Sieben Ernährungsmythen aus wissenschaftlichlicher Sicht

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Sieben Ernährungsmythen aus wissenschaftlichlicher Sicht

Warme Speisen und üppige Mahlzeiten sind für viele Menschen im Sommer nicht erste Wahl. Doch wie gesund sind die Alternativen? Machen Obst und Essen am Abend wirklich dick? Und sind Übergewichtige dann selbst schuld an ihrem Gewicht?

„Nein“, sagt Prof. Dr. Matthias Blüher, Leiter der Adipositas-Ambulanz für Erwachsene am Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen der Leipziger Universitätsmedizin. Denn Adipositas sei eine Erkrankung, die von vielen Faktoren bestimmt wird. Im Interview spricht der Mediziner über sieben Ernährungsmythen, über vermeintliche gesunde Obst-Snacks und die Ursachenforschung bei Adipositas.

Professor Matthias Blüher, Leiter der Adipositas-Ambulanz für Erwachsene, Leipziger Universitätsmedizin.

Mythos 1: Im Sommer benötigen wir weniger Kalorien, weil der Körper für die Abkühlung weniger Energie verbraucht.

Prof. Dr. Matthias Blüher: Das stimmt nicht. In Situationen extremer Hitze oder Kälte ist der Energieverbrauch unseres Körpers generell erhöht: Sowohl beim Frieren als auch beim Abkühlen benötigen wir mehr Energie. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass man im Sommer oder im Winter unterschiedlich gute Chancen hat, abzunehmen. Der einzige Unterschied liegt tatsächlich im Ernährungsverhalten: Im Sommer nehmen viele typischerweise leichtere und kalorienärmere Mahlzeiten zu sich, im Winter legt man sich eher den klassischen Winterspeck zu.

Mythos 2: Gerade bei heißen Temperaturen setzen viele auf Obst-Snacks. Davon kann man so viel essen, wie man will – Obst ist in jedem Fall gesund.

Prof. Dr. Matthias Blüher: Leider ist das nicht ganz richtig, denn auch beim Obst macht die Dosis das Gift. Früchte können auch eine ganze Menge an Kalorien und Kohlenhydraten enthalten. Ein aktuelles Beispiel aus der Forschung zeigt, dass gerade die Fruktose, die wir verstärkt in Obst finden, einen ganz wesentlichen Beitrag bei der Entstehung der Fettleber leisten kann.

Mythos 3: Auch wenn sich die Temperaturen dann etwas abgekühlt haben: Abends essen macht dick.

Prof. Dr. Matthias Blüher: Das stimmt und stimmt auch nicht. Auch hier kommt es wieder darauf an, wie viel zum Abendessen auf den Tisch kommt. Man geht zwar davon aus, dass die Kalorien am Abend nicht gleich wieder verbrannt werden können, weil man dann ins Bett geht. Letztendlich gibt es aber keinen Beweis dafür, zu welcher Tageszeit Kalorien fürs Gewicht schädlicher sind – die Gesamtmenge, die man über den Tag verteilt zu sich nimmt, zählt. Vielen Menschen fällt es aber leichter, abends auf Essen zu verzichten, um ihr Gewicht zu reduzieren. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen, die regelmäßig frühstücken, eine höhere Chance haben, Gewicht zu verlieren.

Mythos 4: Mit Light-Produkten hingegen nimmt man ab.

Prof. Dr. Matthias Blüher: Das stimmt leider nicht. In Light-Produkten wird Zucker oft durch Zuckerersatzstoffe ausgetauscht. Diese Ersatzstoffe können mehr Appetit machen oder direkt auf unsere Darmbakterien wirken. Light-Produkte können also indirekt dazu beitragen, dass man mehr Appetit hat und doch nicht abnehmen kann – auch wenn es der Name anders verspricht.

Adipositas-Forschung
Mehr über die Arbeit des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums (IFB) AdipositasErkrankungen erfahren Sie hier.

Mythos 5: Übergewichtige und adipöse Menschen sind selber schuld an ihrem Übergewicht.

Prof. Dr. Matthias Blüher: Stimmt nicht. Wir wissen heute zum Beispiel, dass genetische Faktoren eine ganz große Rolle bei der Ausprägung von Übergewicht und Adipositas spielen. Auch hormonelle Aspekte und unser gesellschaftliches Umfeld bedingen die Entstehung von Übergewicht. All diese Faktoren kann der Einzelne nicht aktiv beeinflussen.

Mythos 6: Übergewichtige müssen einfach weniger essen und mehr Sport treiben, dann nehmen sie schon ab.

Prof. Dr. Matthias Blüher: Eigentlich stimmt das. Leider muss man sagen, dass Abnehmkonzepte, die nur darauf basieren weniger zu essen und sich mehr zu bewegen, langfristig versagt haben. Woran das liegt, wissen wir nur zum Teil. Es ist sehr wahrscheinlich, dass unser Körper ein einmal erreichtes Gewicht hervorragend verteidigen kann. Hier greifen verschiedene Mechanismen ineinander, die dazu führen, dass der Körper immer wieder zu seinem maximal erreichten Gewicht zurück möchte. Zu diesen Faktoren gehören beispielsweise die Ausschöpfung der aufgenommenen Kalorien aus der Nahrung sowie die Regulation von Grundumsatz, Appetit und Sättigung. Auch diese Faktoren können wir nicht bewusst kontrollieren.

Mythos 7: Adipositas ist eine Erkrankung und die Ursachen der Adipositas sind der Wissenschaft in Gänze bekannt.

Prof. Dr. Matthias Blüher: Den ersten Teil der These kann ich bejahen. Wir sehen Adipositas als eine Erkrankung an und stehen damit nicht allein da – auch die Weltgesundheitsorganisation definiert Adipositas mittlerweile als eine Erkrankung. Den zweiten Teil des These muss ich verneinen: Wir sind immer noch bemüht, die Ursachen der Adipositas-Entstehung für den einzelnen Menschen und auf gesellschaftlicher Ebene komplett zu verstehen. Nur für wenige, einzelne Fälle können wir bislang einen klaren Zusammenhang etwa zwischen dem Defekt eines Gens und der Ausprägung von Adipositas herstellen.

Adipositas-Forschung in Leipzig
Die Adipositas-Forschung ist seit vielen Jahren ein Schwerpunkt der Universität Leipzig. Auch der Wissenschaftsrat attestiere dem Standort zuletzt herausragende Kompetenzen in diesem Bereich. Im Februar 2018 hat die Universität Leipzig einen Vollantrag für das Exzellenzcluster “Adipositas verstehen” in der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder eingereicht. Das Projekt verfolgt einen interdisziplinären Ansatz, der die Medizin mit den Sozial- und Geisteswissenschaften verbindet. Denn Ursachen und Folgen von Adipositas sind kein rein medizinisches Thema, sondern eingebettet in unsere Kultur und Gesellschaft. Wirksame Präventions- und Therapiestrategien müssen daher in diesem Kontext entwickelt und gedacht werden. Die Universität Leipzig stellt die Wissenschaftler und ihre Forschungsarbeit hinter dem Cluster-Antrag vor: Vom Historiker, über Bioinformatiker und Mediziner bis hin zur Kommunikationswissenschaftlerin.

Quelle: Universität Leipzig

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