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Das Echt essen-Gasthaus im Januar: Eine geerdete Spitzenküche mit vielen heimischen Produkten kocht Vincent Klink seit Jahrzehnten – und ist damit höchst aktuell und erfolgreich
Keinen Koch von Rang habe ich so lange auf seinem Weg begleitet wie Vincent Klink. Schon um 1985 bin ich bei dem 1949 Geborenen zum ersten Mal eingekehrt, habe ihn für ein Wirtschaftsmagazin porträtiert. Das war in seiner Heimatstadt Schwäbisch Gmünd im “Postillon”, das er nach seiner Ausbildung bei verschiedenen Spitzenköchen bereits im Alter von 25 Jahren mit seiner Frau eröffnete. Schon damals war ich fasziniert davon, dass Vincent Klink höchsten Wert auf echte, auf authentische Produkte der näheren Umgebung legte.
Ein Konzept der Heimatküche, das heute allerorten zu erleben ist – damals aber für ein Spitzenrestaurant eine Revolution bedeutete. Symbolisch dafür steht das Buch “Schwäbisch Gmünd”, das ihn in Kochmontur mit einer großen Milchkanne auf einer Wiese oberhalb der Stadt zeigt – und in das er mir mit seiner geschwungenen Schrift “Viel Freude beim Kochen” schrieb. Der Wunsch ging in Erfüllung sein “Kalter Kalbsrücken mit Olivensauce” ist eines meiner Lieblingsrezepte geworden.
Obwohl das Postillon einen Stern hatte, waren die Eheleute froh, aus dem zwar wohlhabenden, aber pfennigfuchsigen Gmünd 1991 nach Stuttgart umziehen zu können in die “Wielandshöhe” – eine elegante Villa in Degerloch in der so begehrten und teuren “Halbhöhenlage”. Auch hier krönt ein Michelin-Stern das Haus, das aber weiß Gott kein Gourmettempel ist. Vielmehr eine Stätte gastlicher Einkehr in gediegen eleganten, wohlfühlig ausgeleuchteten Räumen mit prächtigem Blick über die Stadt und einem dezent aufmerksamen, aber nie aufdringlichen Service. Über Mittag waren wir in dem von einer großen Anhängerschar stark frequentierten Restaurant, das abends oft restlos ausgebucht ist – und aßen das viergängige Menü für 88 Euro pro Person.
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Aufwendige Amuse Gueules sind nicht die Sache des gradlinigen Vincent Klink, der auf weißem Porzellan servieren lässt, das den Blick darauf lenkt, worauf es ankommt: Das klug inszenierte Produkt – ein Ansatz, den auch die italienische und die moderne französische Küche pflegen. Eine perfekte Lauchquiche machte den Anfang – “und mehr bedarfs nicht”, um mit Hölderlin zu sprechen. Danach folgte ein traumhaft fluffiger “Kloß vom Dinkelsbühler Spiegelkarpfen und Staufer Senflauch”. Im bayerischen Dinkelsbühl hat es, das wusste mein kundiger Tischfreund, eine exzellente Zucht dieses feinen Fisches, der gut zur Senfsauce und dem punktgenau geschmorten heimischen Lauch passt.
Einen großartigen Wein aus Stuttgart-Untertürkheim – und zwar direkt oberhalb der Werke vom “Daimler” tranken wir dazu: Einen gereiften 2011er Riesling Herzogenberg Großes Gewächs vom Spitzengut Wöhrwag. Viel besser kann ein Riesling nicht sein, ein “volles Maul” und trotzdem federnd elegant. Sicher, billig ist er nicht, 55 Euro kostet der Spaß. Aber warum das Geld sparen, wenn der renommierte und vor allem glaubwürdige Ökonom Hans-Werner Sinn im aktuellen FAS-Gespräch schon bald eine “nicht mehr beherrschbare Gemengelage” des Staates und der Wirtschaft befürchtet. Was wir getrunken haben, kann uns niemand mehr nehmen!
Ob das gut geht, Apfel und Meerrettich? Es geht sogar sehr gut: Eine kräftige Brühe mit knackigem Apfel drin, mutig, aber nicht zu heftig mit Meerrettich gewürzt – ein fruchtig-säuerliches Aromenspiel, dem auch der Wein locker gewachsen ist. Würzig dazu die separat gereichten Speckcroutons. Gerne wiederhole ich mich mit Hölderlin: “Und mehr bedarfs nicht”.
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Ein Klassiker der französischen Haute Cuisine: Der Hase auf königliche Art, was bedeutet, dass die Sauce mit frischem Blut gerührt wird. Auf meine Frage, ob das auch hier so sei, wurde mir halblaut gesagt: “Ja, natürlich”. Die Zurückhaltung ist verständlich, würde das so auf der Karte stehen, würden es die meisten nicht mehr essen. Dabei ist Blut etwas ganz Natürliches – und auch noch sehr eiweißreich. Aber viele haben halt den Kontakt zum Ursprünglichen verloren.
Jedenfalls war der Rücken zart-blutig saftig, schmeckte noch nach Wild, “wildelte” aber nicht. Ja, und die Sauce: Zum Niederknien, von einer wunderbaren Intensität. Hierin steckt die ganze Erfahrung von über 40 Jahren Kochen. Passend dazu die sautierten Waldpilze, die Dinkel-Spätzle – und unter der Wirsing-Kugel noch das gezupfte Fleisch, wahrscheinlich von der Keule. Passend dazu auch der empfohlene großartige 2011er Crozes Ermitage für 10 Euro das Glas.
Zum süßen Finale kam ein guter Millirahmstrudel mit Vanillesauce auf den Tisch. Ach ja, und noch Rumtopffrüchte, hier übersüße Erd- und Brombeeren. Da ist dem bekennenden Zuckerfan Vincent Klink leider der süße Gaul durchgegangen – aber was besagt das angesichts eines so köstlichen Mahls!
Ans Herz legen möchte ich Ihnen auf der äußerst lesenswerten Homepage des Restaurants die über zehn “Grundregeln der Wielandshöhe” – sie sind so etwas wie die Anleitung zum klugen Essen mit Respekt vor der Natur, ohne ins Dogmatische abzugleiten. Drei Regeln greife ich kurz heraus: “Ganzheitlich verarbeiten”, also beispielsweise auch die Strünke vom Gemüse für den Gemüsefonds verwenden; gegen “Tellertätowierung”, also die so gern gepflegten Kleckse und Streifen weglassen, deren oft aufwendige Herstellung in keinem Verhältnis zum kulinarischen Gewinn steht; und: “Ganze Tiere” nehmen, was bedingt, dass auch die Kutteln verarbeitet werden, etwa hier als “Kuttelwurst”. Alle Regeln stehen hier.
Kein deutscher Koch ist so virtuos vielseitig wie Vincent Klink: Der Sohn eines Amtstierarztes spielt sehr gut Querflöte, Flügelhorn und Trompete, tritt damit auch auf Festivals auf. Außerdem ist er ein begnadeter Fernsehkoch, der ohne großes Gehabe bodenständig-raffiniert kocht. Seine ganz große Liebe aber gilt der Literatur, seit Jahren leistet sich die Wielandshöhe einen kleinen Verlag, wo so wunderbare Bücher erschienen sind wie die Reihe “Häuptling eigener Herd”.
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Schreiben kann er natürlich auch. Wärmstens empfehlen kann ich sein jüngstes Buch “Ein Bauch spaziert durch Paris”. Mehr Selbstironie angesichts einiger zu vieler Pfunde geht nicht. Das Werk ist eine herrliche Einführung in die Geschichte der großen Küche, immer wieder gewürzt mit kleinen Rezepten, die aber “Klink-mäßig” modernisiert sind, etwa eine feine Zwiebelsuppe. Selbstverständlich auch kluge Gasthaus- und Hotelempfehlungen.
Großartig auch die Schilderungen der “fünf Millionen Ehekräche” mit seiner Frau, mit der er immer noch zusammen ist – etwa als sie ihn in einem Pariser Restaurant anherrscht, nur weil er harmlos die adrette Empfangsdame anschaut: “Von wegen gucken! Gucken bin ich ja von dir gewohnt, aber Ausziehen ist etwas ganz anderes!” Alles so laut, dass jeder merkt, der da so durchs Lokal dackelt, hat gerade einen “Anschiss kassiert”. Tröstlich, hinterher haben sie sich mit Champagner versöhnt.
Übrigens: Ich habe mit ihm sein Buch gegen meine schlank machende “Heimatküche für Diabetiker” getauscht, beide kosten 20 Euro. Hoffentlich purzeln ihm schon beim Lesen die Pfunde.
Fazit: Es lohnt, in den faszinierenden Klink’schen Kosmos einzutauchen, dessen Philosophie er selbst so beschreibt: “Am Herd immer – mit der Herde nie.”
Der bequemste Weg zur “Wielandshöhe” geht mit der U14 zur Station Marienplatz. Von dort fährt die “Zacke” genannte Zahnradbahn den steilen Berg hinauf bis zur Haltestelle Wielandshöhe, die direkt vor dem gleichnamigen Restaurant liegt. Es gibt aber noch einen wunderbaren, knapp 45-minütigen, Appetit anregenden Spazierweg zum gastlichen Haus, den mir ein Stuttgarter Freund gezeigt hat: Vom Marienplatz die Böblinger Straße ein kurzes Stück stadtauswärts bis zur Adlerstraße, links abbiegen – und dann am Marienhospital vorbei rechts in den Schimmelhüttenweg. Der mäandert von der Stadt in ein nicht erwartbares ländlich-idyllisches Stuttgart mit Reben links und rechts des Weges.
Oben angekommen geht es links in den Elsaweg und dann wieder links in die Lohengrinstraße, welche direkt auf die Alte Weinsteige führt – und von da sind es dann bergab noch einige Schritte zur Wielandshöhe. Sie ist übrigens benannt nach dem aufklärerischen Dichter Christoph Martin Wieland, der in seiner Erzählung “Der neue Amadis” eine Philosophie der heiteren Sinnlichkeit entfaltete – und das wiederum passt bestens zur Lebenseinstellung des barocken Vincent Klink.
Restaurant Wielandshöhe, Alte Weinsteige 71, 70 597 Stuttgart-Degerloch, 0711/640 88 48. Mittags und abends offen. Sonntag, Montag zu.www.wielandshoehe.de
von Hans Lauber
E-Mail: aktiv@lauber-methode.de
, Internet: www.lauber-methode.de
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