- Eltern und Kind
Nachgefragt | Medizin: Zu hohe HbA1c-Werte: Fehlbestimmung oder Entwicklungskrise?
2 Minuten

Sie haben medizinische und/oder psychosoziale Fragen bezüglich Kindern und Jugendlichen mit Diabetes? Die Experten des Diabetes-Eltern-Journals geben Ihnen in der Rubrik Nachgefragt Antwort!
Die Frage
Vor einiger Zeit hatten mein Mann und ich mit unserem 16-jährigen Sohn Markus eine heftige Auseinandersetzung. Es ging um seinen HbA1c-Wert. Markus hat seit zwei Jahren Diabetes. Mit unserer Unterstützung ist er bisher gut zurechtgekommen, seine HbA1c-Werte lagen immer um 7,0 Prozent, nur selten hatte er Unterzuckerungen.
Jetzt aber ist seit sechs Monaten sein HbA1c-Wert deutlich angestiegen: auf 8,1 Prozent! Der höchste Wert war 9,4 Prozent! In sein Protokollheft hatte er jedoch immer Blutglukosewerte zwischen 80 mg/dl (4,4 mmol/l) und 160 mg/dl (8,9 mmol/l) eingetragen.
Über diese Mogelei waren wir Eltern sehr enttäuscht und ärgerlich. Außerdem machen wir uns Sorgen, weil unser Sohn den regelmäßigen Kontakt zum Diabetesteam abgebrochen hat. Es hat Tage gedauert, bis wir wieder einigermaßen vernünftig miteinander reden konnten, aber es gibt noch viel Streit.
Er behauptet felsenfest, dass seine Protokollwerte stimmen. Der HbA1c-Wert sei falsch gemessen worden! In Wahrheit sei er viel niedriger! Außerdem habe er gehört, dass bei manchen Menschen mit Diabetes das HbA1c gar nicht zuverlässig bestimmt werden kann. Das hat uns sehr irritiert. Stimmt das?
Anmerken möchte ich noch, dass Markus ein guter Schüler ist, er treibt Sport, hat viele Freunde und besucht die 10. Klasse eines Gymnasiums.
Frau S.
Die Antwort von Dr. Wolfgang von Schütz
Der HbA1c-Wert wird seit vielen Jahren sehr zuverlässig und präzise gemessen. Das HbA1c ist der wichtigste Laborwert, um die Qualität der Stoffwechseleinstellung zu beurteilen. Das ist unumstritten und wissenschaftlich bewiesen. Es ist das Maß für die Blutglukosekonzentration in den vergangenen 6 bis 8 Wochen.
Allerdings gibt es, sehr selten, medizinische Gründe, die das Messergebnis der HbA1c-Bestimmung beeinflussen können. So wird beispielsweise bei akutem und chronischem Blutverlust ebenso ein falsch-niedriges HbA1c bestimmt wie bei Erkrankungen, die mit einer verkürzten Lebensdauer der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) einhergehen. Andererseits kann eine anhaltende Einschränkung der Nierenfunktion oder die Einnahme von Medikamenten (Vitamin C, Salicylate) ein falsch-erhöhtes HbA1c zur Folge haben.
Darüber hinaus gibt es aber auch eindeutige Fehlbestimmungen des HbA1c-Wertes im Labor. Daher ist es wichtig, bei widersprüchlichen Laborergebnissen das Ergebnis der HbA1c-Bestimmung umgehend zu kontrollieren. Die Beurteilung des HbA1c-Wertes sollte stets zusammen mit dem Diabetesteam erfolgen. Hierbei wird dann nicht nur der aktuell gemessene Einzelwert berücksichtigt, sondern vor allem der Verlauf des HbA1c-Wertes in den vergangenen Monaten.
Zur derzeitigen Situation Ihres Sohnes möchte ich anmerken, dass er sich sehr wahrscheinlich in einer Entwicklungskrise befindet. Er möchte demonstrieren, dass er keinen Diabetes mehr hat, dass sein Diabetes geheilt ist und dass er so normal ist wie alle seine Freunde und Bekannten. Er leugnet seinen Diabetes und vernachlässigt die Insulintherapie.
Derartige Krisen kennen wir durchaus bei Jugendlichen. Nicht selten spielt Scham eine große Rolle. Die Jugendlichen wollen den Diabetes verstecken, sie fühlen sich einsam und sind zutiefst traurig. Wichtig ist jetzt, dass Ihr Sohn Kontakt zu Menschen hat, denen er vertraut, mit denen er reden kann, ohne sein Gesicht zu verlieren. Vielleicht ist das in der Familie nicht möglich. Könnten Freunde der Familie helfen, ein Lehrer, den er respektiert oder ein Pfarrer, dem er vertraut?
Die nächsten Schritte
Vor allem sollte Ihr Sohn wieder Kontakt zu seinem Diabetesteam, zu seinem Arzt, zu seiner Diabetesberaterin aufnehmen. Das wäre der wichtigste Schritt. Von hieraus könnten dann weitere Schritte vereinbart werden, z. B. die Vermittlung in eine professionelle Krisenintervention oder in eine ambulante Psychotherapie.
von von Dr. med. Wolfgang von Schütz
Erschienen in: Diabetes-Eltern-Journal, 2015; 8 (1) Seite 18-19
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