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Wenn die Hormone ins Spiel kommen, ändert sich vieles. Welchen Einfluss die Pubertät auf die Diabeteseinstellung hat und welche Sorgen unbegründet sind, erklärt Dr. Nicolin Datz. Und sie gibt Tipps, wie Eltern und Kinder diese Zeit gemeinsam gut meistern können. Gut zu wissen: Nach der Pubertät beruhigt sich die Stoffwechsellage wieder.
Was heißt eigentlich Pubertät? Schlägt man in einem medizinischen Wörterbuch nach, findet man folgende Erklärung: „Pubertät wird der Lebensabschnitt genannt, in dem die Geschlechtsreifung stattfindet und im weiteren Verlauf der ausgewachsene fortpflanzungsfähige Körper entsteht“.
Hormonell gesehen kommt es in der Pubertät zur Ausschüttung von Geschlechtshormonen: Bei den Mädchen ist dies das Östrogen, bei den Jungen das Testosteron. Diese führen zu Veränderungen des menschlichen Körpers: zur Entwicklung der inneren und äußeren Geschlechtsorgane.
Diese Hormone haben neben ihren geschlechtstypischen Eigenschaften jedoch weitere Auswirkungen: Sie setzen die Insulinwirkung herab. Dies bedeutet, dass in der Pubertät verhältnismäßig MEHR Insulin notwendig ist, um eine gute Stoffwechsellage zu erreichen. Hinzu kommt, dass die Hormone Östrogen und Testosteron in sehr schwankender Konzentration im Körper kreisen und ihre Wirkung somit nicht vorhersehbar ist – folglich kommt es zu stärker schwankenden Blutzuckerwerten.
Neben den Geschlechtshormonen wird in der Pubertät ein weiteres Hormon vermehrt ausgeschüttet: das Wachstumshormon. Es ist verantwortlich für den Wachstumsschub in dieser Phase des Lebens. Daneben führt es jedoch auch zu einer Herabsetzung der Insulinwirkung. Das Wachstumshormon wird regulär frühmorgens ausgeschüttet und führt somit zu erhöhten Blutzuckerwerten beim Aufstehen, dies nennt man auch Dawn-Phänomen (= Sonnenaufgangs-Phänomen). Dieses Problem beklagen viele Jugendliche, wenn sie in der Pubertät sind.
Ein weiterer Faktor, der hier erschwerend hinzukommt, ist, dass das Wachstumshormon pulsatil (d. h. nicht regelmäßig, sondern schwankend) ausgeschüttet wird. Die Blutzuckerwerte schwanken also und sind nicht regelmäßig jeden Morgen erhöht. Die Phase des stärksten Wachstums und somit der stärksten Sekretion von Wachstumshormon liegt bei Jungen etwa im Alter von 14 Jahren, während Mädchen im Jahr vor der ersten Regelblutung ihren Wachstumsspurt haben. In diesen Phasen sind dann auch die Insulindosen zur Nacht entsprechend anzupassen.
Die Dosierung des Basalinsulins zur Nacht wird somit zu einer Herausforderung. Oft muss auf ein anderes, länger wirkendes Insulin ausgewichen werden, das dann insbesondere die hohen Morgenwerte abfangen kann. Bei Kindern mit Insulinpumpentherapie muss in diesem Fall die Basalrate in den frühen Morgenstunden entsprechend erhöht werden.
Durch die genannten hormonellen Einflüsse steigt der Insulinbedarf in der Pubertät deutlich an: von vorher ca. 1 IE/kg/Körpergewicht pro Tag auf ca. 1,2 – 1,5 Einheiten/kg Körpergewicht/Tag.
Es ist also für die Jugendlichen aufgrund der hormonellen Situation nicht einfach, in der Pubertät einen guten HbA1c -Wert zu erreichen. Nach Abschluss der Pubertät kann das Insulin wieder reduziert werden, da die Stoffwechsellage sich beruhigt.
Viele Eltern und auch Jugendliche machen sich Gedanken darüber, ob sich Kinder mit Diabetes genauso entwickeln wie Kinder ohne Diabetes. Viele fragen, ob es z. B. zu einem verminderten Wachstum oder zu einer fehlerhaften Pubertätsentwicklung kommt. Hier ist festzuhalten, dass es bei Kindern mit Diabetes zu einem verzögerten Eintritt der Pubertätsentwicklung kommen kann, sie sich im weiteren Verlauf jedoch völlig normal entwickeln.
Wachstumsverzögerungen hingegen treten bei Kindern mit Diabetes nur auf, wenn die Stoffwechsellage über einen langen Zeitraum schlecht eingestellt ist und der Körper durch Insulinmangel unterversorgt ist.
Neben der hormonellen Problematik ist auch die psychosoziale Komponente nicht zu vernachlässigen. Pubertierende Jugendliche streben nach Unabhängigkeit und wollen erwachsen sein. Es kommt zu einer Gratwanderung zwischen „Wie erwachsen WILL ich sein?“ und „Wie erwachsen BIN ich?“; oder auch „Was WILL ich selbst machen?“ und „Was KANN ich selbst machen?“. Freunde sind für die Jugendlichen unheimlich wichtig und sie möchten ihre Zeit mit ihnen verbringen.
Bei Kindern mit Diabetes bedeutet das: Sie haben keine Lust mehr, immer wieder nach den Blutzuckerwerten gefragt zu werden, sie wollen nicht ans Messen und Spritzen erinnert werden, sie wollen nicht „brav“ abends mit den Eltern zu Hause essen. Was sie wollen ist: Den Diabetes alleine managen, mit ihren Freunden chillen wie alle anderen auch, Pizza und Burger essen, nicht immer bevormundet werden.
Es ist jetzt wichtig, ihnen auf der einen Seite die Freiheit und Verantwortung teilweise zu übertragen, ihnen aber auch nach wie vor bestimmte Regeln und Grenzen zu setzen, damit die Insulintherapie nicht vernachlässigt wird. Zunehmend sollte auch die Integration des Diabetes in den zukünftigen, zunehmend erwachsenenähnlichen Alltag eine Rolle spielen: Beruf und Diabetes, Führerschein und Diabetes sind Themen, die besprochen werden müssen.
Im Rahmen der zunehmenden Selbstständigkeit im Therapiemanagement ist auch die Thematisierung diabetesbedingter Folgeerkrankungen wichtig. Bisher sind sie wahrscheinlich nur wenig damit konfrontiert worden.
All diese Themen sind nicht nur durch die Eltern zu leisten, sondern sollten auch im Rahmen der Schulung der Jugendlichen durch das Diabetesteam unterstützt werden. Es gibt ein Jugendschulungsprogramm für Jugendliche mit Diabetes, das speziell für diese Altersklasse konzipiert worden ist und allen Jugendlichen bei der Bewältigung der pubertären Hürden helfen soll.
Die Pubertät ist die Phase der Geschlechtsreifung.Die Geschlechtshormone führen neben der geschlechtlichen Entwicklung zu einer Herabsetzung der Insulinwirkung. Auch das Wachstumshormon wird in der Pubertät vermehrt ausgeschüttet. Die morgendliche Freisetzung dieses Hormons führt zu hohen Blutzuckerwerten beim Aufstehen.
In der Pubertät sind höhere Insulinmengen notwendig und es kommt zu starken Schwankungen der Blutzuckerwerte. Psychologische Komponenten, wie der Wunsch nach zunehmender Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, erschweren eine gute Sotffwechseleinstellung
von Dr. med. Nicolin Datz, Hannover
Oberärztin Pädiatrie III, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Krankenhaus „Auf der Bult“
Kontakt:
Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover, E-Mail: datz@hka.de
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2014; 7 (1) Seite 22-23
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