Hybrid-Closed-Loop: die ersten Erfahrungen bei Kindern

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Hybrid-Closed-Loop: die ersten Erfahrungen bei Kindern

Seit Oktober 2019 ist das von vielen Menschen mit Diabetes lang ersehnte erste Hybrid-Closed-Loop-System in Deutschland verfügbar. Was klappt gut, wo gibt es Hürden, und wie können sich Familien auf das System vorbereiten?

Natürlich wünschen sich alle Menschen mit Diabetes eine möglichst einfache und vollautomatische Insulintherapie. Der erste Schritt in Richtung Weiterentwicklung der Automatisierung ist das Hybrid-Closed-Loop-System MiniMed 670G (von Medtronic). Es ermöglicht als bisher erste und einzige Pumpe in Kombination mit einem Glukosesensor (Guardian 3) eine teilautomatisierte Steuerung der Insulin(mehr)abgabe. Das System ist ab einem Alter von 7 Jahren und einer täglichen Gesamtinsulinmenge von 8 oder mehr Einheiten zugelassen.

Wie funktioniert dieses Hybrid-Closed-Loop-System?

Das System besteht aus einer Insulinpumpe und dem dazugehörigen Glukosesensor. Dem Nutzer stehen zwei Modi zur Verfügung: der manuelle Modus und der Auto-Modus. Im Auto-Modus wird die basale Insulinabgabe automatisch alle fünf Minuten über ein in die Pumpe eingebautes Rechensystem („Algorithmus“) auf Grundlage der Sensorglukosewerte gesteuert.

Der Basalinsulinbedarf wird über Abgabe von Mikroboli, also sehr kleinen Insulinmengen, dem aktuellen Insulinbedarf des Nutzers angepasst. Zudem berechnet das System auch den Korrekturfaktor automatisch. Basalrate und Korrekturfaktoren können im Auto-Modus vom Nutzer nicht verändert werden.

So sieht ein perfekter Tag im Auto-Modus aus.

Im manuellen Modus erfolgen die basale Insulinabgabe und die Korrekturen wie bei der bisherigen Insulinpumpentherapie über eine vom Nutzer vorprogrammierte „feste“ Basalrate und Korrekturfaktoren. In beiden Modi muss der Mahlzeitenbolus wie gewohnt vor dem Essen vom Nutzer selbstständig abgegeben werden.

Der Weg zur erfolgreichen Nutzung

Die Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Anwenden des Auto-Modus ist, dass Eltern und die Kinder und Jugendlichen, die Pumpe und Sensor tragen, dem System ihr Vertrauen schenken. Erwartungen (Läuft ab jetzt alles vollautomatisch?), Ängste oder Zweifel an der Sicherheit der Technologie sollten im Vorfeld gut mit dem Diabetesteam besprochen werden.

Da das System nicht nur im Auto-Modus, sondern auch weiterhin im manuellen Modus arbeitet, müssen alle Nutzer eine grundlegende Pumpen- und Sensorschulung erhalten. Dazu gehört auch das Vorgehen in Sondersituationen (z. B. Ausfall der Insulinpumpe, Ausfall des Transmitters, Ausfall des Sensors oder anhaltend hohe Sensor-/Blutzuckerwerte (über 250 mg/dl bzw. 13,9 mmol/l)). Damit das System die Insulinabgabe im Auto-Modus möglichst präzise steuern kann, sollten die programmierbaren Einstellungen (Basalrate, Bolusinsulin, Korrekturen) dem aktuellen Insulinbedarf angepasst sein.

Damit einem erfolgreichen Start mit dem Auto-Modus nichts im Wege steht, ist Folgendes empfehlenswert:

  1. Überprüfung der Basalrate (z. B. über einen Basalratentest)
  2. Überprüfung der Kohlenhydratfaktoren (In die neue Pumpe werden die Kohlenhydrate in Gramm eingegeben, also statt 1,5 KE z. B. 15 g.)
  3. Wiederholung der Kohlenhydratschätzung (Küchenwaage nutzen)
  4. Abgabe des Bolus mind. 10 Minuten VOR dem Essen (immer wieder üben!)
  5. Mahlzeitengestaltung (regelmäßige Mahlzeiten, stündliches Snacken vermeiden)
  6. Vermeidung von Mahlzeiten nach 20/21 Uhr
  7. Zum Auslesen der Pumpen-/Sensordaten: Online-Software herunterladen und persönlichen Account anlegen (unter www.medtronic-diabetes.de)

Manchmal kann auch eine stationäre Aufnahme zur Therapieüberprüfung, Neueinstellung und zur (wiederholenden) Schulung hilfreich sein. Sprechen Sie am besten Ihr Diabetesteam an, um das geeignete Vorgehen für Sie und Ihr Kind festzulegen.

Blutzuckermessungen geben dem System die Sicherheit

Erfahrungsgemäß hängt die Qualität der Auto-Modus-Funktionen vor allem davon ab, ob ein Sensor korrekt funktioniert. Deshalb sind regelmäßige und sorgfältige Kalibrierungen (Blutzuckermessungen) unverzichtbar (siehe Ausgabe 2/2020 des Diabetes-Eltern-Journals: „Kalibration: So oft wie nötig und so genau wie möglich“).

Zusätzlich gibt es eine Reihe von Sicherheitseinstellungen, durch die der Auto-Modus in unklaren Situationen unterbrochen wird (z. B. Kalibrierung nicht erfolgt, anhaltend hohe Glukosewerte über 250 mg/dl bzw. 13,9 mmol/l etc.). Auch in diesen Situationen fordert das System Blutzuckermessungen. Die Bereitschaft, diese dann auch durchzuführen, ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung des Auto-Modus.

Mehr über die Pumpen
Beschreibungen und Tests für die MiniMed 670G und auch die Tandem-Insulinpumpe t:slim X2 finden Sie auf der Seite der Diabetes-Community Blood Sugar Lounge ().

Darüber hinaus soll nach Herstellerangaben auch vor jeder Insulinbolusgabe ein Blutzuckerwert bestimmt werden. Da bei anderen Sensoren wie dem Dexcom G6 oder dem FreeStyle Libre keine routinemäßigen Kalibrierungen/Messungen notwendig sind, fällt das regelmäßige Blutzuckermessen bei Systemumstellung auf den neuen Sensor einigen Kindern und Jugendlichen anfangs schwer.

Let the algorithm do the work

Bisher haben die Eltern die Insulintherapie ihrer Kinder routiniert gesteuert: Sie fungierten sozusagen als Auto-Modus. Korrektur- und/oder Bolusvorschläge der Pumpe nun nicht immer im Detail nachvollziehen zu können, weil die Mikrobolusgaben kontinuierlich in die Korrekturberechnung einfließen, stellt deshalb für viele Eltern eine Herausforderung dar. Unsere Empfehlung lautet: dem System (und sich selbst) Zeit geben.

Erfahrungsgemäß dauert es etwa 6 bis 8 Wochen, bis alle Beteiligten mit dem System „warm geworden“ sind. Am besten klappt’s, wenn man dem Leitspruch: „Let the algorithm do the work” („Lass den Algorithmus die Arbeit machen“) folgt.

Erfahrungen aus der Praxis

Der Auto-Modus führt rasch zu eindrucksvollen und sofort sichtbaren Erfolgen (siehe Abbildung S. 11). Übereinstimmend hören wir von Eltern und Kindern in den Sprechstunden: „Wenn der Auto-Modus läuft, kann ich gut schlafen“ oder „Für einen Nüchternblutzucker von 115 mg/dl (6,4 mmol/l) messe ich gern regelmäßig Blutzucker“ oder auch: „Es gibt nicht mehr soviel Ärger wegen des Diabetes zu Hause.“
Der Auto-Modus nimmt vielen Eltern, Kindern und Jugendlichen das Gefühl, den (unerklärlichen) Schwankungen hilflos ausgeliefert zu sein. Das alltägliche Diabetesmanagement ist einfacher geworden.

Natürlich kann auch im Auto-Modus nicht jeder Tag perfekt sein. Dennoch motivieren die kontinuierlich auf dem Display der Pumpe sichtbaren Erfolge (Zeit im Zielbereich) zur regelmäßigen Therapiedurchführung und führen zu einer hohen Therapiezufriedenheit, die die Kinder und Jugendlichen oft mit Stolz erfüllt. Die angestrebte Zeit im Zielbereich (70 – 180 mg/dl bzw. 3,9 – 10,0 mmol/l) von über 70 % ist mit konsequenter Einhaltung der geschulten Auto-Modus-Regeln sehr häufig zu erreichen.

Ausblick

Die MiniMed 670G ist das erste AID (Automated Insulin Delivery)-System, welches derzeit auf dem deutschen Markt erhältlich ist. Doch auch AID-Systeme anderer Hersteller werden in naher Zukunft verfügbar sein. So steht z. B. die Insulinpumpe von Tandem t:slim X2 (gekoppelt mit Dexcom-G6-Sensor) mit der Funktion Control IQ in den USA bereits in den Startlöchern. Seit dem 15. Juli 2020 ist sie zunächst mit der Funktion Basal IQ (vorausschauende Insulinabschaltung) in Deutschland verfügbar.

Mehr Zeit im Zielbereich

Voraussetzung für eine erfolgreiche Nutzung des Hybrid-Closed-Loop-Systems ist, dass das System möglichst häufig im Auto-Modus getragen wird. Grundlage hierfür sind eine optimale Einstellung der Kohlenhydratfaktoren, des Essens-/Bolusmangements und der Sensorkalibration. Wem das gelingt, der freut sich über viele flache Sensorkurven, mehr Zeit im Zielbereich und eine Verbesserung des HbA1c-Werts.


Autor:

Dr. Thekla von dem Berge
Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und Diabetologie
Diabetes-Zentrum für Kinder und Jugendliche „Auf der Bult“
Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover

Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2020; 12 (3) Seite 10-12

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • darktear antwortete vor 3 Tagen

      Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 3 Tagen

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

    Uploaded Image
    • darktear antwortete vor 2 Wochen

      Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 4 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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