- Eltern und Kind
Mehr Routine beim zweiten Kind
4 Minuten
Kindererziehung ist immer ein Balanceakt zwischen Kontrolle und Loslassen – umso mehr, wenn eine chronische Erkrankung wie Typ-1-Diabetes im Spiel ist. Sandra Neumann hat die Diagnose aus zwei Perspektiven kennengelernt: Ihre Tochter Emily erkrankte als vierjähriges Kleinkind, ihr Sohn Tobias neun Jahre später. Für ihr Buch hat Antje Thiel die Geschichte der Neumanns aufgeschrieben.
Es waren die klassischen Symptome, die an Ostern 2008 auf Diabetes hinwiesen: Die vierjährige Emily trank ungewöhnlich viel und nässte nachts wieder ein. Nachdem das Blutzuckermessgerät beim Hausarzt „HI“ angezeigt hatte, fand sich die besorgte Familie mit der Diagnose Typ-1-Diabetes in der Klinik wieder. Das Mädchen verbrachte zwei Wochen im Krankenhaus, auch die Familie wurde geschult. „Zu Beginn wussten wir rein gar nichts über Typ-1-Diabetes“, erinnert sich Emilys Mutter Sandra.
Trennung und Neuanfang
Die erste Zeit nach der Diagnose war schwierig: „Emilys und Tobias‘ Vater hielt sich aus vielem heraus. Der Klinikaufenthalt, Spritzen lernen, Broteinheiten berechnen, die Nachtwachen, Blutzucker kontrollieren, das erfolglose Kämpfen um den bestehenden Kitaplatz, der Wechsel in eine Integrations-Kita – und nebenbei der kleine Tobias, der noch nicht einmal zwei Jahre alt war“, erzählt Sandra, „um alles habe ich mich allein kümmern müssen, das hat mich damals sehr verletzt.“
Die Partnerschaft hielt der zusätzlichen Belastung nicht stand, anderthalb Jahre später trennte sich das Paar nach zehn Jahren Beziehung. „Wahrscheinlich lag vorher schon einiges im Argen, der Diabetes hat es eben zum Vorschein gebracht“, sagt Sandra heute.
Den Eltern gelang es aber, die Trennung friedlich zu gestalten. Lange lebte Emilys und Tobias‘ Vater nur wenige Türen weiter. Jetzt sind die Kinder alle zwei Wochenenden bei ihm. „Anfangs war ich ein bisschen in Sorge, ob es mit dem Diabetes auch bei Papa so gut läuft. Doch es musste irgendwie laufen und spielte sich auch recht schnell ein“, berichtet Sandra, „das Loslassen fiel mir anfangs zwar sehr schwer, aber es war dringend notwendig. Ich brauchte diese Zeit, um für mich selbst wieder Kraft zu sammeln.“ Hierbei erfuhr sie auch viel Unterstützung von den Großeltern, die auch heute einspringen, wo sie nur können.
In den kommenden Jahren versuchte Sandra, sich im Alltag an einem Ratschlag zu orientieren, den ihr die Ärzte nach der Diabetesdiagnose mit auf den Weg gegeben hatten: „Der Diabetes wird eine große Rolle in Emilys Leben spielen, doch er sollte nicht alles bestimmen.“ Sandra rang um möglichst viel Normalität in Emilys Leben. Ob in der Schule, zu Hause oder im Sportverein, wollte sie ihrem Kind immer vermitteln, dass der Diabetes sie an nichts hindern muss.
Wie viel Kontrolle muss sein?
Emilys gute Diabeteseinstellung bestärkte sie darin: „Meist merke ich schon bei ungefähr 80 mg/dl (4,4 mmol/l), dass ich unterzuckere und etwas essen sollte“, sagt Emily. Seit ihrer Diabetesdiagnose gab es noch keine schwere Über- oder Unterzuckerung, meist hat Emily ihren Diabetes gut im Griff. „So gut, dass meine Ärztin einverstanden ist, dass ich kein Blutzuckertagebuch mehr führen möchte, weil mich das nervt“, sagt Emily stolz. Und ihre Mutter bestätigt: „Ja, ihr Langzeitzuckerwert ist in Ordnung, die Ärztin zufrieden. Deshalb habe ich irgendwann aufgehört, sie ständig zu kontrollieren. Das Wichtigste ist schließlich, dass sie gut im Leben steht.“
Trotzdem fragt Sandra sich manchmal, ob sie Emilys Diabetes mehr Aufmerksamkeit schenken und die Werte stärker im Blick haben sollte. Emily hingegen fürchtet eine allzu strenge Kontrolle – und möchte wegen ihrer Erkrankung auch nicht aus der Reihe fallen. „In meiner alten Klasse gab es manchmal dumme Sprüche über meinen Diabetes“, erzählt sie. „Viele Klassenkameraden waren laut und hatten schlechte Noten. Ich habe immer aufgepasst und gute Noten bekommen. Da hieß es dann, die Lehrer würden mir meine Noten schenken, nur weil ich Diabetes habe.“
Anfangs fand Sandra den Ehrgeiz ihrer Tochter positiv. Es gefiel ihr, dass Emily den Diabetes nicht als Ausrede benutzt. Doch mit dem Wechsel zum Gymnasium zeigte sich, dass Emily manchmal eben nicht so belastbar ist wie andere Kinder. „Es ist allerdings gar nicht so leicht, ihr zu vermitteln, dass eine 3 in Englisch kein Drama ist, wenn sie zu Beginn der Klassenarbeit einen Blutzucker von 60 mg/dl (3,3 mmol/l) hatte“, meint Sandra.
Ein Vorfall im Jahre 2015 machte die Mutter nachdenklich: „Emily begann, ihre Pumpe absichtlich so einzustellen, dass sie vor allem nachts in Unterzuckerungen rutschte.“ Zum Glück fiel die Manipulation rechtzeitig auf. Rückblickend sagt Sandra: „Emily konnte nicht so recht erklären, warum sie niedrige Zuckerwerte selbst provoziert hatte.“ Austesten von Grenzen? Ein stummer Hilferuf nach mehr Aufmerksamkeit?
Nach dieser Episode beschloss Sandra, ihrer Tochter einen lang gehegten Herzenswunsch zu erfüllen und kaufte ihr einen Hund. Die wuschelige braune Pudeldame Lilly wird außerdem zum Diabetikerwarnhund ausgebildet. „Dass sich Lilly bei niedrigen Blutzuckerwerten bemerkbar macht, ist aber nicht der entscheidende Punkt. Es geht mir auch um Emilys psychische Stabilität“, erzählt sie. „Außerdem ist Lilly unser gemeinsames Projekt und könnte helfen, miteinander in Kontakt zu bleiben, wenn Emily in die Pubertät kommt. Das ist ja auch ohne Diabetes schon eine schwierige Zeit.“
Auch Tobias hat jetzt Diabetes
Für Emilys drei Jahre jüngeren Bruder Tobias bedeutete der Diabetes seiner Schwester lange Zeit vor allem, dass er manchmal zurückstecken musste. „Wenn Emmi eine Hypo hatte, dann hörte Mama abends einfach auf, mir meine Geschichte vorzulesen“, sagt er. Es kränkte ihn, dass Emily dann sofort im Mittelpunkt stand, obwohl eigentlich er an der Reihe war.
Das änderte sich schlagartig im Juli 2017, als Tobias selbst die Diagnose Typ-1-Diabetes erhielt. Bei ihm wurde die Erkrankung sehr frühzeitig erkannt, weil Sandra schon bei den ersten Symptomen seinen Blutzucker checkte.
„Es war für mich natürlich ein großer Schock, dass nun auch mein zweites Kind Diabetes hat“, erzählt Sandra, „doch insgesamt läuft es bei Tobias viel entspannter als bei Emily.“ Zum einen war ihr Sohn bei seiner Diagnose schon elf Jahre alt.
Zum anderen hatte die Familie bereits Routine mit dem Diabetesmanagement: „Tobias trägt alles mit großer Fassung. Er konnte schon nach vier Tagen das Krankenhaus verlassen, weil er seine Schulungen im Schnelldurchlauf absolvierte“, erzählt Sandra. Als große Erleichterung empfand sie es, dass Emilys und Tobias’ Vater dieses Mal alle Schulungen mitbesuchte und sich deutlich stärker engagierte als noch bei Emilys Diagnose.
Sandras bestärkende Haltung gegenüber Emilys Diabetes hat sicher auch dazu beigetragen, dass Tobias seinen Diabetes sehr rasch und unaufgeregt akzeptiert hat. Vor seiner eigenen Diagnose hatte er offenbar manchmal das Gefühl, dass es zwischen ihm und seiner Schwester ungerecht zugeht, weil Emily mehr Aufmerksamkeit erfuhr als er. Mit seiner eigenen Diagnose hat sich genau dieser gefühlte Nachteil ausgeglichen, und damit ist der Diabetes für ihn gar keine so negative Sache, wie man denken würde.
Das Verhältnis zu seiner großen Schwester hat sich seit Tobias Diagnose verbessert. Sandra glaubt, dass sich Tobias seiner Schwester durch den Diabetes nun gleichgestellt fühlt, „das erleichtert es ihm, seine Erkrankung zu akzeptieren. Und so blöd das alles auch ist – es ist schön zu sehen, dass der Diabetes nun für die beiden eher etwas Verbindendes als etwas Trennendes ist.“
von Antje Thiel
freie Journalistin und Bloggerin
Blog: suesshappyfit.blog
E-Mail: info@antje-thiel.de
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2018; 10 (4) Seite 18-20
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 1 Woche, 2 Tagen
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina -
gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 4 Tagen
Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
Danke schonmal im Voraus-
darktear antwortete vor 2 Wochen, 1 Tag
Hallo,
Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*LG Sndra
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moira antwortete vor 1 Woche, 4 Tagen
Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG
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hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 5 Tagen
Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.
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lena-schmidt antwortete vor 2 Wochen
@stephanie-haack hast du vielleicht ein paar gutes Tipps?
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connyhumboldt antwortete vor 1 Woche, 2 Tagen
Besorge Dir Pflaster die über Tattoos geklebt werden, wenn die neu gestochen sind! Oder Sprühpflaster das Stomapatienten benutzen!
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Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig