auch Fehler gehörten dazu – entscheidend sei, gemeinsam daraus zu lernen.

Was Familie und Freunde konkret tun können

Beiden Gästen war es wichtig, zu betonen: Menschen mit Typ-F-Diabetes sind idealerweise keine passiven Statisten, sondern aktive Mitspieler. Hilfreich sind Neugier ohne Vorurteile und die Bereitschaft, sich schulen zu lassen. Beispielsweise zu wichtigen Themen und Situationen wie Unterzuckerungen (Hypoglykämien, umgangssprachlich auch „Hypos“ genannt), wie man sie akut behandelt und was zu tun ist, wenn sie so schwer ausfallen, dass Betroffene nicht mehr ansprechbar sind und selbst handeln können.

Erwachsene, die Kinder betreuen, wie z.B. Lehrkräfte, Trainerinnen und Trainer oder Großeltern, sollte die Abläufe kennen, Notfall-Kontaktlisten bereithalten und sich zutrauen, im Zweifel aktiv zu handeln. Im Alltag entlasten Flexibilität, Improvisation und das Ernstnehmen der Bedürfnisse der Familie: Schlaf ist kostbar, Termine brauchen Puffer, offene Kommunikation verhindert Missverständnisse.

Wichtig ist zudem, Stigmatisierungen entgegenzuwirken und Diabetes-Wissen zu teilen, um aufzuklären. Fragen wie „Was spritzt du da? Sind das etwa Drogen?“ können zur Chance werden, kurz und sachlich zu erklären, was Insulin ist und warum es lebenswichtig für Menschen mit Typ-1-Diabetes ist.

Community-Blick und Selbstfürsorge

Viele Familien erleben weiterhin Ausgrenzung, etwa bei Ausflügen oder Klassenfahrten. Sturny und Dr. Reschke empfehlen daher, alles offen anzusprechen. Denn Aufklärung nimmt Ängste und Sichtbarkeit und baut Vorurteile ab. Zugleich gilt, dass Eltern nicht „perfekt“ sein müssen und Hilfe anzunehmen, etwa von Fachleuten, anderen Betroffenen oder dem Umfeld, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern vielmehr von Verantwortung.

Bewährt hat sich für Struny eine einfache Übung gegen Angst: Worst-Case-Szenarien durchzudenken, einen Notfallplan niederzuschreiben (wer ist erreichbar, wo liegt das Glukagon-Nasenspray) und Zuständigkeiten dafür zu klären. Mit wachsender Routine wächst die Sicherheit, sowohl bei den Kindern als auch den sie begleitenden Erwachsenen.

Kinder mit Diabetes sind „Superhelden“ und mit Teamplay ist nahezu alles möglich

Die ermutigende Schlussbotschaft von Dr. Reschke: Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes sind für ihn „Superhelden“, weil sie täglich eine komplexe chronische Erkrankung managen. Und sie brauchen Heldinnen und Helden an ihrer Seite, die sie dabei unterstützen.

Außerdem betont der Kinderdiabetologe, dass Offenheit gegen Stigmatisierung wirkt, dass Früherkennung wertvolle Zeit verschafft und dass volle Teilhabe das zentrale Ziel ist. Denn glückliche Kinder, die reiten, schwimmen, zelten und auf Geburtstage gehen, bewältigen ihr Diabetes-Management besser. Und Menschen mit Typ-F-Diabetes können diesen Rahmen schaffen – mit Empathie, Wissen und der Überzeugung, dass auch mit Diabetes fast alles möglich ist.


von Gregor Hess

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