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Vor Vitalität strotzen Äpfel und Birnen von Streuobstwiesen. Weil sie nicht gespritzt werden, sind sie bio pur. Wolfgang Sprich aus Kandern macht daraus wertvolle Säfte – und er weiß, warum dieser Gesundheitsschatz gefährdet ist.
Was für ein putziger Name für eines unserer wertvollsten Lebens-Mittel: Streuobst. Gemeint sind damit alte, hochstämmige Bäume, die in einem lockeren Verbund wachsen. Bis in die 1950er-Jahre waren die Früchte dieser Bäume hochwillkommen, wurde alles geerntet, eingelagert, zu Saft verarbeitet. Doch das änderte sich stark, als immer mehr Obst aus der ganzen Welt importiert wurde; als immer häufiger statt den nicht einfach zu erntenden Hochstämmern Intensivkulturen mit niedrigen Bäumen angelegt wurden, die aber meist gespritzt werden müssen. Hinzu kam, dass durch gezielte Rodungsprämien gerade die prächtigsten alten Bäume gefällt wurden.
Wolfgang Sprich aus Kandern bei Lörrach weiß über die alten Sorten bestens Bescheid. Hat er doch in drei langen Wintern rund um die berühmte Töpferstadt über 13 000 Bäume exakt kartographiert – und zwar nicht nur Apfel- und Birnenbäume, sondern auch Kirschen, Quitten, Walnüsse und Zwetschgen, eine großartige private Bestandsaufnahme eines wichtigen Kulturguts. Aber der gelernte Gärtner verarbeitet auch das Obst, macht daraus hervorragende, sortenreine Säfte. Die presst er im nahen Elsaß in einer sehr sauber arbeitenden Kelterei, die es ermöglicht, auch kleine Chargen von nur 70 Kilo zu verarbeiten – und dann präzise abzufüllen, sodass sogar ein einzelner Baum eine ganze Abfüllung ergeben kann. Lediglich auf 78 Grad werden die Säfte erhitzt, um sie haltbar zu machen. Auch wird kaum gefiltert, sodass ein Großteil der Vitalstoffe erhalten bleibt.
Am Gravierendsten wirkt sich die Artenverknappung aber auf die genetische Vielfalt aus. Genau diese genetische Vielfalt brauchen wir aber, wenn wir noch gezielter als bisher die alten Sorten für gesundheitliche Zwecke nutzen wollen. Denn anstatt hunderte von Millionen für die Arzneiforschung auszugeben, wäre es sinnvoll, die alten Sorten auf das in ihnen schlummernde Gesundheitspotential abzuklopfen.
Wie wichtig der Artenreichtum ist, hat der früherer Umweltminister und Öko-Vordenker Klaus Töpfer für das Bahnmagazin klug auf den Punkt gebracht: „Artenreichtum ist genau das, was das Wort sagt: Reichtum“.
Über vier Stunden bin ich mit Wolfgang Sprich im Eggenertal bei Kandern unterwegs. Es ist eines der schönsten Täler im Wein-gesegneten Markgräflerland zwischen Basel und Freiburg, wo im Frühjahr die Menschen begeistert hinpilgern, um die wunderbare Kirschblüte zu bewundern. Zuerst sind wir oben beim „Steinenkreuzle“, von wo wir einen phantastischen Blick auf die Reben, die Bäume und den Schwarzwald haben. „Hier lässt sich der Wandel der Landschaft sehr gut beobachten“, erläutert Sprich: „Denn immer mehr Streuobstflächen verschwinden und werden durch Intensivkulturen ersetzt“. Sagt es – und zeigt mir die gleichmäßigen Baumbepflanzungen der Plantagen, die sich auch auf meinem Bild gut ausmachen lassen.
Aber noch stehen viele prächtige Bäume – und Wolfgang spricht mit Engagement und Leidenschaft darüber, hebt immer wieder einen Apfel auf, schneidet ihn entzwei, lässt probieren. Auch wenn er sich nicht so nennt, ist er in den rund zehn Jahren, wo er sich mit dem Streuobst beschäftigt, zum Apfelkundler, zum Pomologen geworden. Natürlich ist er nicht blauäugig und zeigt mir, dass nur noch die wenigsten alten Bäume gepflegt werden: „Die müssten fachmännisch beschnitten werden, damit sie wieder größere Früchte tragen, die noch besser schmecken“. Geschieht das nicht, sterben die Bäume langsam, weshalb dieser Gesundheitsschatz höchst gefährdet ist.
Rund 150 Bäume nennt er sein eigen, viele andere darf er nutzen. Denn leider kümmern sich viele Besitzer nicht mehr um die Bäume, was auch daran liegt, dass sie extrem schwer zu ernten sind. Leitern hinein zu stellen geht kaum, es grenzt an Lebensgefahr. Am besten wäre es mit Hubstaplern, sage ich. Aber da schüttelt der Gärtner nur den Kopf, denkt an die Kosten. So ganz verstehe ich das nicht, da wachsen Gesundheitsschätze vor unserer Haustür – und wir importieren Acerola-Kirschen und Goji-Beeren als vermeintliche Heilbringer. Vielleicht müssen wir unser so unterschätztes Obst ganz anders darstellen, müssen es als Superfood deklarieren. Müssen statt dem putzigen Namen Streuobst ganz andere Bezeichnungen wählen – wobei mir gleich eine einfällt, nämlich Urobst.
Klingt abwegig? Finde ich nicht, denn wenn es darum geht, das gesundheitliche Potential unserer traditionellen Lebens-Mittel zu erschließen, braucht es auch neue Formen des Marketings.
Eine botanische Besonderheit zeigt mir Wolfgang Sprich zum Schluss unseres Rundgangs: Ein Baum mit zwei Obstsorten. Das kenne ich noch aus meiner Kindheit, wo der Opa auf einen Baum noch ein Edelreis „gepfropft“ hat. Heute wird das Verfahren wohl nur noch selten angewandt, doch mich fasziniert es, wie flexibel die Natur ist, und wie zusammenwächst, was ursprünglich nicht zusammengehört – wie etwa hier die alten Sorten Kohlenbacher und Churz Fuure.
Natürlich und gottseidank ist Wolfgang Sprich nicht der einzige, der sich um die alten Sorten kümmert. Schon im nahen Staufen gibt es das „Obst-Paradies“, wo ebenfalls sortenreine Säfte produziert werden. Auch gibt es in Deutschland unzählige Initiativen für die alten Sorten, ganz besonders stark unterstützt von „Slow Food“, den Fürsprechern handwerklicher Lebensmittel. Aber auch viele Kommunen unterstützen solche Aktivitäten. Wichtig ist in diesem Kontext auch, dass gerade die Spitzengastronomie diese wertvollen Säfte entdeckt. Denn immer Restaurant offerieren zum Menü eine „Nicht-alkoholische Begleitung“ (schreckliches Wort) – und da gehören Säfte immer häufiger dazu.
Auf drei interessante Anbieter möchte ich hinweisen: Zum einen Van Nahmen vom Niederrhein, die sehr Gutes keltern, neben Einheimischem aber auch Exotisches wie Granatapfel im Angebot haben. Kaum schlagbar im Geschmack sind die Bergapfelsäfte von „Kohl“ aus Südtirol, die ich nur empfehlen kann. Der Großmeister der Verarbeitung von Heimischem ist aber Jörg Geiger aus Schlat oberhalb von Göppingen. Dort gibt es prächtige alte Apfel- und Birnenbäume, aus denen der Schwabe Schaumweine macht, die inzwischen in den besten Häusern – und immer mehr auch im Ausland verkauft werden. Sein größter Verkaufsschlager sind inzwischen die „Priseccos“, alkoholfreie Getränke, die wahre alchemistische Meisterwerke sind, etwa mit fermentierten Blättern. Ein feiner Gasthof mit einem Hotel gehört auch zum Geiger-Reich. Wie es dort aussieht, können Sie in diesem Report von mir sehen, der zwar schon sechs Jahr alt ist, aber nichts von der Aktualität verloren hat.
Spitzenküche, ausgefeilte Vermarktungsstrategien – das sind nicht die Welten von Wolfgang Sprich. Bei ihm schimmert immer noch ein Hauch Verbesserung der Welt durch. Er diskutiert mit den Leuten, richtet Streuobsttage aus, regt sich zurecht auf über die Machenschaften der Saatgutkonzerne, welche die Grundlagen des Lebens für sich monopolisieren.
Sehr gerne steht er mit seiner Ware auf den Märkten. Fast die meisten seiner rund 10 000 Flaschen jährlich verkauft er dort, wobei alle Säfte 2,70 Euro kosten. Auch ausgezeichnete Apfel-Essige, Smoothies und einen Apfelsekt bietet er an. Manche finden die Säfte zu teuer. Aber im Vergleich zu den vorher genannten großen Marken und angesichts der Qualität halte ich die Preise für gerechtfertigt. Nicht zuletzt deshalb, weil mit einer erfolgreichen Vermarktung auch das Geld für die Pflege des unersetzlichen Kulturguts Streuobst hereinkommt.
Wolfgang Sprich ist mit seinem Stand auf zwei Wochenmärkten vertreten, wo wirklich noch Bauern ihre Ware feilbieten: Am Donnerstag morgen in Lörrach und am Samstag morgen in Kandern.
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
Website: www.lauber-methode.de
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