Binge-Eating: Wenn Essen zur Krankheit wird

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Binge-Eating: Wenn Essen zur Krankheit wird

Hi Thomas! Magst du dich kurz vorstellen?

Hallo, mein Name ist Thomas, ich bin 25 Jahre alt und wohne in der Nähe von Köln. Ich studiere an der Universität zu Köln Französisch und Geschichte und bin inzwischen im 2. Semester des Masters, habe also schon 4 Jahre Studium hinter mir.

Mein Diabetes begleitet mich seit fast 6 Jahren – er wurde während meiner Zeit beim Bund diagnostiziert und ist seitdem mal bester Freund, mal größter Feind… Je nachdem, wie es halt gerade so läuft. Allerdings ist nicht nur allein der Diabetes mein steter Begleiter. Seit einiger Zeit  kommt auch noch das so genannte Binge-Eating hinzu. Das macht die Behandlung des Diabetes noch ungleich komplizierter.

Felix Pergande - fotolia.com
Felix Pergande – fotolia.com

Du sagst, du hast eine Essstörung: Binge-Eating. Was genau bedeutet das?

Binge-Eating bedeutet wortwörtlich übersetzt so viel wie Ess-Gelage. Ich glaube, umgangssprachlich passt am besten der Begriff „Fressanfall“. Im Endeffekt handelt es sich um Heißhungerattacken, bei denen ein kompletter Kontrollverlust über das Essverhalten entsteht. Wo manche Leute vielleicht eine Tafel Schokolade essen würden, esse ich gleich zehn Stück auf einmal – und das innerhalb kurzer Zeit. Unvorstellbar? Nein, denn körperliche Signale werden einfach nicht mehr wahrgenommen. Erst später kommen dann die Folgen. Ausgelöst werden kann es dabei durch viele verschiedene Faktoren, zum Beispiel bestimmte Gefühlslagen, Handlungen o.ä. Im Endeffekt wird auch versucht, durch Essen andere Dinge, wie z.B. Trauer oder soziale Bindungen, zu kompensieren. Die Kalorienmenge, die schnell mal innerhalb einer Stunde vertilgt wird schwankt zwischen 5000 und 8000 kcal.

Wie hast du gemerkt, dass zu dem Diabetes eine andere Krankheit hinzugekommen ist? Gab es einen besonderen Auslöser?

Wie es bei mir zu diesem Verhaltensmuster kam, kann ich nicht sagen. Es hat sich einfach irgendwie eingeschlichen. Allerdings glaube ich, dass der Diabetes eine besondere Stellung bei der Entwicklung hat. Die besondere Fixierung auf Nahrungsmittel wegen ihres Kohlenhydratgehalts, die intensive Beschäftigung mit der Wirkung von Lebensmitteln – das hat dazu geführt, dass das Essen einen viel zu hohen Stellenwert eingenommen hat. Und dann kamen noch negative Gefühle, teilweise auch durch den Diabetes verursacht. Schließlich die unbewusste Erkenntnis meines Körpers, dass Essen ja gut geeignet ist, um Trauer zu bekämpfen. Und zack, fing es irgendwie an. Leider ist das Ganze auch ein ziemlicher Teufelskreis. Die negativen Emotionen sollen ja ursprünglich durch das Essen bekämpft werden, was auch kurzzeitig gut gelingt. Allerdings lösen die Folgen des Essanfalls erneut negative Emotionen aus, die mit Essen bekämpft werden. Und schon ist es ein Teufelskreis. So ging es bei mir seit mindestens 2 Jahren und wurde immer mehr zum Problem. Allerdings gab es zwischendurch immer wieder Phasen, in denen überhaupt keine Fressanfälle aufgetreten sind, teilweise monatelang, in denen ich mich von den Folgen des Binge-Eatings kurzzeitig wieder erholen konnte. Erst ein Klinik-Aufenthalt in der Motivations- und Akzeptanzgruppe Bad Mergentheim hat mir das Problem so richtig bewusst gemacht. Anschließend habe ich mich um einen Platz für eine ambulante Psychotherapie bemüht, in der ich mich seither versuche damit auseinanderzusetzen.

Das alles klingt nach vielen Problemen. Wie macht sich das Binge-Eating bei dir im Alltag bemerkbar?

Man kann die Folgen prinzipiell nach mehreren Faktoren unterscheiden. Zuerst wäre da die physische Seite: Nachdem ich 3 Monate lang eine Phase ohne Fressanfälle hatte, kamen sie Ende Oktober mit voller Wucht zurück. Ich habe innerhalb von 5 Wochen 12 Kilo zugenommen. Nach jedem Fressanfall geht es mir körperlich schlecht, ich bin schlaff, mir ist übel, ich bin müde und abgeschlagen. Hinzu kommen noch unkontrollierbare Blutzuckerwerte.

Kommen wir nochmal zu dem Bsp. der 10 Tafeln Schokolade. Hier hätten wir, je nach Kakaogehalt 5 KE pro Tafel + FPE. Wären bei 10 Tafeln 50 KE + FPE. Das zu kontrollieren ist unheimlich schwierig. Die Menge an KE und die Unberechenbarkeit durch die FPE machen ein normales „Wegspritzen“ unverhältnismäßig schwierig. Lediglich die Tatsache, dass ich eine Pumpe habe, erleichtert mir den Umgang damit. Aber selbst damit ist es extrem schwierig. Mein HbA1c leidet sehr darunter.

Psychisch gesehen ist das Ganze wie oben beschrieben ein echter Teufelskreis. Ich bin oft deprimiert, weil ich das Gefühl habe, zu schwach zu sein, um mich selbst zu kontrollieren. Und das führt wieder erneut zu Essattacken. Gleichzeitig sinkt das Selbstwertgefühl.

Wie fühlst du dich während und nach einer Essattacke?

marjan4782 - fotolia.com
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Wie soll man das beschreiben? Es ist einfach so, als hätte sich vor der Essattacke eine enorme Menge psychischer Druck aufgebaut, der mit dem Beginn der Attacke nachlässt. Also ist es gewissermaßen eine Erleichterung und es entstehen natürlich auch Glücksgefühle dabei. Allerdings wird einem auch im selben Moment bewusst, wie selbstzerstörerisch das Verhalten eigentlich ist. Und dann kommen wieder die negativen Gefühle… Nun ja…

Es ist also ein richtiger Teufelskreis. Wie reagiert dein Umfeld darauf?

Ich sollte vielleicht vorher sagen, dass eigentlich niemand außer meiner Freundin darüber Bescheid weiß. Natürlich ist das Verhalten für unsere Beziehung ziemlich belastend, vor allem dadurch, dass ich stets unausgeglichen und launisch bin. Ich habe lediglich einmal mit meinen Eltern darüber gesprochen, aber irgendwie kam es dann nie wieder zur Sprache. Was den Freundeskreis betrifft, so weiß auch dort niemand Bescheid. Ich glaube, das ist auch das Spezielle daran – man is(s)t wirklich alleine.

Gibt es irgendwelche Möglichkeiten, die Essstörung erfolgreich zu bezwingen?

Ich versuche es seit geraumer Zeit, mithilfe einer Psychotherapie gegen die Essstörung vorzugehen. Bislang leider erfolglos. Selbst wenn es mal eine längere Zeit lang gut funktioniert, kommt sie irgendwann wieder zurück. Nichtsdestotrotz versuche ich weiter, dagegen vorzugehen und etwas zu ändern. Und genau das würde ich auch allen anderen Betroffenen raten: nicht einfach aufzugeben, sondern immer wieder von Neuem zu versuchen, dagegen anzukämpfen.

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  • Hallo Zusammen,
    ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
    Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
    Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
    Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
    Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
    Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
    Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
    Wenn ´s weiter nichts ist… .
    Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
    Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
    Nina

    • Hallo Nina,

      als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
      Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
      Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig

  • gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 1 Tag

    Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
    Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
    Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
    Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
    Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
    Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
    Danke schonmal im Voraus

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    • Hallo,

      Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
      Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
      Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*

      LG Sndra

    • moira antwortete vor 1 Woche

      Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG

  • hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 2 Tagen

    Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.

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