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Kohlenhydrate, Kunst und Krankheit als Innovationstreiber
5 Minuten
Für Menschen mit Diabetes spielen Essen und das Zerlegen und Zählen von seinen Bestandteilen Kohlenhydraten, Eiweißen eine große Rolle. Aber es gibt auch Menschen, die freiwillig auf Carbs und Co achten und das nicht weniger penibel. Einer von ihnen ist Jörg Scheller, Kunstwissenschaftler, Journalist und Heavy-Metal-Musiker.

Jörg Scheller forscht zu Körperkultur mit Schwerpunkt Bodybuilding, Ausstellungsgeschichte, Popkultur und Popmusik (v.a. Heavy Metal), promovierte über Arnold Schwarzenegger und ist seit 2019 Professor für Kunstgeschichte im Departement Fine Arts der Zürcher Hochschule der Künste. Und er ist leidenschaftlicher Bodybuilder im wahrsten Wortsinne, stählt seinen Körper in Studios an Geräten und schweißtreibenden Trainings und mit der entsprechend optimierten Ernährung.
Ich habe mich und dann direkt ihn selbst gefragt, was er da eigentlich zählt. Warum er es macht und mit ihm viele andere, was ihn antreibt und wie er sich antreibt und – was wir von ihm und er vielleicht von uns lernen kann.
Vorstellung: Jörg Scheller
Anne Seubert: Lieber Jörg, wie stellst du dich selbst vor?
Jörg Scheller: Bei Kraftsportlern Intellektueller. Bei Intellektuellen Kraftsportler. Bei Wissenschaftlern Feuilletonist. Bei Feuilletonisten Wissenschaftler. Bei Musikern Autor. Bei Autoren Musiker. Bei Konservativen Progressiver. Bei Progressiven Konservativer. Und immer so weiter.
Anne: Ein Chamäleon also? Ein Tausendsassa? Damit passt du gut in die Blood Sugar Lounge, hier gibt es Autoren, Musiker, Wissenschaftler und Menschen, die gerne teilen und dazulernen möchten. Die sich täglich neu erfinden. Und die eine ganz besondere Beziehung zu ihrem Körper haben. Wie würdest du deine Beziehung mit deinem Körper beschreiben?
Wir führen eine innige Fernbeziehung.
Anne: Eine Fernbeziehung, die du auch auf Twitter (@joergscheller1) dokumentierst.

Sag, was bringt dich dazu, Nahrung in Carbs und Eiweiße und Fette zu zerlegen, auch wenn du kein Diabetiker bist?
Jörg: Ich folge einfach dem Weg der Moderne. Seit dem 19. Jahrhundert wird ALLES in seine Einzelteile zerlegt, bis hinunter zu den Elementarteilchen – so funktioniert auch modernes Krafttraining, bei dem Muskel für Muskel separat bearbeitet wird, und so funktioniert die Digitalisierung, welche unsere Realität in immer feinere Partikel auffächert. Das Schöne – aber auch Anstrengende! – an diesem Prozess ist, dass die Zerlegung es uns erlaubt, die Dinge neu zusammenzustellen. So auch in der Ernährung.
Jörgs Ernährungsweise
Anne: Wenn man immer mitzählt, immer analysiert, was auf den Teller kommt und was nicht, kann Ernährung ja auch schnell dazu führen, ein gestörtes Verhältnis zu Nahrung zu entwickeln. Nur noch auf die Bestandteile zu achten. Ich kann mir das beim Training ähnlich vorstellen. Wie schaffst du es, dass der Genuss nicht zu kurz kommt? Wie schaffst du es, Nahrung in Carbs und Eiweiße und Fette zu zerlegen und NICHT zu zählen?
Jörg: Hinter das Wissen, dass alles zerlegbar ist, führt kein Weg zurück. Zugleich hat die Zerlegerei und Zählerei und Berechnerei ihre Grenzen. Ich persönlich zähle keine Kalorien und keine Fette, nur Eiweiß. Das macht sich im Kraftsport bezahlt. Was darüber hinausgeht, ist mir zu aufwändig. Einen Großteil der Ernährungstrends halte ich sowieso für Esoterik – ich richte mich nach ein paar wissenschaftlichen Erkenntnissen, passe die Ernährung an meinen Lebensstil an, that’s it.
Anne: Diese Einstellung teilen hier viele: Die Anforderungen des Diabetes an den eigenen Lebensstil anpassen und nicht umgekehrt. Trotzdem ist Motivation immer wieder ein wichtiges Thema. Was ist das bei dir, was treibt dich an?
Jörg: Neugier, Wut, Liebe, Gerechtigkeit, Reihenfolge variabel.
Anne: Ich würde für mich noch den Trotz hinzufügen. „Jetzt erst recht!“ findet sich immer wieder in meinen Gedanken. Kennst du das?
Jörg: Trotz ist Widerstand jenseits des Ideologischen. Man trotzt nicht aus irgendwelchen religiösen, politischen, weltanschaulichen Gründen. Man trotzt, weil man trotzt. Es ist wichtig, sich das „I prefer not to“ des Trotzes zu bewahren…

Anne: Wenn du doch mal selbst mittreiben musst, hast du Methoden, mit denen du dich selbst antreibst, wenn es gerade mal nicht von selbst läuft? Oder vielleicht sogar auch mal bremst, wenn es zu viel wird?
Jörg: Ich wollte immer schon ein intensives, herausforderndes Leben führen. Meine erste Band habe ich mit 13 gegründet, mit 14 Jahren standen wir auf der Bühne. Seitdem ich 15 Jahre alt bin, bin ich im Gym, mit Henry Rollins im Kopfhörer. Aber wahrscheinlich treibt einen nichts so sehr an wie das Gefühl, dass das, was man macht, Sinn ergibt. Zu trainieren, zu publizieren, zu debattieren, zu differenzieren, zu irritieren, zu kombinieren, all das ist aus meiner Sicht sinnvoll – und dafür, das heute professionell tun zu können, habe ich hart, teils über Belastungsgrenzen hinaus, gearbeitet.
Anne: Und was frustriert dich?
Jörg: Wenn Menschen Argumenten nicht zugänglich sind. Wenn Identitäten verhärten. Wenn Pluralismus ein Lippenbekenntnis bleibt – gerade auch im Politischen.
Diabetes: Krankheit als Innovationstreiber
Anne: Was stellst du dir unter einem Menschen mit Diabetes vor? Kennst du Diabetiker?
Jörg: Ich muss mir nichts vorstellen, ich kenne einige Diabetiker. Sie sind überaus verschieden, wie alle Menschen. Lemmy Kilmister von Motörhead war einer der Menschen, die mich am meisten inspiriert haben – und er war Diabetiker. Auf seinen gottgleichen Status in der Metal-Community angesprochen, sagte er mir einmal im Interview: „Ich habe Diabetes. Gott nicht. Also kann ich nicht Gott sein.“

Anne: Ein Gott mit Diabetes ist eine schönes Gedankenspiel. Ein Gott, der Motörhead hört und Kampfsport betreibt auch, und es zeigt, wie spannend und vielleicht auch entspannend Perspektivwechsel sein können. Wärst du denn für mehr Austausch zu haben?
Jörg: Klar, ich bin neugierig auf Vieles – manchmal auf zu vieles! Es fehlen schlicht die Zeitressourcen… Ansonsten gilt für mich natürlich: Mit Diabetikern unterhalte ich mich wie mit allen anderen Menschen auch. Wenn die Rede auf die Krankheit kommt, wenn Interesse an einem Austausch besteht, sehr gerne. Wenn nicht, dann nicht. Wir sind ja alle mehr als unsere Krankheiten oder „Gesundheiten“. Interessant finde ich, wie aus Einschränkungen und Problemen neue Technologien und Kulturtechniken entstehen. Krankheit ist, auch wenn das zynisch klingen mag, ein Innovationstreiber.
Anne: Lieber Jörg, vielen Dank für die Einblicke, für deine Perspektive und dein Gesprächsangebot, das ich hiermit an euch weiterleite: Auf in die Kommentare mit euren Fragen!
Und wer jetzt neugierig auf den Musiker, Autor, Sportler und Wissenschaftler Jörg Scheller geworden ist, der findet ihn übrigens im Netz an verschiedenen Orten:
www.joergscheller.de
https://twitter.com/joergscheller1
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Neueste Publikation:
Metalmorphosen. Die unwahrscheinlichen Wandlungen des Heavy Metal
http://www.steiner-verlag.de/titel/9783515126380.html
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Malmzeit, der Heavy Me(n)tal Lieferservice
https://www.youtube.com/watch?v=4eF9NHPgSoA
The Silver Ants – Regressive Rock
https://thesilverants.bandcamp.com/releases
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insulina postete ein Update in der Gruppe In der Gruppe:Reisen mit Diabetes vor 6 Tagen, 6 Stunden
Hallo Zusammen,
ich reise seit meinem 10. Lebensjahr mit Diabetesequipment…
Auf dem Segelboot mit meinen Eltern, auf Klassenfahrt in den Harz direkt nach meiner Diagnose 1984. Gerne war ich wandern, am liebsten an der Küste. Bretagne, Alentejo, Andalusien, Norwegen. Zum Leidwesen meiner Eltern dann auch mal ganz alleine durch Schottland… Seit einigen Jahren bin ich nun als Sozia mit meinem Mann auf dem Motorrad unterwegs. Neben Zelt und Kocher nimmt das Diabeteszeug (+weiterer Medis) einen Großteil unseres Gepäcks ein. Ich mag Sensor und Pumpe- aber das Reisen war „früher“ leichter. Im wahrsten Sinne es Wortes. Da eben nicht so viel Platz für Klamotten bleibt, bleiben wir (noch) gerne in wärmeren Regionen. Wo ist bei fast 40 Grad Sonnenschein der kühlste Platz an einem Motorrad? Und was veranstalten Katheter und Schlauch da schon wieder unter dem Nierengurt? Nach einem Starkregen knallgefüllte, aufgeplatzte Friotaschen auf den Motorradkoffern, bei den Reisevorbereitungen zurechtgeschnippelte Katheterverpackungen, damit einer mehr in die Tupperdose passt… Oft muss ich über so etwas lachen- und bin dankbar, dass mir noch nichts wirklich bedrohliches passiert ist.
Im September waren wir auf Sardinien und auf dem Rückweg länger in Südtirol. Ein letztes Mal mit meiner guten, alten Accu-Check Combo. Jetzt bin ich AID´lerin und die Katheter sind noch größer verpackt… 😉
Mein „Diabetesding“ in diesem Urlaub war eine sehr, sehr sehr große Sammlung von Zuckertütchen. Solche, die es in fast jedem Café gibt. Die waren überall an mir… in jeder Tasche, in der Pumpentache, überall ein- und zwischengeklemmt. Und liegen noch heute zahlreich im Küchenschrank. Nicht, weil sie so besonders hübsch sind und / oder eine Sammlereigenschaft befriedigen… Ich habe beim Packen zu Hause auf einen Teil der üblichen Traubenzuckerration verzichtet, da ich nach jedem Urlaub ausreichend davon wieder mit nach Hause schleppe.
Da wollte ich wohl dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit sicherstellen, bei Unterzuckerungen trotzdem ausreichend „Stoff“ dabei zu haben…
Ich freue mich auf den nächsten Urlaub und bin gespannt, was für eine Marotte dann vielleicht entsteht. Und, ob ich vom AID wieder in den „Basalratenhandbetrieb“ schalte.
Die Marotte allerdings kündigt sich schon an. Da ich ja nun das Handy dringend benötige, habe ich bereits eine Sicherungsleine an Handy und Innentasche der Jacke befestigt. So kann ich das Handy zum Fotografieren oder für das Diabetesmanagement heraus nehmen -ohne dass es die Alpen hinunter- oder ins Wasser fällt. Diabetesbedingte Paranoia. 😉
Wenn ´s weiter nichts ist… .
Ich würde übrigens lieber ohne Erkrankungen reisen. Aber es hilft ja nichts… und mit Neugierde, Selbstverantwortung und ein bisschen Mut klappt es auch so.
Lieben Gruß und viel Vorfreude auf die nächsten Urlaube
Nina -
gingergirl postete ein Update vor 2 Wochen, 1 Tag
Hallo zusammen meine name ist chiara und ich bin seit knapp 3 monaten mit der diagnose diabetes typ 1 diagnostiziert. Eigentlich habe ich es recht gut im griff nach der diagnose die zweite woche waren meine werte schon im ehner normalen bereich und die ärzte waren beeindruckt das es so schnell ging da ich aber alles durch die ernährung verändert habe und strickt mich daran halte war es einfach und man sah es sofort.
Ich habe ein paar Fragen kann man überall am oberarm den sensor ansetzten( da ich ihn jetzt eher etwas hoch habe beim muskel) und muss man jeden dexcom g7 sensor kalibrieren am anfang beim wechseln? .
Und ich habe bei den overpatch pflastern immer so viel kleberesten am arm kann das am pflaster liegen? Weil es ist ein transparentes und ich habe das gefühl es kriegt wie keine luft… Ich hab mir jetzt nur mal neue pflaster bestellt aber bei einem ist kein loch wo der dexcom ein löchli hat
Und wie ist das bei euch wegen abnehmen funktioniert das oder nicht?
Und wie spritzt ihr wenn ihr ihn der Öffentlichkeit seit an einem fest /Messe oder so?
Da ich nicht immer auf die Toilette renne kann?
Danke schonmal im Voraus-
darktear antwortete vor 1 Woche, 4 Tagen
Hallo,
Als ich noch die ICT Methode hatte habe ich bei Konzerten oder Messen mir das Kurzzeitinsulin in den Bauch gespritzt und das Langzeit oben am Gesäß.Hat meist keiner mitbekommen.
Meinen Sensor setzte ich oben am Arm,ist für mich angenehmer 🙂
Ich bin froh das die Technik so gut ist und nicht mehr so Steinzeitmäßig wie vor 42 Jahren *lach*LG Sndra
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moira antwortete vor 1 Woche, 1 Tag
Hallo Chiara! Mit dem Spritzen habe ich es wie Sandra gemacht. Abnehmen ist echt schwierig – ich komme da nicht gut weiter, ich muss aber auch für zwei weitere Leute kochen und deren Essenswünsche sind da nicht unbedingt hilfreich. LG
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hexle postete ein Update vor 2 Wochen, 2 Tagen
Hat jemand Tipps bei einer Pfalsterallergie gegen dexcom g6. Ich muss die vorhandenen Sensoren noch verwenden, bis die Umstellung auf g7 durch ist.
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lena-schmidt antwortete vor 1 Woche, 4 Tagen
@stephanie-haack hast du vielleicht ein paar gutes Tipps?
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connyhumboldt antwortete vor 6 Tagen, 1 Stunde
Besorge Dir Pflaster die über Tattoos geklebt werden, wenn die neu gestochen sind! Oder Sprühpflaster das Stomapatienten benutzen!
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Hallo Nina,
als unser Kind noch kleiner war, fand ich es schon immer spannend für 2 Typ1 Dias alles zusammen zu packen,alles kam in eine große Klappbox.
Und dann stand man am Auto schaute in den Kofferraum und dachte sich oki wohin mit dem Zuckermonster,es war also Tetris spielen im Auto ;). Für die Fahrten packen wir uns genug Gummibärchen ein und der Rest wird zur Not dann vor Ort gehohlt.
Unsere letzte weite Fahrt war bis nach Venedig